Wortgeschichte
Protestierende, Protestanten und Protestation: Konfessionelle Bedeutungszusammenhänge vor 1800
Protestierender
bzw. häufiger in der pluralischen Sammelbezeichnung Protestierende begegnet im Deutschen seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (1580a), zu dieser Zeit allerdings noch mit einer Bedeutung, die heute nicht mehr gängig ist: In frühen Bezeugungen bedeutet das Wort, Anhänger des evangelischen Glaubens
(1665, 1669, 1716). Es entsteht zeitlich in etwa parallel zu ProtestantWGd. Damit scheint Protestierender
bzw.
Protestierende zunächst eine Variante von Protestant(en) zu sein, das seinerseits vor dem historischen Hintergrund der Protestation der evangelischen Reichsstände beim Reichstag in Speyer im Jahr 1529 auch wortgeschichtlich auf ProtestationWGd zurückzuführen ist. Auch die Variante Protestierender geht auf dieses Ereignis zurück. Für das Wort scheint allerdings weniger Protestation die Ableitungsgrundlage zu sein als vielmehr Kollokationen wie protestierende Stände (1580b, 1584b) und protestierende Churfürsten (1584a).
Vor diesem Hintergrund begegnet in der Nachfolge für einige Zeit auch protestierend als ein Adjektiv mit der Bedeutung protestantisch
(1653, 1681, 1700). Diese Bedeutung ist heute nicht mehr gängig; die Bedeutung des Adjektivs protestierend leitet sich gegenwärtig – sofern nicht in Bezug auf historische Ereignisse verwendet (2017a) – vom Verb protestierenWGd in seiner Bedeutung (spontan) Missfallen bekunden, etwas zurückweisen
ab (2016, 2017b).
Bedeutungserweiterung im 19. Jahrhundert
Bis etwa 1800 wird Protestierende(r) in konfessionellen Kontexten verwendet. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Bezeugungsfrequenz insgesamt gering (vgl. die Wortverlaufskurve des Google NGramViewers). Es fällt zudem auf, dass das Wort nun an semantischer Kontur verliert: Neben Verwendungen in der konfessionellen Bedeutungslinie (1840) begegnet Protestierender nun auch sporadisch in Verwendungen, die auf die rechtliche Bedeutungslinie von Protestation und Protest zurückzuführen sind und in denen Protestierender nunmehr allgemeiner jemanden bezeichnet, der formal Protest einlegt (1844). Daneben stehen im 19. Jahrhundert Belege, in denen Protestierende bereits am Übergang zu einem fortan semantisch weitere gefassten ProtestWGd im Sinne von (öffentliche) Bekundung von Missfallen
zu lesen ist (1885, 1889).
Protestler, Protestierer und Protestierende: Politische Proteste in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Spätestens ab der Mitte des 20. Jahrhundert wird Protestierender schließlich in engem Bezug zum Verb in einer entsprechend sehr allgemeinen Bedeutung von jemand, der (öffentlich) Missfallen an jemandem oder etwas bekundet
verwendet, die keine rechtliche oder förmlichen Bedeutungsaspekte mehr hat (1946, 1956, 1964). Das Wort rückt damit zugleich semantisch in die Nähe von Wörtern wie DemonstrantWGd und ProtestlerWGd (1968, 1983, 1996, 1997). Entsprechend begegnet Protestierender nunmehr auch in Zusammenhang mit den 68er- und Studentenbewegungen und deren Nachfolgern (1970, 1971, 1972, 1995).
Ebenfalls ab der Mitte des 20. Jahrhunderts begegnet zudem die vom Verb abgeleitete Variante Protestierer häufiger (1959, 1960, 1967). Protestierer ist als Synonym zunächst zu ProtestantWGd
bzw.
Protestierender in der entsprechenden Bedeutung (1603) sehr sporadisch bereits seit dem 16. Jahrhundert bezeugt, um 1900 auch als Synonym zu Protestler in der Bedeutung Anhänger der elsaß-lothringischen Protestpartei
(1905). Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts scheint das Wort etwas weitere Verbreitung zu finden (vgl. daneben die Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers), nun in der Bedeutung jemand, der (öffentlich) Missfallen an jemandem oder etwas bekundet
(1959).