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Generationswechsel / Generationenwechsel

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Auf seiner Weltumseglung der Jahre 1815–1818 hat Adelbert von Chamisso ein Fortpflanzungsphänomen bei Meerestieren (Salpen) entdeckt, das Forscher später Generationswechsel nennen. Für den Wechsel in der Geschlechterfolge des Menschen kommt das Wort um 1900 in Gebrauch und bildet ein breiteres Bedeutungsspektrum aus: So kann der Wechsel in Leitungspositionen ebenso ein Generationswechsel sein wie die Markteinführung eines neuen technischen Produkts.

Wortgeschichte

Ein naturwissenschaftlicher Terminus

Das Kompositum Generationswechsel hat offenbar der dänische Naturforscher Japetus Steenstrup eingeführt (1842, 1863), womit er den regelmäßigen Wechsel von geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Generation bei der Fortpflanzung im Tier- und Pflanzenreich bezeichnet. Das Phänomen des Generationswechsels an sich hatte zuvor Adelbert von Chamisso auf seiner Weltumsegelung der Jahre 1815–1818 entdeckt (1836).

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Der Mediziner und Philosoph Ernst Haeckel beschreibt es im Jahr 1868 wie folgt:

Noch viel auffallender, als bei den hoͤheren, tritt Jhnen bei den niederen Thieren und Pflanzen dieſe ſehr merkwuͤrdige Thatſache entgegen, und zwar in dem beruͤhmten Phaͤnomen des Generationswechſels (Metagenesis). Hier finden Sie ſehr haͤufig z. B. unter den Plattwuͤrmern, Mantelthieren, Pflanzenthieren (Coelenteraten), ferner unter den Farrnkraͤutern und Mooſen, daß das organiſche Jndividuum bei der Fortpflanzung zunaͤchſt eine Form erzeugt, die gaͤnzlich von der Elternform verſchieden iſt, und daß erſt die Nachkommen dieſer Generation der erſten wieder aͤhnlich werden. Dieſer regelmaͤßige Generationswechſel wurde 1819 von dem Dichter Chamiſſo auf ſeiner Weltumſegelung bei den Salpen entdeckt, cylindriſchen und glasartig durchſichtigen Mantelthieren, welche an der Oberflaͤche des Meeres ſchwimmen. [Haeckel 1868]

Der naturwissenschaftliche Fachterminus hat mit dem als Generationswechsel bezeichneten Phänomen in der menschlichen Gesellschaft nichts gemein. So erläutert der Mediziner und Philosoph Ernst Haeckel: Beim Menſchen wie bei den höheren Thieren und Pflanzen, wo in Folge kontinuirlicher Vererbung jede Generation der anderen gleicht, fehlt jener reguläre Generationswechſel; […] (1899).

Die gesellschaftliche Fortentwicklung

Um 1900 findet man das Wort Generationswechsel in anderer Bedeutung und herausgelöst aus dem naturwissenschaftlichen Diskurs. Der Ökonom Gustav Schmoller versteht unter Generationswechsel den Wechsel in der Geschlechterfolge nun spezifisch auf den Menschen bezogen und nutzt neben der Zusammensetzung dafür auch die Wortverbindung Wechsel der Generationen (1900a, 1900b). Das Erstglied GenerationWGd bezieht sich dabei nicht mehr auf Fortpflanzung, sondern auf die Gemeinschaft von Menschen gleicher Abstammung und das Wort Wechsel drückt hier nicht wiederkehrende Aufeinanderfolge aus, sondern vielmehr Veränderung (durch Aufeinanderfolge)1). Im 20. Jahrhundert nimmt die möglicherweise von Schmoller eingeführte Verwendung von Generationswechsel in gesellschaftlichen Kontexten allmählich zu (1928, 1944, 1969), etabliert sich aber erst zum Ende des Jahrhunderts durch eine Spezifizierung der Bedeutung.

Generationswechsel in Politik, Wirtschaft oder Sport

Von der Abfolge der GenerationenWGd in der gesellschaftlichen Fortentwicklung kann das Wort Generationswechsel außerdem auf konkrete Handlungsfelder bezogen werden; es bedeutet dann die Ablösung von älteren Funktionsträgern durch jüngere, häufig in leitenden Positionen beispielsweise der Politik, der Wirtschaft oder des Sports (1946, 1985, 1998, 2005a). Analog zur Bedeutungsentwicklung von GenerationWGd wird Generationswechsel zudem auf die Entwicklung technischer Produkte übertragen und bezeichnet auch die Markteinführung eines Nachfolgeproduktes innerhalb einer bestehenden Serie oder Reihe (1977, 2005b).

Generationswechsel oder Generationenwechsel

Wie die Abbildung der DWDS-Wortverlaufskurve zu Generationswechsel und Generationenwechsel zeigt, wird in Zeitungstexten durchgehend die Form Generationswechsel bevorzugt.

Abb. 1: Wortverlaufskurve zu „Generationswechsel“ und „Generationenwechsel“

DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)

Zusammensetzungen mit dem Erstglied Generation können mit s- oder en-Fuge gebildet werden (vgl. GenerationWGd). Während beispielsweise GenerationskonfliktWGd besonders in jüngerer Zeit häufiger die en-Variante aufweist (s. GenerationenkonfliktWGd), zeigt eine Auswertung des DWDS-Zeitungskorpus für das Kompositum Generationswechsel eine stärkere Verbreitung der s-Variante (vgl. Abb. 1).

Anmerkungen

1) Zu den verschiedenen Bedeutungen von Wechsel s. 1DWB online

Literatur

1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)

Haeckel 1868 Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Gemeinverständliche wissenschaftliche Vorträge über die Entwickelungslehre im Allgemeinen und diejenige von Darwin, Goethe und Lamarck im Besonderen, […]. Berlin 1868. (deutschestextarchiv.de)

Belegauswahl

Hier [an Bord eines Schiffs während einer Flaute] beschäftigten mich […]und Eschscholtz besonders die Salpen, und hier war es, wo wir […]an diesen durchsichtigen Weichthieren des hohen Meeres die uns wichtig dünkende Entdeckung machten, daß bei denselben eine und dieselbe Art sich in abwechselnden Generationen unter zwei sehr wesentlich verschiedenen Formen darstellt […]; daß nämlich eine einzeln freischwimmende Salpa anders gestaltete, fast polppenartig an einander gekettete Jungen lebendig gebiert, deren jedes in der zusammen aufgewachsenen Republik wiederum einzeln freischwimmende Thiere zur Welt setzt, in denen die Form der vorvorigen Generation wiederkehrt.

Adelbert von Chamisso’s Werke. Bd. 1. Reise um die Welt, erster Theil. Leipzig 1836, S. 50–51. (books.google.de)

Dass hier auch der Fortpflanzungsart der Salpen (III) Erwähnung gethan werden muss, ist eine Selbstfolge – denn freilich hat man den Beobachtungen des vortrefflichen Chamisso in der allerneuesten Zeit eine andere Erklärung gegeben, jedoch eine solche, womit der Wissenschaft nicht gedient ist, wenn sie auch den weniger gründlichen Lesern recht plausibel erscheint – und solchermassen giebt es einen Generationswechsel auch in der Classe der Weichthiere, und sicher beschränkt er sich nicht auf die Salpen, sondern erstreckt sich auf alle Colonieascidien (Ascidiae compositæ).

Steenstrup, Joh. Japetus: Über den Generationswechsel oder die Fortpflanzung und Entwickelung durch abwechselnde Generationen, eine eigenthümliche Form der Brutpflege in den niederen Thierclassen. Übersetzt von C. H. Lorenzen. (Mit 3 Tafeln.) Copenhagen 1842, S. VIII. (books.google.de)

Endlich iſt hier noch zu erwähnen, daß bei vielen niederen Organismen und wahrſcheinlich in älteren geologiſchen Perioden noch häufiger und ausgebreiteter als jetzt, die Nachkommenſchaft der erſten Generation ſo ſehr vom mütterlichen Artcharakter abweicht, daß man verſucht wird, dieſelbe ſogar in ganz andere Ordnungen und Claſſen zu verſetzen und daß dieſelbe erſt nach mehreren Generationen, wenn nämlich die Bedingungen dazu günſtig ſind, zum Stammtypus zurückkehrt, — ein Vorgang, den ſein erſter genauer Beobachter, Steenſtrup, mit dem Namen des Generationswechſels belegt hat.

Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Drei Vorträge für gebildete Laien. Leipzig 1863, S. 30. (deutschestextarchiv.de)

Pſychologiſcher Atavismus. Wenn bei der Seelen-Miſchung im Augenblicke der Empfängniß zunächſt auch nur die Spannkräfte der beiden Eltern-Seelen mittelſt Verſchmelzung der beiden erotiſchen Zellkerne erblich übertragen werden, ſo kann damit doch zugleich der erbliche pſychiſche Einfluß älterer, oft weit zurückliegender Generationen mit fortgepflanzt werden. Denn auch die Geſetze der latenten Vererbung oder des Atavismus gelten ebenſo für die Pſyche wie für die anatomiſche Organiſation. Die merkwürdigen Erſcheinungen dieſes „Rückſchlags“ begegnen uns in ſehr einfacher und lehrreicher Form beim „Generationswechſel“ der Polypen und Meduſen. Hier wechſeln regelmäßig zwei ſehr verſchiedene Generationen ſo mit einander ab, daß die erſte der dritten, fünften u. ſ. w. gleich iſt, dagegen die zweite (von jenen ſehr verſchiedene) der vierten, ſechſten u. ſ. w. (Natürl. Schöpfgsg. S. 185). Beim Menſchen wie bei den höheren Thieren und Pflanzen, wo in Folge kontinuirlicher Vererbung jede Generation der anderen gleicht, fehlt jener reguläre Generationswechſel; aber trotzdem fallen uns auch hier vielfach Erſcheinungen des Rückſchlags oder Atavismus auf, welche auf dasſelbe Geſetz der latenten Vererbung zurückzuführen ſind.

Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie. Bonn 1899, S. 165. (deutschestextarchiv.de)

Die heutigen Familien, auch die meiſten Privatunternehmungen, viele Vereine und Geſellſchaften ſind Organbildungen, deren einzelne Exemplare im Laufe des Generationswechſels immer wieder mit Leben und Sterben, mit Ein- und Austritt der Gründer und Mitglieder erlöſchen, um neuen gleichen Bildungen Platz zu machen.

Schmoller, Gustav von: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Erster größerer Teil. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode. Land, Leute und Technik. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. Leipzig 1900, S. 62. (deutschestextarchiv.de)

Wenn nichts anderes, beſtimmt in ſtabilen Verhältniſſen das Alter die geiſtige Autorität: die über 40—50 Jahre alten Männer mit ihren nicht mehr ſchwankenden befeſtigten Überzeugungen beherrſchen die Frauen und die jüngeren Männer. […] Aber ſtets ſind ſie auch durch den Wechſel der Generationen, durch das Empordringen jüngerer Kräfte und neuer Ideen, einer Umbildung und Regeneration unterworfen.

Schmoller, Gustav von: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Erster größerer Teil. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode. Land, Leute und Technik. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. Leipzig 1900, S. 17. (deutschestextarchiv.de)

Das Wichtigste am Generationswechsel blieb, daß er als einer der wesentlichsten treibenden Faktoren im Fortschritt betrachtet wurde.

Mannheim, Karl: Das Problem der Generationen. In: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 7 (1928), S. 163. (1000dokumente.de)

Das Zeiterleben ist ein gemeinschaftliches Schicksal, das die Altersgenossen um so mehr verbindet, je enger sie im Raum vereinigt sind. Jede Altersstufe nimmt die Ereignisse ihrer Zeit mit einer gleichartigen ihr eigenen Empfänglichkeit auf, die anders beschaffen ist als die der Vorgänger oder der jüngeren Nachfolger. Dadurch wird sie zur Einheit einer Generation verschmolzen. Ein Begriff, der ursprünglich der Erbfolge einer Familie entstammt, wird auf eine schicksalsbedingte Gruppenbildung im Volkskörper übertragen, die auch bei anderen Völkern ihre gleichzeitige Entsprechung finden kann. Damit entsteht das eigentliche Zeitmaß geistesgeschichtlicher Entwicklung, das auch für die Entwicklung der Dichtung entscheidende Bedeutung hat. Jede Periode beginnt mit dem Auftreten einer neuen Generation; nicht jede Generation eröffnet eine neue Periode; wohl aber sind die Entwicklungsphasen jeder Periode durch Generationswechsel bedingt.

Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. Hrsg. von Erich Trunz. Berlin 1944, S. 515. (deutschestextarchiv.de)

Die Tragik der kommenden Entwicklung lag weniger darin, daß die Jahrgänge zwischen 1880 und 1899 durch den Krieg besonders schwer gelitten hatten, als darin, daß der natürliche Generationenwechsel unterbunden wurde, weil mit der Wahl Hindenburgs die mehr als Sechzigjährigen an die Macht kamen und sich in ihr durch die Besetzung aller wichtigen Posten in Verwaltung und Wirtschaft mit Leuten, die sie kannten und verstanden, hielten.

Die Zeit, 27. 6. 1946, Nr. 19. [DWDS] (zeit.de)

Als 1945 der Krieg endlich zu Ende war, als sich nach einem Wort von Theodor Heuss damals die Paradoxie ereignete, daß wir gleichzeitig erlöst und vernichtet waren, sollte das Geschehene zum Anlaß einer Erneuerung werden. Auch nach allem materiellen Wiederaufbau und über allem fortschreitenden Generationenwechsel hinweg bleibt die Aufhellung unserer eigenen Geschichte um unserer Zukunft willen geboten.

N. N.: Amtsantritt von Bundespräsident Heinemann. In: Archiv der Gegenwart, 2001 [zuerst 1969], S. 14774. [DWDS]

Wenn der EDV-Verwender die zeitliche Reichweite der von ihm als relevant erachteten technischen und wirtschaftlichen Zieleigenschaften der EDV-Anlagen abzuschätzen hatte, dann konnte er sie zum einen sicherlich mit Blick auf die Mindestmietdauer bestimmen. Zum anderen bot ihm der sogenannte „Generationenwechsel“, d. h. das Auftreten einer neuen Systemtechnologie, der sich im Untersuchungszeitraum regelmäßig und gleichartig bei allen EDV-Herstellern ereignete, eine weitere Orientierungshilfe, auch die Höchstgrenze des zeitlichen Bezuges der Entscheidungsziele vergleichsweise einheitlich einzuschätzen.

Hauschildt, Jürgen: Entscheidungsziele. Tübingen 1977, S. 14. [DWDS]

Die Enkel kommen

Generationswechsel bei den Genossen: In mehreren Bundesländern rücken Neulinge an die Spitze – für SPD-Strategen Anlaß zum Optimismus.

Der Spiegel, 17. 6. 1985, S. 30. [DWDS]

Immer wieder ist im Gespräch mit Gerd Schulte-Hillen zu spüren: Er schätzt und fürchtet an Werner Funk dessen Durchsetzungsfähigkeit – die ist gut für den stern, gefährdet aber den nun einmal fälligen „Generationswechsel“. Den hat dann der Verlagschef, der selbst nur noch zwei Jahre amtiert, in die eigene Hand genommen.

Die Zeit, 19. 11. 1998, Nr. 48, S. 78. [DWDS]

In Aimé Jacquet fand er den entscheidenden Fürsprecher. Dem Weltmeistercoach zufolge war Domenech nach zehn Jahren bei der U-21 der ideale Mann für den Generationenwechsel. Umso besser war es, dass er nichts mit den Erfolgen 1998 und 2000 zu tun hatte, schließlich galt es, nach den Blamagen danach mit der Vergangenheit zu brechen.

Berliner Zeitung, 12. 11. 2005. [DWDS]

Obendrein hat das Zweirad beim Generationswechsel abgespeckt und bringt mit 259 Kilogramm Leergewicht 20 Kilogramm weniger auf die Waage. Bei solchen Daten wundert es nicht, dass das Zweirad ganz ordentlich abgeht und in weniger als vier Sekunden von Null auf Tempo 100 zu beschleunigen vermag.

Berliner Zeitung, 2. 7. 2005. [DWDS]