Wortgeschichte
Vom Kranz zum Kränzchen
Erste Belege für den zu Kranz runder, gewundener Kopfschmuck
gebildeten Diminutiv sind Ende des 15. Jahrhunderts auszumachen (1483; 1DWB
11, 2057). Kränzchen dienen u. a. auch als Zeichen für einen Schankbetrieb und zeigen damit einen Ort geselliger Zusammenkunft an (1742, zu weiteren Verwendungen s. 1DWB 11, 2057–2058 unter Kränzchen
und 1DWB 11, 2065 unter Kranzwirtschaft). Dies ist wohl aus dem Brauch hervorgegangen, den krönenden Siegerkranz bei Wettbewerben, Musik- und Schützenfesten dem Nachfolger zu übergeben mit der Verpflichtung, das nächste Fest zu gestalten (vgl. Pfeifer unter KranzDWDS).
Im ripuarischen Sprachraum steht Krentzgen im 16. Jahrhundert bereits für geheime politische Gesellschaft
, womit sich der Bedeutungsaspekt des sich wiederholenden gesellschaftlichen Ereignisses schon recht früh verselbständigt (1513; vgl. Heyne 1890 2, 1138). Kränzchen setzt sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte für alle Arten von (kleineren) Zusammentreffen durch, bei denen sich die Mitglieder verpflichteten, der Reihe nach das jeweils nächste Treffen auszurichten.
Von der regelmäßigen Zusammenkunft zur geschlossenen Gesellschaft
Ist Kränzchen also einerseits von dem Symbol für eine gesellige Zusammenkunft her motiviert, so sind andererseits auch metaphorische Motivationen vorstellbar. Die runde Form kann in eine Ähnlichkeitsbeziehung zu der Regelmäßigkeit der gewöhnlichen
, von Sonntag zu Sonntag
wechselnden oder wöchentlichen
Zusammenkunft gestellt werden (1725, 1785a, 1918, 2001a; vgl. auch 25Kluge, 538). Das Diminutiv unterstützt hierbei die Überschaubarkeit und auch Intimität des sich in einem Kränzchen zusammenfindenden Kreises (1820, 1896), der in dieser Form und zum Zweck des gesellschaftlichen Vergnügens (1791–1805) zusammenkommt.
In vielen Zusammenhängen sind diese geselligen Kreise bildungsorientiert, widmen sich ästhetischen oder literarischen Themen (1870a, 1909, 1938), dienen dem Wissensaustausch allgemein (1785b, 1848b, 1957) oder gar der (beruflichen) Fortbildung (1870b, 1901), womit auch Bedeutungsaspekte anderer Wörter dieses Wortfeldes, etwa Harmonie oder Verein, berührt werden. Bereits im 18. Jahrhundert wird mit Kränzchen zudem auf eine geschlossene Gesellschaft oder den Ort des Treffens Bezug genommen, ein KlubWGd oder das Klublocal so bezeichnet (1777, 1794). Bis zum 20. Jahrhundert ist dies dann insbesondere die Tanzgesellschaft zu der eingeladen wird, oder der Ball (1780, 1848a, 1911). Es zeigen sich zunehmend inhaltliche Anknüpfungspunkte und Überschneidungen zu gesellschaftlich fester etablierten Erscheinungen wie KlubWGd, SoireeWGd oder TeeWGd (1910). Insgesamt betrachtet entwickelt Kränzchen bis zur Jahrhundertwende eine ähnliche Bandbreite möglicher Lesarten wie vergleichbare Wörter jener Zeit, etwa Verein und rückt in deren semantische Nähe.
Studentische Freundschaftsvereinigung
Erste Bezeugungen studentischer Kränzchen lassen sich im 18. Jahrhundert ausmachen (1792a). Kränzchen in der Lesart Studentenverbindung
knüpft an das Wort Landsmannschaft an, für das der Aspekt der gleichen geographischen Herkunft mitschwingt. So heißt es zum Freundschaftlichen Schlesischen Kränzchen (1792b): Alle braven Schlesier sollen einander kennen, und jeden unter sich nach seinen Verdiensten schätzen lernen
. Gleichzeitig ist das Wort als Antonym zu studentischer Orden zu verstehen (vgl. Assmann 1996, 156; 1802b). Tatsächlich war es wohl Ziel der Verbindungsform Kränzchen, landsmannschaftliche und ordensstudentische Praktiken und Lebensformen miteinander zu verbinden und zu modernisieren (vgl. Müller 1998, 13–14). Zudem ist davon auszugehen, dass der Verbindung durch die Wahl der verhüllenden Bezeichnung Kränzchen, wie zu jener Zeit nicht unüblich, der Charakter einer Geheimgesellschaft verliehen werden sollte (vgl. Hoede 1967, 8–11; 1802a). Studentische, korporativeWGd Zusammenschlüsse in Form von Kränzchen sind bis in das 19. Jahrhundert bezeugt und stehen meist neben anderen Verbindungsbezeichnungen, wie Orden oder Burschenschaft (1810, 1885b); im Laufe des Jahrhunderts kommt es zu einer Umbenennung in geschworene oder konstituierte Landsmannschaften (vgl. Neupert 1985, 283).
Das Kaffeekränzchen
Gegen Ende der Frühen Neuzeit etablierte sich das Frauen vorbehaltene Kaffeekränzchen (1715, s. EdN unter Kaffee). Das Wort ist gleichzeitig die früheste dokumentierte Zusammensetzung, in der Kränzchen mit einem gesellschaftlichen Bedeutungsaspekt, der auch im Grundwort begegnet, zum Tragen kommt. Adressiert an die gehobene Leserin beschreibt Amaranthes die als Caffee-Cräntzgen bezeichnete Sitte als eine tägliche oder wöchentliche Zusammenkunft einiger vertrauter Frauenzimmer, welche nach der Reihe herumgehet, wobei sie sich mit Kaffeetrinken und l’Ombre-Spiel divertieren und ergötzen
(1715). – Dass der damalige Luxus des Kaffeetrinkens einem gängigen Topos entsprach (vgl. Sandgruber 2004, 396), zeigen auch andere Quellentypen, man denke etwa an Bachs populäre Kaffee-Kantate Schweigt stille, plaudert nicht BWV 211, die die Kaffee-Passion auf humorvolle Weise skizziert.
Abb. 1: Wortverlaufskurve zu „Kaffeekränzchen“ aus den DWDS Referenz- und Zeitungskorpora
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
In den Textzeugnissen des 18. und 19. Jahrhunderts bleibt die Zusammensetzung Kaffeekränzchen regelmäßig, allerdings nur marginal bezeugt (1766, 1843, 1885a). Erst mit Übergang in das 20. Jahrhundert kommt es zu einem sprunghaften Anstieg der Bezeugungshäufigkeit (vgl. Abb. 1). An den Belegen ist zu sehen, wie facettenreich sich das Kaffeekränzchen nun als Alltagserfahrung ausgestaltet. Mit dem Wort Kaffeekränzchen wird immer noch eine vertraute Runde in Verbindung gebracht, die aber häufiger außer Haus stattfindet (1900, 1956). Als Nebenbedeutung kommt eine eher oberflächliche Geselligkeit zum Ausdruck (1902, 1977), wobei die als geschwätzig wahrgenommenen Teilnehmerinnen oder das Treffen als solches karikiert werden (2000). Heute bezieht sich Kaffeekränzchen auf eine Einrichtung, die tendenziell der älteren (nicht mehr gezwungenermaßen weiblichen) Bevölkerungsschicht vorbehalten ist (1961), ferner gilt es als Symbol für Überholtes oder Kleinbürgerliches (1990). - Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch für die Zusammensetzung TeegesellschaftWGd anstellen.
Die weibliche Sphäre
Erst einige Jahrzehnte nach dem Auftreten der Zusammensetzung Kaffeekränzchen kristallisiert sich auch für das Grundwort neben den bereits benannten Bedeutungsaspekten im 18. Jahrhundert zusätzlich der Aspekt der ausschließlich weiblichen Geselligkeitsform heraus. Kränzchen verstanden als Nachmittagsgesellschaft befreundeter Frauen
ist als Kürzung aus Kaffeekränzchen hervorgegangen. Als frühes (autobiographisches) Zeugnis für einen geselligen Frauenzirkel in der Schweiz beschreibt Sophie La Roche (1776, 9) das Treffen wie folgt: Jeden Donnerstag kommen sie mit ihrer Arbeit, Nachmittags um drey Uhr, artig geputzt zusammen; trinken eine Taße Caffee
. Mit dem Wort wird auf eine bestimmte Alltagssituation Bezug genommen, die sich über die charakteristische Verteilung von Handarbeiten hinaus wohl folgendermaßen darstellen lässt: Der Putz wird auch durchgegangen, die Unkosten und die Art der Verfertigung werden gesagt, der wohlfeilere Kaufmann genannt; darauf erzählt, was man schönes und nützliches gelesen oder erfahren, und sich eigen gemacht hat.
(1776, 10). Die gesellige Praxis, die mit dem Kränzchen in Verbindung gebracht wird, liegt damit erkennbar auf einem konsumptiv-rezeptiven Schwerpunkt (s. Gaus 1998, 121.). Dieser hält sich bis in die Gegenwart, wobei als Begleitvorstellung stets die häusliche weibliche
Welt, die in dem traditionell bürgerlichen FamilienmodellWGd seinen Ursprung hat, mitschwingt (1832, 1932, 1964, 2001a). Die Bedeutung Nachmittagsgesellschaft befreundeter Frauen
drängt im 20. Jahrhundert die Bedeutung geschlossene Gesellschaft
(s. hier) vollends in den Hintergrund.
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Auffällig ist, dass gerade zum Ende des 19. Jahrhunderts Erzählungen für junge Mädchen (sogenannte Backfischliteratur) das Wort Kränzchen, quasi zur Verdeutlichung der angesteuerten weiblichen Zielgruppe, im Titel trugen (1898, 1925, 1952). Die Mädchenzeitschrift Das Kränzchen war zu ihrer Zeit so beliebt, dass sie die Gründung einer Buchreihe, der Kränzchen-Bibliothek, nach sich zog. Die Mädchenbuchreihe der Union Deutsche Verlagsgesellschaft veröffentlichte die beliebtesten Erzählungen oder Fortsetzungsromane der Zeitschrift in Buchform und wurde damit äußerst erfolgreich (Jäger 2003, 121).
Das Damenkränzchen
Auf die von sozial gleichgestellten Frauen initiierten Treffen wird ab dem 20. Jahrhundert schließlich üblicherweise mit dem Kompositum Damenkränzchen Bezug genommen. Bis in die Gegenwart ist den Belegen zu dieser Zusammensetzung noch die Assoziation eines gutbürgerlichen Frauen- bzw. Damenkreises abzulesen (1920, 1969, 2001b), daneben rückt bis zum Ende des 20. Jahrhunderts der Geselligkeitsaspekt in den Vordergrund (1968, 2005).
Literatur
2Adelung Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, 2. vermehrte und verbesserte Ausg. Bd. 1–4. 2. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1793–1801. Hildesheim u. a. 1990. (woerterbuchnetz.de)
Assmann 1996 Assmann, Rainer: Kränzchen – Landsmannschaften – Corps, zur Frühgeschichte der Corps. In: Einst und jetzt: Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 41 (1996), S. 155–178.
Campe Wörterbuch Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch der deutschen Sprache. Theil [Bd.] 1–5. Braunschweig 1807–1811.
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
EdN Enzyklopädie der Neuzeit online. Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern hrsg. von Friedrich Jaeger. Leiden 2019. [basierend auf der Druckausg. im J. B. Metzler Verlag Stuttgart, 2005–2012]. (brillonline.com)
Gaus 1998 Gaus, Detlef: Geselligkeit und Gesellige: Bildung, Bürgertum und bildungsbürgerliche Kultur um 1800. Stuttgart 1998.
Heyne 1890 Heyne, Moritz: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1890.
Hoede 1967 Hoede, K.: Zur Frage der Herkunft „geheimer studentischer Verbindungen“ im 18. Jahrhundert. In: Einst und Jetzt. Jahrbuch 1967 des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung, S. 5–53.
Jäger 2003 Jäger, Georg (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Das Kaiserreich 1871–1918: Teil 2. Berlin u. a. 2003.
25Kluge Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin/Boston 2011.
Müller 1998 Müller, Rainer A. (1998). Landsmannschaften und studentische Orden an deutschen Universitäten des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Brandt,Harm-Hinrich/Matthias Stickler (Hrsg.): „Der Burschen Herrlichkeit“: Geschichte und Gegenwart des studentischen Korporationswesens. Würzburg 1998, S. 13–34.
Neupert 1985 Neupert, Herbert: Andere Korporationsverbände und gemeinsame Institutionen. In: Fischer, Hartmut (Hrsg.) Handbuch des Kösener Corpsstudenten. 6. Aufl. Würzburg 1985, S. 281–320.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Sandgruber 2004 Sandgruber, Roman: Das Geschlecht der Esser. In: Rolf Walter (Hrsg.): Geschichte des Konsums. Stuttgart 2004, S. 379–407.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Kränzchen, Damenkränzchen, Kaffeekränzchen.