Wortgeschichte
Protest, Wechselprotest und Protestation: Bezeugungen vor 1800
Während das Verb protestierenWGd, das über das altfranzösische protester und das spätlateinische prōtēstāre auf das lateinische prōtestārī zurückzuführen ist, und bereits im Spätmittelhochdeutschen belegt ist, ist das Substantiv Protest im Deutschen erst seit dem 16. Jahrhundert bezeugt (vgl.
Pfeifer unter ProtestDWDS). Es ist zunächst ein Wort der Kaufmannssprache, wo es Beurkundung über die Verweigerung der Annahme oder Zahlung eines Wechsels
bedeutet (1668, 1680, 1704). Das Substantiv hat dabei eine etwas andere Entlehnungsgeschichte als das Verb: Es wird zum italienischen protesto gebildet, das seinerseits vom spätlateinischen Verb protestare abgeleitet wird (vgl.
Pfeifer unter ProtestDWDS). In frühen Bezeugungen ist das Wort typographisch noch als Fremdwort gekennzeichnet (1668), im Verlauf des 18. Jahrhunderts gehört es dann zum deutschen Wortschatz, jedenfalls ist es nunmehr auch ohne drucktechnische Hervorhebung belegt (1741).
In etwa zeitgleich zu den frühen Bezeugungen von Protest wird zudem das Kompositum Wechselprotest gebildet, das seinerseits eine Urkunde über die Verweigerung der Annahme oder der Zahlung eines Wechsels bezeichnet und damit Bedeutungsüberschneidungen mit Protest hat, ohne dass die beiden Wörter in einem vollständig synonymen Verhältnis zueinander aufgehen (1676, 1756, 1850c, 1955; vgl. auch 1DWB
27, 2755). Es setzt sich aus Protest in der Bedeutung Beurkundung über die Verweigerung der Annahme oder Zahlung eines Wechsels
und Wechsel in der Bedeutung Urkunde für eine Wechselzahlung
zusammen.
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Die Etymologie von Wechsel ist komplex, verwiesen sei hier lediglich darauf, dass bereits das althochdeutsche wehsal auf den Warentausch und -kauf bezogen wird. Im Geldverkehr hat das Wort im 14. Jahrhundert die Bedeutungen Umtausch von Geldsorten’ sowie
Wechselzahlung’, d. h. ‚schriftliche Zusicherung, zu einem späteren Zeitpunkt eine bestimmte Summe zu zahlen’. Aus der Gewohnheit, ein solches Schriftstück anstelle von Bargeld an Dritte weiterzugeben, entwickelt sich im 16. Jahrhundert schließlich die Bedeutung ‚Urkunde für eine Wechselzahlung’ (vgl.
Pfeifer unter WechselDWDS). Vor dem Hintergrund dieser Bedeutungsentwicklung ist wohl die Bildung des Kompositums Wechselprotest zu verstehen.
Als Wort der Kaufmannssprache hat Protest darüber hinaus im 16. bis 18. Jahrhundert erkennbar semantische Überschneidungen mit ProtestationWGd: Beide Wörter haben zu dieser Zeit die Bedeutungen förmliche Geltendmachung der Ansprüche aus einem Wechsel bei dessen Nichtannahme oder nichterfolgter Zahlung
sowie (rechtlicher) Einspruch
(1668, 1703, 1741; vgl.
DRW
X, 1382).
Protest: Bedeutungswandel und Verwendungen im 19. Jahrhundert
Während die Bezeugungsfrequenz von Protestation seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts deutlich sinkt, das Wort heute kaum mehr verwendet wird und erklärungsbedürftig erscheint, durchläuft Protest in den Jahrzehnten zwischen der Mitte des 18. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts einen semantischen Wandel und ist weiterhin in Gebrauch. Erste Anzeichen einer semantischen Transformation reichen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zurück: Protest wird hier nun auch im übertragenen Sinn verwendet, obschon zugleich noch unter erkennbarem Bezug auf rechtliche bzw. kaufmännische Zusammenhänge (1752, 1784). Spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich das Wort aus den ursprünglichen Sachzusammenhängen gelöst und kann nun allgemeiner Verwahrung, Einspruch, Bekundung des Missfallens
bedeuten (1811, 1853, 1855, 1861, 1871a, 1903, 1916, 1930, 1946, 1970a, 2018; vgl.
Pfeifer unter ProtestDWDS).
Dass Protest seit 1800 eine Bedeutungserweiterung erfährt, ist allerdings nicht gleichbedeutend mit dem Verlust seiner älteren, förmlicheren Bedeutung Einspruch erheben
. Diese drückt sich noch heute insbesondere in der Wendung Protest einlegen aus (1840a, 1848a). Insofern löst Protest in dieser Bedeutungslinie in gewisser Weise Protestation sowohl in der kaufmännischen Bedeutung im Speziellen als auch der rechtlichen Bedeutung im Allgemeinen ab (1821b, 1840b, 1871b). Überhaupt ist Protest in seiner engeren, rechtlichen oder förmlichen Verwendung im Verlauf des 19. Jahrhunderts noch ausgesprochen präsent (1835, 1850a, 1850b, 1868, 1885). Zudem scheint der Übergang von rechtlicher, der Schriftform bedürfender Bedeutung zur allgemeineren Bedeutung zunehmend fließend; eine Entscheidung über die Bedeutung ist daher im Einzelfall nicht immer einfach (1873, 1900).
Protest und Protestnote in der Diplomatie
Seit dem 19. Jahrhundert begegnet Protest darüber hinaus im Kontext von Außenpolitik und Diplomatie (1848c, 1850d, 1899, 1933, 1967b). Auch diese Verwendungen sind in die ältere, rechtlich geprägte Bedeutungslinie einzuordnen, wenngleich das Auftreten im Kontext der Diplomatie neu ist. Vor diesem Hintergrund ist weiterhin nicht nur die Verbindung diplomatischer Protest zu verstehen (1848b, 1918, 1980), sondern auch die Ausbildung des Kompositums Protestnote, das seit dem 19. Jahrhundert bezeugt ist und Note in Form eines Protestschreibens
bedeutet (vgl.
DWDS unter ProtestnoteDWDS).
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Gebildet wird Protestnote aus Protest sowie Note in der Bedeutung förmliche schriftliche Mitteilung im diplomatischen Verkehr
(vgl.
DWDS unter NoteDWDS). Während Note in dieser auf das Französische note zurückzuführenden Bedeutung (vgl.
1DWB
13, 903–905) älter ist – die Kollokation diplomatische Note (1821a) ist seit etwa 1800 belegt – ist Protestnote etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts bezeugt (vgl. auch die Wortverlaufskurve für diplomatische Note und Protestnote des Google NGram Viewers).
Protest und Protestler: Bezeugungen im Kontext von Studenten- und Alternativbewegungen des 20. Jahrhunderts
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steigt die Bezeugungsfrequenz des Wortes insgesamt – sprich bedeutungsübergreifend – zunächst signifikant an, bevor sie gegen Ende des Jahrhunderts wieder sinkt (vgl. die Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Zu dieser Zeit begegnet das Wort außerdem in Zusammenhang mit Studenten- und Alternativbewegungen und hat hier erkennbar politische Konnotationen (1966, 1969, 1970a, 1971); ferner ist seit den 1960er Jahren die Kollokation studentische Proteste vermehrt belegt (1967a, 1968, 1970b). Das ist kein Zufall: Protest wird zu dieser Zeit zu einem zentralen Wort des Protestdiskurses 1967/68 mit verschiedenen Bedeutungsebenen. Erstens wird das Wort zu einem semantisch recht unspezifischen Sammelausdruck, der unterschiedliche verbale und nonverbale Konzeptionen widerständischen politischen Handelns bezeichnet. Zweitens bezeichnet es, hier vergleichbar Aktion und Widerstand, spezifische Handlungen im Kontext der Protestbewegungen der Zeit. Schließlich ist Protest ein Element des Gewaltdiskurses (vgl. hierzu im Detail den Wortartikel zu Protest im Diskurswörterbuch Protestdiskurs 1967/68; hier auch detaillierte Informationen zu Wortverbindungen und Wortbildungen im spezifischen Kontext dieses Diskurses). Vor diesem Hintergrund ist auch die zunehmende Verwendung von ProtestlerWGd in Zusammenhang mit der Studenten- und Alternativbewegung zu verstehen.
Daneben wird Protest aber auch weiterhin im Sprachgebrauch der Wirtschaft in der älteren Bedeutung amtliche Beurkundung der Nichtannahme eines Wechsels, der Nichteinlösung eines Wechsels oder Schecks
verwendet (1967c, 1977; vgl. auch Gabler online unter Protest). In der DDR-Rechtssprache bezeichnet Protest zudem das Rechtsmittel des Staatsanwalts gegen ein Urteil des Kreisgerichts oder ein erstinstanzliches Urteil des Bezirksgerichts
(vgl.
WDG
4, 2881DWDS).
Literatur
DRW Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Bis Bd. 3 hrsg. von der Preußischen Akad. der Wiss., Bd. 4 hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Berlin, Ost), ab Bd. 5 hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (bis Bd. 8 in Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften der DDR). Bd. 1 ff. Weimar 1912 ff. (adw.uni-heidelberg.de)
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
Gabler online Gabler Wirtschaftslexikon Online. Das Wissen der Experten. Wiesbaden 2009 ff. (gabler.de)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Protestdiskurs 1967/68 Leibniz-Institut für deutsche Sprache (IDS): Diskurswörterbuch Protestdiskurs 1967/68. (owid.de)
WDG Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für deutsche Sprache und Literatur. Hrsg. von Ruth Klappenbach und Wolfgang Steinitz. Bd. 1–6. Berlin 1964–1977.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Protest, Protestnote, Wechselprotest.