Wortgeschichte
Ein Neologismus der 90er Jahre
Anfang der 1990er Jahre begegnet szenig in Kontexten wie diesen: Etwas kann sehr szenig
sein (1991), wichtig wird, daß die Sachen szenig sind
(1997), man strebt an, Ausstellungen [t]rendig, szenig, zeitgeistig
zu machen (1998). Damit ist nicht nur deutlich, dass szenig mit seinem Bedeutungsspektrum im Bereich des Gesellschaftswortschatzes zu verorten ist, zugleich wird erkennbar, dass es als eigenständiges Wort erst in dem Moment überhaupt entstehen kann, in dem das sehr viel ältere Wort Szene die Bedeutung gesellschaftliche Gruppe, Milieu, soziales Umfeld
erhält und damit zu einem Wort des Themenfeldes Gesellschaft wird.
Voraussetzungen für die Bildung von szenig: Szene als Wort des Themenfeldes Gesellschaft
Szene – wortgeschichtlich bis in die griechische Antike zurückzuverfolgen – ist seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Deutschen bezeugt. Zum einen lassen sich Verwendungsweisen mit Bezug auf Theater und dramatische Texte/Filme/Hörspiele usw. unterscheiden. Szene bedeutet hier kleiner Teilabschnitt eines Theaterstücks, Films oder Hörspiels
, Auftritt
sowie Schauplatz der Handlung eines Theaterstücks, Bühne
. Dazu kommen Bedeutungen im übertragenen Sinn, die gleichwohl mit Vorstellungen des Bühnenhaften verbunden sind, so Aussicht, Ansicht, (malerischer) Anblick; Bild, Gemälde
, aber auch (bewegender) Vorgang, Vorfall, Ereignis, Hergang; (überraschendes) Erlebnis
und schließlich Auseinandersetzung, heftiger Wortwechsel, Zank, Streit, Krach
. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch entsteht eine vollständig neue Bedeutung von Szene: Das Wort bezeichnet nun eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe, ein soziales Umfeld, ein Milieu
(vgl. zur detaillierten Darstellung der Wortgeschichte den Eintrag SzeneWGd). Es ist die Entstehung dieser neuen Bedeutung, die die Voraussetzung für die Entstehung des neuen Adjektivs szenig darstellt.
Von Szeneviertel bis Szeneautor: Szene als neues Bestimmungswort in Komposita
Während Szene in der gesellschaftlichen Bedeutung in Wortverbindungen wie politische Szene (1949) oder soziale Szene (1957) bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts bezeugt ist und seit Mitte der 1950er Jahre vereinzelt auch Komposita nachweisbar sind, in denen Szene wie z. B. in Musikszene (1952) das durch das Determinans bestimmte Zweitglied darstellt, ist die Entstehung von Komposita, in denen Szene als Erstglied auftritt – man denke etwa an Szenekünstler, Szenerestaurant, Szenebar, Szenegröße usw. – eine neuere Entwicklung. Sie setzt erst ein, nachdem Szene ab Mitte der 1970er Jahre auch alleine stehend als Wort des Themenfeldes Gesellschaft etabliert ist. Im Gegensatz zu früheren Komposita wie Musikszene handelt es sich bei Komposita wie Szenekneipe (1979) oder SzeneviertelWGd (1986b) nunmehr um solche, bei denen Szene nicht das semantische Grundwort ist und damit nicht mehr das Determinatum, sondern seinerseits das jeweilige Substantiv genauer bestimmt und also das Determinans ist. Zugleich verändert sich hier gegenüber Szene als Grundwort die Bedeutung: Als Determinans bedeutet Szene nicht mehr nur einem bestimmten sozialen Milieu zugehörig
im Allgemeinen (1986a), sondern nun insbesondere auch im Trend liegend, alternativ, dem Zeitgeist entsprechend
im Speziellen (1981).
Szenig oder: Wie aus der neuen Bedeutung von Szene ein neues Adjektiv entsteht
Wohl von diesen Wortbildungen aus entsteht ab den frühen 1990er Jahren – sowohl in den DWDS Referenz- und Zeitungskorpora als auch im Deutschen Referenzkorpus des IDS Mannheim (W – Archiv für geschriebene Sprache) datiert der identische Erstbeleg auf 1991 (1991) – mit szenig ein ganz neues Wort. Das Bedeutungsspektrum des noch jungen Adjektivs umfasst im weiteren Sinn die Bedeutung einer bestimmten Szene, einem bestimmten Milieu entsprechend
, dies durchaus auch mit Bedeutungsaspekten der Ursprünglichkeit und in Abgrenzung von Bedeutungsaspekten wie hip
oder trendig
(2000a, 2005). Im engeren Sinn wird gerade eine besonders im Trend liegende und dem Zeitgeist entsprechende Szene (1998) adressiert. Es ist diese Bedeutung, die insgesamt wohl weiter verbreitet ist (2000b, 2002, 2003, 2004).
Während beim Substantiv Szene also der Wortkörper sowohl auf das Theater im weitesten Sinn bezogen ist als auch seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesellschaftliche Bedeutungen haben kann, verläuft die Entwicklung bei den Adjektiven anders: Im Bereich des auf den Theaterbereich bezogenen Wortschatzes ist szenisch mit der Bedeutung die Szene betreffend, bühnenmäßig
(DWDS unter szenischDWDS) bereits seit dem späten 18. Jahrhundert bezeugt (vgl. 1DFWB 4, 703–704). Dahingegen entsteht für einem bestimmten Milieu entsprechend
bzw. im Trend liegend, dem Zeitgeist entsprechend
mit szenig Anfang der 1990er Jahre ein ganz neues Wort.
Literatur
1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)