Wortgeschichte
Vor der gesellschaftlichen Lesart
Randgruppe, ein Kompositum aus Rand und Gruppe , begegnet im Deutschen erstmals im 19. Jahrhundert – zu dieser Zeit allerdings noch nicht in den heute geläufigen Bedeutungen. Vielmehr ist das Wort zunächst im Bereich Geologie/Geographie belegt (1894, 1940–1941). Weitere Bezeugungen von Randgruppe in anderen Verwendungen im Verlauf des 19. Jahrhunderts scheinen den Status von ad-hoc-Bildungen zu haben (1889). Insgesamt bleibt das Substantiv Randgruppe im 19. und noch im beginnenden 20. Jahrhundert im Übrigen wenig verbreitet.
Randgruppe wird zu einem Wort des Themenfelds Politik und Gesellschaft
In den auf die Gesellschaft bezogenen Bedeutungen kann Randgruppe seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als verbreitet gelten (1966b, 1971). Für die Ausbildung dieser Bedeutungen mögen zwei sprachliche Vorläufer von Relevanz gewesen sein: Zum einen ist die Verbindung Rand der Gesellschaft bereits deutlich früher belegt (1857, 1913; die Verbindungen sozialer Rand und gesellschaftlicher Rand scheinen hingegen nicht vor der Mitte des 20. Jahrhunderts belegt zu sein). Zum anderen begegnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vereinzelt Belege, in denen Randgruppe auf Bevölkerungsteile bezogen wird, die geographisch in der Peripherie leben, was bisweilen auch machtpolitische Implikationen hat (1916, 1934). Gerade hier zeigt sich, dass dem Ausdruck Randgruppe eine Raummetaphorik von Zentrum und Peripherie inne liegt. Gelegentlich zeigt sich das im Übrigen noch in jüngeren Bezeugungen (1972b).
In seiner gesellschaftlichen Lesart begegnet Randgruppe wohl in etwa zeitgleich in der soziologischen Fachsprache und im Allgemeinwortschatz (1965a, 1965b), gleichwohl mögen Verwendungen in der Fachsprache der Soziologie zur Ausbildung und Verbreitung der gesellschaftlichen Lesart des Wortes zumindest beigetragen haben. Bis heute findet das Wort auch in fachwissenschaftlichen Texten Verwendung (1990a). Die Ausbildung der auf die Gesellschaft bezogenen Lesarten korreliert schließlich mit der weiteren Verbreitung des Wortes im deutschen Sprachraum.
Auf die Gesellschaft bezogenes Bedeutungsspektrum
Randgruppe nimmt im Themenfeld Politik und Gesellschaft verschiedene Lesarten an. So kann das Substantiv in der allgemeinsten Lesart eine zahlenmäßig kleine Teilgruppe innerhalb der Gesellschaft oder auch eines gesellschaftlichen Teilbereichs bezeichnen (2004). In dieser Lesart begegnet das Wort gelegentlich etwa auch in Bezug auf SubkulturenWGd (1980a, 1983b, 1990b). Verbreiteter sind allerdings Lesarten, in denen das Wort eine innerhalb einer Gesamtgruppe oder insbesondere auch der Gesellschaft insgesamt bedeutungslose (1972a) oder strukturell benachteiligte (2003) bis unterdrückte (1977) Teilgruppe bezeichnet. Im Kontext der Politik begegnet das Wort zudem in Bezug auf radikal-extremistische gesellschaftliche Teilgruppen (1981, 1990c) sowie in Bezug auf radikale Außenflügel einer Partei (2014). Typische Verbindungen, in denen Randgruppe begegnet, sind entsprechend soziale Randgruppe (1974), gesellschaftliche Randgruppe (2001), aber auch Randgruppen der Gesellschaft (1987) und politische Randgruppe (1983a).
Gerade in soziologischen Kontexten bzw. im Sprachgebrauch der Sozialen Arbeit ist Randgruppe ein wertneutrales Wort (2002). Gesellschaftliche Teilhabe bzw. ihre Beförderung ist hier einer der Zusammenhänge, in denen das Wort verwendet wird (1999). Von dieser wertneutralen Lesart her sind auch seltene Bezeugungen wie die privilegierte Randgruppe zu verstehen (1980b). Daneben stehen allerdings auch solche allgemeinsprachlichen Verwendungen, in denen sich mit dem Wort deutlich negative Konnotationen verbinden (1966a).
Randgruppe, Nebengruppe. Semantische Angrenzungen
Das Kompositum Nebengruppe ähnelt auf den ersten Blick dem semantischen Spektrum von Randgruppe in den auf die Gesellschaft bezogenen Lesarten. So trägt es zentral die Bedeutung eine der weniger wichtigen Gruppen innerhalb einer Gruppe
(1896, 1900, 1960; vgl. auch DWDS unter NebengruppeDWDS). Verwendungen in Bezug auf soziale Teilgruppen sind dabei früher belegt als die Bezeugungen von Randgruppe in der gesellschaftlichen Lesart. Anders als Randgruppe ist Nebengruppe dabei allerdings lediglich auf die Gruppe im Speziellen, nicht auf die Gesellschaft im Allgemeinen bezogen. Entsprechend trägt Nebengruppe anders als Randgruppe auch nicht so sehr die zentralen Implikationen gesellschaftlich unbedeutend, benachteiligt, unterdrückt
.
Nebengruppe ist im Übrigen im Deutschen bereits deutlich früher bezeugt: Bereits seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begegnet es als Gegensatz zu Hauptgruppe oder Hauptfigur (1771, 1778, 1786); in dieser Verwendung begegnet das Wort noch bis heute (1993). Daneben kann das Substantiv im Bereich der Chemie auch eine der zehn Gruppen von Elementen des Periodensystems
bedeuten (1897, 2015).
Literatur
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)