Wortgeschichte
Protestation: (förmlicher) Einspruch
Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Verwendung rückläufig und heute kaum mehr in Gebrauch (vgl. die Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers), bezeichnet das Wort Protestation insbesondere im 16. bis 18. Jahrhundert (1510, 1571, 1639, 1742) eine förmliche Missbilligungsbekundung bzw. als Wort der Rechtssprache seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch eine Rechtsverwahrung, Einwendung (vgl. DRW X, 1383–1384). Gelegentlich begegnet es auch in der Variante Protestierung (1654, 1741c); die Pluralform ist Protestationen (1593).
Etymologisch ist Protestation über das frühneuhochdeutsche protestacion Darlegung, Bezeugung, Versicherung, Bekenntnis
, dann auch Verwahrung, Einspruch
(vgl. fwb-online), das mittelhochdeutsche protestacie (vgl. Lexer III, 342) und das mittellateinische protestatio auf das lateinische prōtēstātio mit der Bedeutung Bezeugen, Dartun
(9Georges 2, 2038; das OLD bucht das Wort nicht) zurückzuführen.
Die rechtliche Dimension des Wortes kommt nicht zuletzt in der lateinischen Wendung prōtēstātio facto contrāria zum Ausdruck (1597). In dieser Verbindung bleibt die juristische Bedeutungsdimension – anders als beim deutschen Wort Protestation – bis in die Gegenwart virulent (1844, 1966). Im 18. Jahrhundert kann Protestation bzw. Protestierung im Wechselrecht und damit zugleich in der Kaufmannssprache ferner eine förmliche Geltendmachung der Ansprüche aus einem Wechsel bei dessen Nichtannahme oder nichterfolgter Zahlung bezeichnen (1741d; vgl. hierzu auch DRW X, 1383–1384).
Protestant: Substantivableitung zu Protestation
Eine historisch wie wortgeschichtlich besonders wirkungsmächtige Protestation ist diejenige der evangelischen Reichsstände beim Reichstag in Speyer im Jahr 1529 (1529). Der Wortlaut der Protestation von Speyer zeigt sich nicht zuletzt auch die Nähe zum Verb protestierenWGd (1529), dessen semantisches Profil zu dieser Zeit noch ein anderes als gegenwärtig ist. Die Protestation von Speyer bleibt wortgeschichtlich nicht folgenlos: Abgeleitet von Protestation, bildet sich im Nachgang das Wort Protestant als Bezeichnung für Anhänger der reformatorischen Bewegung aus (1584, 1667, 1717, 1845, 1951, 2010a). In frühen Belegen (1584, 1717) lässt sich noch die Herkunft von Protestation ablesen. Im 16. Jahrhundert ist zudem die Formvariante ProtestierendeWGd bezeugt; Protestant und Protestierende treten erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts semantisch auseinander.
Daneben muss es allerdings in Zeiten, in denen die Bedeutung Anhänger der Reformation
sich noch nicht vollständig etabliert hat, auch Verwendungen von Protestant in einer rechtlichen Bedeutung gegeben haben; jedenfalls weist Zedlers Universallexikon neben einem Eintrag zu Protestanten, Protestierende Stände
(1741b) auch einen zu Protestanten
mit der Bestimmung in denen Rechten derjenige […], welcher entweder wider einen nicht angenommenen Wechsel, oder wider ein ausgesprochenes Urtheil oder Bescheid protestiret
(1741a). Diese Bedeutung ist heute nicht mehr gängig.
Weitere Bedeutungsentwicklung von Protestation
Heutige Verwendungen von Protestation begegnen überwiegend im Kontext historischer Informationen (1932, 1947, 1990). Vor allem in jüngerer Zeit wird dabei im Elementardiskurs offenbar davon ausgegangen, dass das Wort nicht mehr geläufig (2010b) und damit erklärungsbedürftig ist (1983). Vor diesem Hintergrund ist zudem ein Verlust an semantischer Kontur zu beobachten: Gelegentlich begegnen nun auch Verwendungen in einem unspezifischeren, nicht mehr rechtlichen Sinn (1976). Diese Entwicklung setzt offenbar bereits im 19. Jahrhundert ein (1895).
Literatur
DRW Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Bis Bd. 3 hrsg. von der Preußischen Akad. der Wiss., Bd. 4 hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Berlin, Ost), ab Bd. 5 hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (bis Bd. 8 in Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften der DDR). Bd. 1 ff. Weimar 1912 ff. (adw.uni-heidelberg.de)
FWB Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Hrsg. von Robert R. Anderson [für Bd. 1]/Ulrich Goebel, Anja Lobenstein-Reichmann [ab Bd. 5], Oskar Reichmann. Bd. 1 ff. Berlin u. a. 1986 ff. (fwb-online.de)
9Georges Georges, Karl Ernst: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Aus den Quellen zusammengetragen und mit besonderer Bezugnahme auf Synonymik und Antiquitäten unter Berücksichtigung der besten Hilfsmittel. Bd. 1–2. 9. Aufl., Nachdruck der 8. verbesserten und vermehrten Aufl. Hannover 1913–1918 von Heinrich Georges, Nachdr. der Sonderausg. 1951 der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt. Hannover 1958.
Lexer Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Zugleich als Supplement und alphabethischer Index zum Mittelhochdeutschen Wörterbuch von Benecke-Müller-Zarncke. Bd. 1–3. Leipzig 1872–1878. (woerterbuchnetz.de)
OLD Oxford Latin Dictionary. Ed. by P. G. W. Glare. Oxford u. a. 2000.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Protestation, Protestant.