Wortgeschichte
Hamburger Popper, der Popper-Knigge und die Verbreitung eines neuen Wortes
Um 1980 begegnet mit Popper ein neues Wort für eine Sozialfigur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1980b). Vermutlich wird es im Raum Hamburg gebildet, jedenfalls soll der Popper als Sozialfigur seinen Ausgangspunkt an Hamburger Gymnasien Ende der 1970er Jahre nehmen und sich von dort verbreiten. Mutmaßlich war das Wort in der gesprochenen Sprache regional bereits Mitte oder Ende der 1970er Jahre verbreitet. Einer der ersten Belege, wenn nicht gar das erste schriftliche Zeugnis für Popper ist dann der Popper-Knigge von Carola Rönneburg und Mathias Lorenz aus dem Jahr 1979, eine satirische Darstellung des Poppers als Typus, die an einem Hamburger Gymnasium verbreitet wurde (vgl. das Memento des Internet Archive). Vor diesem Hintergrund zeigt sich in frühen Bezeugungen in der Regel ein deutlicher Bezug auf Hamburg (1980d). Daneben fällt auf, dass das Wort vor allem Bedeutungsaspekte hat, die stark Aussehen und Auftreten anbelangen (1980d, 2004). Das verdichtet sich in besonderem Maße in zahlreichen die Frisur der Popper betreffenden Wortbildungen wie Popperfrisur (1984), Popperhaarschnitt (1990), Poppertolle (2000b) oder Popper-Matte (2010). Als Popper werden mithin Jugendliche besonders der 1980er Jahre, die auf ein besonders gepflegtes Äußeres und ein entsprechendes Auftreten achten, bezeichnet.
Popper, poppen, poppig und Pop: Ein kompliziertes Verhältnis
Anders als andere Bezeichnungen für Sozialfiguren der Zeit wird Popper nicht (direkt) aus dem Englischen entlehnt, popper hat im anglo-amerikanischen Raum andere Bedeutungen (vgl. hierzu 3OED unter popper, n.). Ein früher Beleg lässt annehmen, dass das deutsche Substantiv Ende der 1970er Jahre vom Verb (herum)poppen mit der Bedeutung mit dem Finger schnippen
abgeleitet wird (1980b). Zwar erwähnt der Popper-Knigge explizit das [u]nrythmisch[e] Fingerschnippen
als charakteristisches Verhalten des Poppers (1979a), auch hat poppen zu dieser Zeit noch nicht die Bedeutung des Neologismus poppen Geschlechtsverkehr haben
, der in den 1990er Jahren aufkommt (vgl. Neologismenwb. unter poppen). Inwieweit allerdings mit dem Finger schnippen
eine Bedeutung in der gesprochenen Sprache war, kann schwer geklärt werden – in der in den konsultierten schriftlichen Überlieferungen abgebildeten Schriftsprache zeigt sich diese Bedeutung jedenfalls nicht.
Wenn Popper auf dem Verb poppen modelliert wird, ist aufgrund der das beeindruckende Äußerliche und das wirkungsvolle Auftreten betreffenden Konnotationen des Substantivs ein Zusammenhang mit dem Verb poppenWGd in der Bedeutung hervorragend und effektvoll, wirkungsvoll oder beeindruckend sein
naheliegender. Allerdings ist dies schwer zu belegen, zumal das mutmaßlich von poppig abgeleitete Verbum in den 1970er Jahren in der DDR-Jugendsprache gebildet wird (1973, 1985c; vgl. auch Heinemann 1989, 88). Möglich erscheint auch ein Zusammenhang mit dem Adjektiv poppigWGd, das in den 1970er Jahren die Bedeutung jugendlich, modisch
ausbildet – allerdings von der Bedeutungslinie die Pop Art betreffend
auch starke Konnotationen des Bunten, des Farbigen, des Knalligen hat und insofern dem tatsächlichen Stil der Popper eher nicht entspricht.
Am Wahrscheinlichsten ist insofern wohl eine Ableitung von Pop in der Bedeutung Popmusik
(vgl. mit dieser Herkunftsangabe Duden online unter Popper sowie 10Paul, 757); allerdings fand sich wohl anders als bei anderen Jugendkulturen kein charakteristischer Musikstil, der den Poppern eigen war.
Zur weiteren Verbreitung des Substantivs mag dann die Presse ihren Beitrag geleistet haben, die die Popper in der ersten Hälfte des Jahres 1980 entdeckt: Sowohl das Zeit Magazin als auch die Zeit und der Spiegel berichten (1980a, 1980b, 1980c). Ab Mitte der 1980er Jahre kann Popper selten auch in Bezug auf nicht-deutschsprachige Gebiete verwendet werden (1985a, 1986a). Ab den 1990er Jahren wird das Wort zunehmend historisierend verwendet (1995, 2000a, 2009).
Popper, Punks und Yuppies: Semantisches Feld
Popper begegnet von Anfang an auffallend oft gemeinsam mit Punk (1980g, 1981a, 1981e). Punk ist als Wort bereits seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre im Deutschen bezeugt (1977a) und kann dabei sowohl eine Jugendkultur (1977b) als auch deren Anhänger (1979b) sowie nicht zuletzt eine Musikrichtung (1978) bezeichnen. Das Wort wird aus dem Englischen entlehnt: punk wird hier seit etwa 1970 mit Bezug auf Punk Rock als Musikstil und Subkultur verwendet. Diese Bedeutung von punk, das im Englischen zahlreiche weitere Lesarten hat, wird hier vermutlich über das Kompositum punk music ausgebildet (vgl. 3OED unter punk, n.1 and adj.2). Im Deutschen begegnet die Bezeichnung für den Anhänger der Jugendbewegung sowohl in der Form Punk (1981b) als auch in der Form Punker (1986b); auch im Plural sind sowohl Punks (1981b) als auch Punker belegt (1980e). Auch die weibliche Form Punkerin (1983) ist bezeugt.
Dass nun Anfang der 1980er Jahre Popper und Punk gerne zusammen begegnen, ja dass die beiden Wörter geradezu die beiden Extrempunkte im semantischen Spektrum der jugendkulturellen Sozialfiguren Anfang der 1980er Jahre markieren (1985b), mag unter anderem mit den jeweiligen Konnotationen zusammenhängen, die beide gleichermaßen stark auf das äußere Erscheinungsbild bezogen sind. Während zu den wesentlichen Bedeutungsaspekten von Popper allerdings, wie gezeigt, gerade ein besonders gepflegtes Erscheinungsbild gehört, verbinden sich mit Punk Konnotationen des Gegenkulturellen (1980f; vgl. auch EstablishmentWGd). Das drückt sich nicht zuletzt in einem unangepassten Erscheinungsbild aus (1979c, 1981c, 1982a), was natürlich sachhistorische Entsprechungen hat. Weitere Konnotationen, die sich mit Punk verbinden, sind Müßiggang und Alkoholgenuss im öffentlichen Raum (1981f, 1981d, 1982b).
Ab Mitte der 1980er Jahre etwa begegnet Popper zudem gelegentlich gemeinsam mit YuppieWGd, das junger, karrierebewusster, großen Wert auf seine äußere Erscheinung legender Stadtmensch, Aufsteiger
bedeutet (1985a, 1988). Auch hier gibt es Überscheidungen hinsichtlich der Konnotationen: Beide Wörter bezeichnen junge Menschen der 1980er Jahre, die großen Wert auf ihr Äußeres legen. Anders als Punk handelt es sich insofern nicht um ein Antonym. Während Popper allerdings auf Jugendliche bezogen wird, werden als Yuppie eher Erwachsene bezeichnet.
Schließlich gehören neben zahlreichen auf Frisuren bezogenen Komposita das Substantiv Poppertum (1985d) – das im Übrigen bereits im Popper-Knigge bezeugt ist – sowie Komposita wie Popper-Kreise (1987) zu den Wortbildungen mit Popper.
Literatur
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
Heinemann 1989 Heinemann, Margot: Kleines Wörterbuch der Jugendsprache. Leipzig 1989.
Neologismenwb. Leibniz-Institut für deutsche Sprache (IDS): Neologismenwörterbuch. (owid.de)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
10Paul Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. 10., überarbeitete u. erweiterte Aufl. von Helmut Henne, Heidrun Kämper und Georg Objartel. Tübingen 2002.