Wortgeschichte
Natur – Schutz – Gebiet: Zum Verhältnis ihrer Bedeutungen
Beim Wort Naturschutzgebiet handelt es sich um ein Kompositum, bei dem nicht eindeutig feststellbar ist, ob es sich aus Natur und Schutzgebiet oder aber aus Naturschutz und Gebiet zusammensetzt. So bestimmt Duden online ein Naturschutzgebiet als ein Gebiet, das unter Naturschutz steht
, eine heute wohl gängige Bedeutungsbestimmung, die nahelegt, dass es sich um ein Kompositum aus Naturschutz und Gebiet handelt. Andererseits lässt sich historisch aufzeigen, dass vor der Wortprägung Naturschutzgebiet das Wort SchutzgebietWGd auch für den Sachverhalt verwendet wurde, der später mit Naturschutzgebiet bezeichnet wird (1894, 1926a). Klar ist, dass NaturschutzWGd selbst ein Wort ist, das erst wenige Jahre vor Naturschutzgebiet entsteht, und dass der um 1900 einsetzende Naturschutzdiskurs nicht nur in zeitlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die ihm zugrunde liegenden Ideen und Argumentationsmuster Gemeinsamkeiten mit dem Kolonialdiskurs aufweist – so etwa hinsichtlich der Betonung des Nationalen
, des Vaterländischen
, der Abwehr der städtischen Moderne und der Idealisierung einer vermeintlich ursprünglichen
Natur usw. (vgl. zum Diskursumfeld der Natur- und Heimatschutzbewegung auch NaturschutzWGd). Der Kolonialdiskurs verwendet seinerseits das Wort Schutzgebiet seit den 1880er Jahren für die deutschen Kolonie.
Das Wort Naturschutzgebiet trägt zentral die Bedeutung Bereich, der zum Zweck des Schutzes von Flora, Fauna oder Tierwelt vorgesehen ist oder unter besonderem Schutz steht, weshalb anderweitige Nutzung von staatlicher Seite reguliert oder ausgeschlossen wird
. Während diese Kernbedeutung seit der Wortprägung stabil ist, haben sich die Motive zur Einrichtung solcher Gebiete und infolge dessen auch die mit dem Wort Naturschutzgebiet verbundenen Deutungsmuster seit Beginn des 20. Jahrhunderts grundlegend verändert.
Vaterländische
Deutungsmuster zur Zeit der Entstehung des Wortes Naturschutzgebiet
Die semantische Prägung des Wortes Naturschutzgebiet entsteht zu Beginn des 20. Jahrhunderts unmittelbar aus dem Naturschutzdiskurs heraus, der sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts ausbildet und seinerseits wenigstens in Teilen der konservativen Kulturkritik der Jahrhundertwende zuzurechnen ist. Das Wort Naturschutz – seinerseits ein Kompositum aus Natur und Schutz – wird gemeinhin auf den Berliner Musikprofessor Ernst Rudorff zurückgeführt (vgl. BfN 2019; detaillierter hierzu NaturschutzWGd). Naturschutz ist in Rudorffs Entwurf ein Teilbereich des Heimatschutzes, der um 1900 entsteht.
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Damit entsteht das Wort Naturschutz in einem spezifischen Umfeld (vgl. hierzu im Detail den Artikel NaturschutzWGd). Es ist dies ein Diskursumfeld, das wenigstens in Teilen durch völkische Ideen und Argumentationsmuster gekennzeichnet ist. Das zeigt sich auch in Rudorffs Heimatschutzkonzept: Rudorff positioniert sich explizit gegen die Ideen der roten Internationalen
(1897a); mit Heimat- und Naturschutz verfolgt er zudem das übergeordnete Ziel einer Stärkung nationaler Identität, wenn es gelte, die gesamte überlieferte Physiognomie des Vaterlandes
(1897b) zu erhalten.
Wenn Naturschutz also im Kontext der konservativen Heimatschutzbewegung geprägt wird, dann sind zumindest in der Frühzeit auch die entsprechenden Deutungsmuster (Heimat
, vaterländische
Landschaft, vgl. 1897b) mit dem Wort verbunden, die ihrerseits in die Bildung des Kompositums Naturschutzgebiet eingehen.
Naturschutzgebiet als Rechtsbegriff
Bereits der – noch recht unspezifische – DTA-Erstbeleg für ein im weiteren Sinn auf die Natur bezogenes Schutzgebiet innerhalb des eigenen Staatsgebietes aus dem Jahr 1894 verdeutlicht, dass das Wort zugleich immer schon an den Rechtsdiskurs gebunden war (vgl. 1894 unter Bezugnahme auf das Gesetz über die Bewirtschaftung der Privatwaldungen vom 27. 4. 1854). Das gilt auch und gerade für das am Beginn des 20. Jahrhunderts sich ausbildendende Wort Naturschutzgebiet im engeren Sinn. War es Rudorff, der 1897 den Schutz der Natur einforderte, ist es nur ein Jahr später Wilhelm Wetekamp, der in einer Rede im preußischen Abgeordnetenhaus die rechtlich abgesicherte Einrichtung von Schutzgebieten für die Natur einfordert.
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Wetekamp orientiert sich dabei am amerikanischen Modell der Nationalparks (1901c). Es geht ihm im Vergleich zur Heimatschutzbewegung weniger um vaterländische
Argumente als vielmehr darum, die Ausdehnung der Bodenkultur […] nicht soweit kommen [zu] lassen, dass die Natur vollständig vernichtet wird
(1901a). Naturschutz dient hier der Erhaltung der Biodiversität, ist also eher in Ökologiediskursen zu verorten.
Wetekamp selbst verwendet das Wort Naturschutzgebiet noch nicht, sondern spricht von der Einrichtung von Staatsparks
(1901b). Bereits 1901 druckt der Naturwissenschaftliche Verein zu Bremen seine Rede jedoch in einem Beitrag mit der Überschrift Über die Herstellung von Naturschutzgebieten in Deutschland; spätestens jetzt ist auch das Wort Naturschutzgebiet entstanden.
Im Jahr 1920 wird die Ausweisung von Naturschutzgebieten unter Verwendung des Wortes rechtlich im Preußischen Feld- und Forstpolizeigesetz verankert (1926c, 1926b), sodass das Wort nun – wie Naturschutz auch – endgültig auch zu einem Rechtsbegriff wird (vgl. BfN 2019). Als solcher hat er seinerseits unmittelbare Rückwirkungen auf den Bereich des Naturschutzes selbst: 1921 wird das Neandertal bei Düsseldorf als erstes offizielles Naturschutzgebiet Deutschlands ausgewiesen (vgl. BfN 2019).
Vereinnahmung während des Nationalsozialismus
Zwar gehört das Wort Naturschutzgebiet genau wie Naturschutz nicht zum NS-Wortschatz im engeren Sinn – jedenfalls wurde es in die entsprechenden das Vokabular des Nationalsozialismus beschreibenden Wörterbücher nicht aufgenommen (Berning 1964, Schmitz-Berning 2000) –, wohl aber bleibt der Begriff nicht nur als Rechtsbegriff bestehen, sondern wird über die Präambel des Reichsnaturschutzgesetzes von 1935 in das Weltbild des Nationalsozialismus eingebunden und so vereinnahmt (1935; vgl. auch BfN 2019).
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Mit der Betonung des Deutschen
, des Heimatlichen
und des Landschaftsverfalls
knüpft das Reichsnaturschutzgesetz explizit an nationale und völkische Deutungsmuster ebenso wie an zivilisationskritische Deutungsmuster der Jahrhundertwende an, profiliert diese über Formulierungen wie weil wesentliche politische und weltanschauliche Voraussetzungen fehlten
(1935) zugleich aber auch deutlich hinsichtlich der eigenen Weltanschauung.
Die Anbindung und Fundierung der Worte Naturschutz und Naturschutzgebiet an nationalsozialistische Vorstellungen zeigt sich nicht nur im Rechtsdiskurs, sondern auch in anderen – gleichgeschalteten bis explizit nationalsozialistischen – Publikationen (vgl. exemplarisch 1941).
Nach 1945: Ökologische Bedeutungsdimension von Naturschutzgebiet
Heute definiert und regelt das Bundesnaturschutzgesetz die rechtlichen Rahmenbedingungen und damit das Rechtswort Naturschutzgebiet (2017a). Wie zur Zeit seiner Entstehung zielt das Wort noch immer darauf ab, dass Flora und Fauna unter besonderen Schutz gestellt werden, dabei mit grundlegend anderer Begründung, was wiederum Rückwirkungen auf die Bedeutungsaspekte der Wörter Naturschutz und Naturschutzgebiet hat. So werden Naturschutz und Landschaftspflege nicht mehr wie zur Entstehungszeit an eine nationale Identität
rückgebunden, sondern nunmehr mit dem eigenen Wert der Natur einerseits und dem Erhalt von Biodiversität und der Lebensgrundlage des Menschen andererseits begründet. Die sich hieraus ableitenden Ziele sind dementsprechend der Erhalt der biologischen Vielfalt, der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, schließlich die dauerhafte Sicherung von Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie Erholungswert von Natur und Landschaft (2017b). Entsprechend haben sich die Wörter Naturschutz und Naturschutzgebiet im Laufe der Zeit aus den ursprünglichen Zusammenhängen der konservativen Zivilisationskritik ebenso wie von den dazugehörigen Deutungsmustern gelöst und sind heute im Kontext der zeitgenössischen Ökologiediskurse zu verorten.
Die Verwendung des Wortes Naturschutzgebiet hat seit seiner Bildung stetig zugenommen. Im Laufe der Zeit hat das Wort zudem zahlreiche Unterformen ausgebildet, von Tierschutzgebiet (2000b) und Landschaftsschutzgebiet (2005a) im Allgemeinen bis zu noch spezifischeren Kategorien wie Vogelschutzgebiet (2005b) oder Waldschutzgebiet (vgl. 2000a) im Speziellen.
Literatur
Berning 1964 Berning, Cornelia: Vom „Abstammungsnachweis“ zum „Zuchtwart“. Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 1964.
BfN 2019 Bundesamt für Naturschutz: Hintergrundinfo. 100 Jahre Naturschutz als Staatsaufgabe (1906–2006). o. D. (bfn.de)
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
Schmitz-Berning 2000 Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin/New York 2000 [Nachdruck der Ausg. Berlin/New York 1998].
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Naturschutzgebiet.