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Stigma · stigmatisieren Stigmatisation · Stigmatisierung

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Das Verb stigmatisieren ist im Deutschen bereits im 16. Jahrhundert belegt, zunächst in der Bedeutung die Haut mit den fünf Wundmalen Christi zeichnen, dann auch in der Lesart Wundmale, Narben beibringen. Es bleibt zunächst selten. Ab dem 19. Jahrhundert wird stigmatisieren auch übertragen verwendet, es entsteht die neue Lesart jemanden oder eine Gruppe aufgrund bestimmter Merkmale ausgrenzen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steigt die Bezeugungsfrequenz deutlich. Neben stigmatisieren gehören mit Stigma, Stigmatisation und Stigmatisierung drei Substantive zur Wortfamilie. Stigma ist als deutsches Lehnwort seit dem 17. Jahrhundert belegt; es trägt dem Verb entsprechende Bedeutungen, begegnet aber auch in den Fachsprachen der Medizin und der Biologie.

Wortgeschichte

Stigmatisieren. Herkunft und frühe Bezeugungen

Das Verb stigmatisieren ist im Deutschen seit dem 16. Jahrhundert belegt (1555b). Etymologisch ist es über mittellateinisch stigmatizare mit den Wundmalen Christi zeichnen auf spätlateinisch stigmāre brandmarken bzw. griechisch stigmatízein punktieren, brandmarken zurückzuführen (Pfeifer unter stigmatisierenDWDS). Entsprechend begegnet stigmatisieren in deutschsprachigen Quellen zunächst in der Bedeutung mit den fünf Wundmalen Christi zeichnen (1555b, 1614). Diese Lesart ist bis heute belegt (1854, 1950, 1978a). Daneben tritt die Bedeutung (aus kultischen bzw. rituellen Gründen) Wundmale, Narben beibringen, die Pfeifer für das 18. Jahrhundert ansetzt (1789; vgl. Pfeifer unter stigmatisierenDWDS; vgl. jedoch schon 1575, wo stigmatisieren bereits in einem allgemeineren Sinn begegnet).

Die Abbildung zeigt die DWDS Wortverlaufskurve zu stigmatisieren.

Abb. 1: DWDS Wortverlaufskurve zu stigmatisieren

DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)

Insgesamt bleibt das Verb bis ins 19. Jahrhundert hinein wenig verbreitet (vgl. Abb. 1 sowie die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).

Übertragene Verwendungen und Bezeugungsanstieg des Verbs

Seit dem 19. Jahrhundert wird stigmatisieren auch übertragen verwendet (1848, 1868, 1893), es entsteht die neue Lesart etwas/jemanden aufgrund bestimmter Merkmale abwerten und/oder ausgrenzen (1900, 1909, 1913b). Bei dieser Bedeutungsentwicklung ist wohl von einem metaphorischen Wandel auszugehen insofern jemand, der stigmatisiert wird, im übertragenen Sinne mit Zeichen bzw. Merkmalen belegt wird, die zu seiner gesellschaftlichen Ausgrenzung führen. Verwendungen in der übertragenen Lesart sind bis in die Gegenwart bezeugt (1952, 1960, 1998, 2000). Es begegnen im Übrigen auch Verwendungen, in denen beide Lesarten zusammenfallen, jemand mithin ausgegrenzt und mit einem sichtbaren Zeichen versehen wird (1978b, 1981).

Die DWDS Wortverlaufskurve zeigt einen Bezeugungsanstieg von stigmatisieren und Stigmatisierung ab der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Abb. 2: DWDS Wortverlaufskurve zu stigmatisieren und Stigmatisierung

DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begegnet stigmatisieren in der übertragenen Verwendung häufiger in Zusammenhang mit gesellschaftlichen RandgruppenWGd bzw. Marginalisierten (1976, 1984, 1985, 1986, 2010). Zudem steigt die Verwendungsfrequenz nun signifikant an (vgl. Abb. 2 ). Es sind wohl vornehmlich Verwendungen in der übertragenen und auf die Gesellschaft bezogenen Lesart, vor deren Hintergrund dieser Bezeugungsanstieg zu verorten ist – dafür spricht auch, dass das Substantiv Stigmatisation, das diese Bedeutung nicht annimmt, keinen Bezeugungsanstieg hat (s. u.).

Das Substantiv Stigma. Herkunft und Bedeutungsspektrum

Neben dem Verb stigmatisieren sind mit Stigma, Stigmatisation sowie Stigmatisierung drei Substantive bezeugt, die zur Wortfamilie gehören. Stigma ist etymologisch auf lateinisch stigma zurückzuführen, das seinerseits aus dem griechischen stígma Stich, Brandmal, Malzeichen, Kennzeichen zu griechisch stízein stechen, punkten, tätowieren, brandmarken hervorgegangen ist (vgl. Pfeifer unter StigmaDWDS). In deutschsprachigen Quellen wird Stigma zunächst als Bestandteil einer lateinischen Phrase verwendet (1533). Bezeugungen als deutsches Lehnwort (1671) lassen sich dem 1DFWB und Pfeifer zufolge auf das beginnende 17. Jahrhundert datieren (1DFWB 4, 456–458 sowie Pfeifer unter StigmaDWDS).

Stigma ist in dem Verb entsprechenden Lesarten bezeugt, genauer zunächst in der Bedeutung Brandmal, Wundmal (1673) sowie Wundmal Christi (1803, 2002). Ab dem 19. Jahrhundert wird auch das Substantiv übertragen in der Lesart Merkmal, Kennzeichen, durch das etwas oder jemand gekennzeichnet bzw. abgewertet ist und das zur Unterscheidung bzw. sozialen Ausgrenzung beiträgt verwendet (1865). Diese Lesart ist bis heute stabil (1913a, 1957, 2017).

Daneben stehen Verwendungen in der Fachsprache der Medizin, in der Stigma augen-fälliges Merkmal, Anzeichen einer Krankheit, sichtbare krankhafte (degenerative) Veränderung (1907) bedeutet, sowie in der Fachsprache der Biologie, in der das Wort für Kopfteil des Blütenstempels, Narbe, Augenfleck der Eizeller sowie Atemöffnung bei Insekten steht (vgl. nur 1764, 1814; siehe auch 1DFWB 4, 456–458 und Lexikon der Biologie Online [online]).

StigmatisierungStigmatisation. Die vom Verb abgeleiteten Substantive

Das vom Verb abgeleitete Substantiv Stigmatisierung ist jüngeren Datums: In den Quellen begegnet es erst seit der Wende zum 19. Jahrhundert (1798). Es trägt zentral die Bedeutungen Vorgang, etwas oder jemanden mit einem Brand-, Wundmal versehen (1921) sowie übertragen Vorgang, etwas oder jemanden mit einem Kennzeichen, Merkmal versehen; Ausgrenzung (1972). Ab den 1960er Jahren und damit zeitgleich zur weiteren Verbreitung des Verbs steigt auch die Verwendungsfrequenz von Stigmatisierung deutlich (vgl. Abb. 2 ).

Neben Stigmatisierung ist zudem Stigmatisation belegt. Es begegnet mindestens schon im 16. Jahrhundert (1555a, 1852) und wird möglicherweise zunächst als gegenüber Stigmatisierung primäre Form wahrgenommen, jedenfalls bucht Heyse es 1838 in seinem Fremdwörterbuch in der Bedeutung Bezeichnung mit Wundenmaalen, Brandmarkung zu Stigma; Stigmatisierung wird dahingegen nicht aufgenommen (8Heyse Fremdwörterbuch 2, 449). Stigmatisation ist zwar bis in die Gegenwart belegt (2014), nimmt anders als Stigmatisierung aber nicht die übertragene Bedeutung an, sondern trägt bis heute lediglich die Lesarten Brandmal, Brandmarkung, Wundmal (1992) sowie in der Medizin das Auftreten von Hautblutungen und anderen psychogen bedingten Veränderungen (vgl. DWDS unter StigmatisatonDWDS).

Literatur

Lexikon der Biologie Online Sauermost, Rolf (Projektleitung): Lexikon der Biologie. Online Ausgabe, Heidelberg 1999-. (spektrum.de)

1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)

DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)

8Heyse Fremdwörterbuch Heyse, Johann Christian August: Allgemeines verdeutschendes und erklärendes Fremdwörterbuch, oder Handbuch zum Verstehen und Vermeiden der in unserer Sprache mehr oder minder gebräuchlichen fremden Ausdrücke mit Bezeichnung der Aussprache, der Betonung und der Abstammung. Achte rechtmäßige, vermehrte und sehr verbesserte Ausgabe. Bd. 1–2. Hannover 1838.

Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)

Belegauswahl

Itzt klapts anders/ vñ das Doctorat/ welche laruen/ spricht er ynn einem buche/ mein hoͤhisten Schande fur Gott gewesen/ ist nu also teuer/ gut vnd recht worden/ das er newlich geschrieben hat/ er wolt der gantze welt gut nicht darfur nemen/ O ein seliges Doctorat/ dem Apostolat weyt furzuziehen/ wiewol er beyder zeichen weisen kan/ und darzu stigmata domini sui an seinem leybe.

[Witzel, Georg]: Euangelion Martini Luters. Welchs da lange zeyt vnterm banck gelegen/ Sampt seyner kyrchen Historia. Leipzig 1533, Bl. L.[i] r. (books.google.de)

Ein ander Engel erschein einẽ Muͤnche und sprach/ Warumb schweigtestu so stille/ vnd sagst nichts von der Stigmatisation Francisci: Gedenck vnnd predige furthin da[v]on.

[Alberus, Erasmus]: Der Barfüsser Münche Eulenspiegel/ vnd Alcoran. Mit einer schöner Vorrede D. Martini Luth. O. O. 1555, Bl. O2 r. (books.google.de)

Es war ein grosses/ Himel und Erden auß nichts machen etc. Den Menschen schaffen &c. Aber Franciscum zu Stigmatisieren/ das war mir ein recht werck/ das aller groͤste wunder &c.

[Alberus, Erasmus]: Der Barfüsser Münche Eulenspiegel/ vnd Alcoran. Mit einer schöner Vorrede D. Martini Luth. O. O. 1555, Bl. O[i] r. (books.google.de)

Etlichen spallt er den Scheitel, daß ihnen das Hirn vor die Füß oder ins Geseß ful, den andern zerrädert und stigmatisirt er händ und füß, etlichen verwirrt er den knickwirten und dz Kropffbein im halß, daß ihn der kopff wackelt wie eim Haß am Sattel, den andern zerschmiß er Weich unnd Lenden, wie einer schleckhafften Katzen, etlichen zermalmet er die Nieren unnd Hanenkäpplin, schmiß ihnen die Nasen unnd Ohren herab, stach ihnen die Augen auß, zerspilt ihnen die Apffelwangen unnd Kifel, schmettert ihnen die Botterzän inn halß, dantzt ihnen auff den Kniescheiben und Armspindeln, zerfoltert ihnen die Flachsadern, schlug ihnen den Puls, das der Hertzbendel kracht, distiliert ihnen das glidwasser, schneutzt ihnen den roten saft auß der Nasen, daß sie sich beseichten wie ein Galgen am Dieb, zerknirscht ihnen die Hauptschüssel, riß die Kopffpfannen auß den fügen und Angel, zerstieß ihnen das Halßzäpflin, beschor ihnen die Schwart, zerquetsch ihnen den Quatschsack, brach ihnen den Ruckgrat, zerplotzt ihnen das Schulterblatt, wan sich einer wolt in die dicke Dornsträuch verstecken, zermörselt er ihm die überige Rippen […].

Johann Fischart: Geschichtklitterung (Gargantua). Düsseldorf 1963 [zuerst 1575]. [DWDS]

Christus oͤffenet auff eine zeit/ die Wunden an der seiten Francisci/ daß sie offen stund/ wie seine Wunden. […] Aber Franciscum zu stigmatisieren/ daß war mir ein recht werck/ das allergroͤste Wunder/ etc.

[Alberus, Erasmus]: Alcoran. Wundermässige/ Abenthewrliche Geschichtbericht/ Von der Barfüsser Münch, Eulenspiegels Francisci Leben […]. O. O. 1614, Bl. 79 r. (books.google.de)

Nur mit dem Bewandnuͤs/ daß auch hier auf der Welt/ an ſtat des auf Schauplaͤtzen gewoͤhnlichen applaudirens/ oder im Wiederſpiel Verlachens/ einem Theile nach dem Tode ein ewiges Stygma Brand- und Schandmahl verbleibet/ dem anderen ab er ein unſterblicher Nachruhm gruͤnet.

Schweinitz, George Herman von: Eröffneter Schauplatz Des Menschlichen Lebens [...]. Zittau 1671. (deutschestextarchiv.de)

Gleich wie vor zeiten der Koͤnig Philippus einem Soldaten/ der ſeinem Koſt-Wirth/ von dem er viel Gutes empfangen/ einen rothen Hahn auffs Hauß geſetzt/ ein ſtigma laſſen auff die Haut brennen/ ingratus hoſpes, undanckbarer Gaſt/ auff daß/ wer ihn anſihet/ ſich an ihm ſpieglen moͤchte; alſo ſtellet uns auch Chriſtus dieſen Juͤngling ut ingratum ſtigmate hoſpitem, als einen undanckbaren Geſellen vor/ an dem wir uns allzumal wohl beſpieglen und ſchamroth werden ſollen.

Dannhauer, Johann Conrad: Catechismvs Milch/ Oder Der Erklärung des Christlichen Catechismi Zehender und letster Theil. [...] zehender und letster Theil. Straßburg 1673, S. 16. (deutschestextarchiv.de)

[W]eil zu der Zeit, da die uͤbrige Theile der Fruktification producirt werden, der Kelch, die Blume, das Stigma, die Antheren, noch keine Frucht, ſondern nur ein Germen an deſſen Stelle vorhanden iſt.

Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation, in zwo Abhandlungen erklärt und bewiesen. Berlin 1764, S. 237. (deutschestextarchiv.de)

Es ist sonderbar genug, daß man diesen Gebrauch des Punctierens und Tättojierens (wie sie es in den Südseeinseln nennen) in allen Welttheilen und bey allen wenig cultivierten Völkern antrift. Düsoul ärgert sich sehr darüber, daß dieser Gebrauch (sich aus Aberglaubischer Andacht stigmatisieren zu lassen) auch bey Christen, besonders bei denen, die das heilige Grab zu Jerusalem besuchen, im Schwange gehe […]: als ob das der einzige heidnische Mißbrauch wäre, den die Christen, nachdem es ihnen gelungen das Heidenthum im alten römischen Reiche zu verdrängen, durch ihren vermeynten guten Gebrauch zu sanctificieren glaubten!

Lukian von Samosata: Von der Syrischen Göttin. In: Lucians von Samosata Sämtliche Werke. Aus dem Griechischen übersetzt und mit Anmerkungen und Erläuterungen verstehen von C. M. Wieland. Fünfter Theil. Leipzig 1789, S. 289–352, hier S. 346. (books.google.de)

Die Szene ist eine sehr schöne Landschaft, in deren Vorgrund Franziscus knieend, mit gegen die Erscheinung gewandtem Gesichte, ausgebreiteten Armen, und mit einer anscheindenden besondern Inbrunst sich nach der Stigmatisierung sehnt.

Füßlin, Hans Rudolph: Kritisches Verzeichniß der beßten, nach den berühmtesten Mahlern aller Schulen vorhandenen Kupferstiche. Erster Theil. Zürich 1798, S. 114. (books.google.de)

Man brachte mich, dem heiligen Franziskus mit den Stigmen gegen über, in den Pallast Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister zu seyn scheint.

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig/Leipzig 1803, S. 160. (deutschestextarchiv.de)

Zum Durchlassen der Luft hat jedes Stigma eine Spalte, die entweder durch eine knorpelartige Klappe geöffnet und verschlossen wird, oder deren Ränder bey einigen Arten mit zarten, dicht an einander stehenden Haaren, bey andern mit einer ausgezackten Haut besetzt sind.

Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 4. Göttingen 1814, S. 156. (deutschestextarchiv.de)

Was die Zukunft anlangt, so kann sie uns allerdings noch auf große Proben stellen, schlechte Leidenschaften werden ohne Zweifel an tausend Orten angeregt, aber die Hetzer sind meist Leute die schon längst als nichtswürdig bekannt und stigmatisirt sind, und so läßt sich immer mehr hoffen daß die öffentliche Meinung und die Gesinnung der Guten ihnen bald das Handwerk legen werden.

Allgemeine Zeitung, 22. 3. 1848, Nr. 82, o. S. (deutschestextarchiv.de)

Bei näherer Untersuchung würden wir zwar finden, daß jene heroische Vorstellung, sich zu opfern, erst in zweiter Reihe steht, daß eigentlich das quälende Gefühl, dem Manne, den man gern hätte anbeten mögen, nur die unwürdige Theilnahme des Mitleids zuwenden zu können, in der starken und stolzen Seele dieser Frau eine Axt von stiller Verzweiflung hervorrief, die sich zuletzt mit dem Gedanken des Opfers phantastisch ausschmückte, allein dadurch wird doch die Thatsache uicht aufgehoben, daß in dem herrschenden Ideenkreise der Poesie eine Empfindung vorkam, die in ihrer Art eben so schlimm war, als der religiöse Fanatismus der Stigmatisation und der Selbstkreuzigung.

Die Grenzboten 11/2/1 (1852), S. 483. (deutschestextarchiv.de)

F. st. zu Assisi am 4. Octbr. 1226 in einer Kirche auf bloßem Boden, nachdem er am 17. Sept. 1224 stigmatisiert, d. h. seinem Leibe die Wund male Jesu Christi in einer Verzückung eingedrückt worden; 1229 geschah seine Heiligsprechung, die zugleich die erste feierliche war, wobei Papst Gregor IX. selbst predigte. Erst 1818 wurde sein Grab wieder aufgefunden.

N. N.: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 2. Freiburg im Breisgau 1854, S. 774. (deutschestextarchiv.de)

Anſtatt freudig in ihnen eine Erweiterung unſeres Vorſtellungsvermögens zu begrüßen, ſollen wir, weil unſere Logik über die Begriffe des römiſchen Rechts nicht hinauskann, ihnen das Stigma des Unjuriſtiſchen aufprägen, eingeſtehen, daß wir alles, was nicht römiſch iſt oder ſich nicht über den römiſchen Leiſten ſchlagen läßt, nicht zu begreifen vermögen, gleich als enthielte das römiſche Recht den für alle Zeiten gültigen Kanon des juriſtiſch Denkbaren?

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Dritter Theil. Erste Abtheilung. Leipzig 1865, S. 302. (deutschestextarchiv.de)

Aber dennoch statt der ernsten Frage, weshalb denn gerade Preußen und nur Preußen seine Mitwirkung zu jedem energischen Anlauf versage, warum es sich bemühe, mit formalen Bedenken dem materiell unstreitige Guten entgegen zu treten, überall das absurde Bestreben, jeden Versuch eines patriotischen Aufschwunges zu stigmatisieren, bloß damit das künstliche Gebäude der Popularität dieses einen Staates keinen Schaden leide!

Friedrich Wilhelm, Hessen-Kassel, Kurfürst: Denkschrift Sr. Königlichen Hoheit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. von Hessen, betreffend die Auflösung des Deutschen Bundes und die Usurpation des Kurfürstenthums durch die Krone Preußen im Jahre 1866. Prag 1868, S. 11. (books.google.de)

dazu waren die erinnerungen an 479 noch zu stark, und wenn auch bürgerkrieg kein griechisches wort ist, mit dem die modernen rasch bei der hand sind um die athenische politik zu stigmatisiren, so hatte der kampf wider die barbaren doch einen ganz andern reiz als der wider die Boeoter.

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin 1893, S. 97. (deutschestextarchiv.de)

Die ‚Neue Freie Presse‘ hat das Kaiserjubiläums-Stadttheater als »antisemitisches Hetztheater« stigmatisiert, ehe es geboren war, und als es eröffnet werden sollte, da brachte sie Allarmnotizen über den misslungenen Bau.

Die Fackel [Elektronische Ressource], 2002 [1900], S. 24. [DWDS]

Direkt wahrnehmbar sind dem Auge und Tastsinn die dem äußeren Integument naheliegenden und mit ihm oft in Verbindung stehenden morphologischen Organminderwertigkeiten, die uns bis heute unter dem Namen der äußeren Degenerationszeichen oder Stigmen geläufig waren.

Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin/Wien 1907, S. 10. (deutschestextarchiv.de)

Sich für die Bestrebungen des Herrn von Egidy unsererseits zu engagieren, hieße unsere Kräfte zersplittern, aber auch zugleich seine Bestrebungen als sozialdemokratische stigmatisieren und ihm die Mehrzahl seiner Anhänger vertreiben…

Braun, Lily: Memoiren einer Sozialistin. In: Lehmstedt, Mark (Hrsg.): Deutsche Literatur von Frauen. Berlin 2001 [1909], S. 9805. [DWDS]

Dazu tritt das soziale Stigma, das ihnen noch mehr als in der Neuen Welt anhaftet, – eine tüchtige Köchin berichtete mir kürzlich, daß sie, die früher eine Reihe von Jahren auf Gütern als Mamsell beschäftigt war, jetzt keine solche Stellung mehr bekommen könne, weil sie inzwischen in Berlin als Köchin gedient habe und nunmehr der „Respekt“ vor ihr fehle.

Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Aufgaben der Frauenbewegung. Berlin 1913, S. 88. (deutschestextarchiv.de)

Und den bekommen sie natürlich nicht; sie sind ja „sittlich minderwertig“ und „politisch verdächtig“, und so stigmatisiert man sie auch vor ihren Kindern.

Berliner Tageblatt (Abend-Ausgabe), 2. 3. 1913, S. 6. [DWDS]

Die Stigmatisierung der mittelalterlichen bis neuzeitlichen Heiligen gehört ebenfalls hieher.

Jung, Carl Gustav: Psychologische Typen. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. VI. Zürich u. a. 1967 [1921], S. 341. [DWDS]

Anna Katharina Emmerich war ein westfälisches Bauernkind, das in unmündigem Alter freundliche Visionen der Mutter Gottes und des Jesuskindes hatte, später aber in der Folge eines Gesichtes, wobei ihm Christus in der Kirche einen Blumenstrauß und eine Dornenkrone anbot, an Stirn und Händen stigmatisiert war.

Die Zeit, 6. 4. 1950, Nr. 14. [DWDS] (zeit.de)

Die Steuerhinterziehung werde mit den schärfsten Mitteln bekämpft werden und neue Sanktionen würden sie als entehrende antisoziale Handlungsweise stigmatisieren, die auch den Berufsverlust zur Folge haben kann.

Archiv der Gegenwart 22, 8. 3. 1952, S. 3377. [DWDS]

Denn solange für die Jugend der größte Anteil des Arbeitsplatzwechsels erzwungenermaßen erfolgt, nämlich nach der Lehre aus den handwerklichen Kleinbetrieben heraus in die Industrie, und zum großen Teil vor die Notwendigkeit oder mindestens Möglichkeit des Berufswechsels in Angelerntenoder Ungelerntentätigkeit stellt, haftet dem Arbeitsplatzwechsel in den Vorstellungen der Jugend eben doch weitgehend das Stigma der mangelnden Berufsbewährung, der Gefährdung der Berufssicherheit und -chancen usw., d. h. der normalerweise nicht zumutbaren sozialen Unsicherheit, an.

Schelsky, Helmut: Die skeptische Generation. Düsseldorf 1957, S. 279. [DWDS]

Auch Kunstwerke gehören zu den heiligen Dingen: was für „Kunst“ erklärt wird, ist sakrosankt; was als Unkunst stigmatisiert wird, ist ein öffentliches Ärgernis.

Die Zeit, 21. 10. 1960, Nr. 43. [DWDS] (zeit.de)

ie meisten Fürsorgeheime liegen am Rande der Stadt, die Stigmatisierung einer Klasse wird schon in der Anstaltskleidung sichtbar.

Die Zeit, 14. 4. 1972, Nr. 15. [DWDS] (zeit.de)

Die guten Kräfte kommen also ins Töpfchen, die Schwachen schickt man weg in Sondereinrichtungen für wirtschaftlich Unbrauchbare. Man sondert aus, verbannt, stigmatisiert. Es sollen neue Sondereinrichtungen unterhalb des Niveaus der bisherigen Werkstätten geschaffen werden.

Die Zeit, 16. 7. 1976, Nr. 30. [DWDS] (zeit.de)

Folglich schwieg Anneliese von der Fastenzeit 1976 bis zum Tag ihres Todes immer beharrlicher. Doch wer sie sah, erkannte an ihren Füßen Wundmale, und sie selbst wußte, daß auch ihre Hände stigmatisiert waren. Dort freilich brachen die Wunden nicht auf.

Die Zeit, 21. 4. 1978, Nr. 17. [DWDS] (zeit.de)

Seit dem neunten Lebensjahr stigmatisiert ihn ein Kopfzucken.

Die Zeit, 24. 11. 1978, Nr. 48. [DWDS] (zeit.de)

Seine Großmutter sollte damals zwangssterilisiert werden; „Asoziale“ waren im NS-Staat stigmatisiert.

Die Zeit, 3. 4. 1981, Nr. 15. [DWDS] (zeit.de)

Man dürfe die Sozialhilfe nicht stigmatisieren.

Die Zeit, 7. 9. 1984, Nr. 37. [DWDS] (zeit.de)

In den westlichen Industrieländern befinden sich die Arbeitslosen „auf der Straße“, materiell einigermaßen durch Arbeitslosenunterstützung abgesichert, sozial oft stigmatisiert, psychologisch belastet.

Die Zeit, 6. 12. 1985, Nr. 50. [DWDS] (zeit.de)

Abweichungen davon wurden als sexuelle Perversionen stigmatisiert.

Die Zeit, 21. 2. 1986, Nr. 09. [DWDS] (zeit.de)

Was für ein Erlösungsglaube, der die Stigmatisation, das Nach-Erleiden der „fünf Wunden meines Körpers am Kreuz“, als den höchsten Erweis einer subjektiven Gottesliebe sieht.

Die Zeit, 28. 8. 1992, Nr. 36. [DWDS] (zeit.de)

Fraktionschef Wolfgang Birthler warnte davor, die DVU-Wähler zu stigmatisieren und auszugrenzen.

Berliner Zeitung, 29. 4. 1998. [DWDS]

Die Folgen dieser Einstellung sind bis heute spürbar: nach wie vor wird Arbeitslosigkeit von der Gesellschaft negativ stigmatisiert.

Der Tagesspiegel, 21. 3. 2000. [DWDS]

Der kränkliche Mönch hatte im Gebet die „Stigmata“ empfangen wie sein Ordensgründer Franziskus auch.

Berliner Zeitung, 15. 6. 2002. [DWDS]

Auch andere Stimmen waren laut geworden, die beklagten, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien durch eine Gutscheinregelung stigmatisiert werden und man ihren Familien zudem indirekt unterstellt, zusätzliches Bargeld nicht in das Wohl ihrer Kinder, sondern beispielsweise in Alkohol und Zigaretten zu investieren.

Die Zeit, 23. 9. 2010, Nr. 38. [DWDS] (zeit.de)

Das Wunder, das ihm widerfahren sein soll, war die erste Stigmatisation der Geschichte.

Die Zeit, 16. 4. 2014, Nr. 17. [DWDS] (zeit.de)

Und wenn auch der Sohn eines Flüchtlings aus Afghanistan am Wochenende in die Berge oder ans Meer fahren kann, weil die Bahn umsonst ist, dann dürfte das die Integration erheblich erleichtern. Denn das wäre ja der Clou der Deutschlandkarte: Gerade weil jeder sie bekäme – ob reich oder arm –, wäre die Nutzung nicht mit einem Stigma verbunden.

Die Zeit, 28. 12. 2017, Nr. 01. [DWDS] (zeit.de)