Wortgeschichte
Bildung und frühe Verwendungen
Mit Spätaussiedler ist im Deutschen seit den 1950er Jahren (1956a, 1956b, 1967) ein Kompositum zum Grundwort Aussiedler in der bundesdeutschen Lesart deutschstämmige Person, die aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Grenze nach (West-)Deutschland migriert
belegt. Auch Spätaussiedler bezieht sich grundsätzlich auf deutschstämmige Personen, die aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Grenze nach (West-)Deutschland migriert sind (1956c, 1970, 1971a, 1975). Was Aussiedler von Spätaussiedler unterscheidet, ist der Zeitpunkt der Migration: Spätaussiedler kamen bzw. kommen später in die Bundesrepublik als Aussiedler (1971b, 1974). Das Erstglied Spät- stellt damit auch und vor allem eine Binnendifferenzierung innerhalb der Gruppe der Aussiedler selbst her (2013a).
Das Element Spät- in Spätaussiedler
Was einfach klingt, ist im Detail durchaus diffizil. So wäre für entsprechende Personen, die in den 1950er Jahren als Spätaussiedler bezeichnet wurden, gegenwärtig eher die Personenbezeichnung Aussiedler geläufig (vgl. 1959 im Vergleich zu 2013b). Das wiederum hängt mit einer semantischen Verschiebung, die über das Element Spät- in das Kompositum eingebracht wird, zusammen: Was zum jeweiligen Sprechzeitpunkt unter spät
verstanden wird, wandelt sich im Laufe der Jahrzehnte.
So adressiert Spät- in frühen Verwendungen zunächst vor allem eine Abgrenzung zur Zeit der unmittelbaren Vertreibung 1945 (1956c) und Spätaussiedler bezeichnet damit auch Personen, die in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt sind (1960a, 1960b). Im weiteren wortgeschichtlichen Verlauf bezieht sich das Spät- dann auf durchaus veränderliche, sich in der Grundtendenz immer weiter nach hinten verschiebende Zeitpunkte der Migration in die Bundesrepublik (1956c, 1971b, 1992).
Anfang der 1990er Jahre wird Spätaussiedler über die Änderung des Bundesvertriebenengesetzes auch rechtlich bestimmt (1992). Vor diesem Hintergrund bezeichnet Spätaussiedler gegenwärtig auch, wenn nicht gar vornehmlich (mit entsprechender Buchung jedenfalls das DWDS unter SpätaussiedlerDWDS), solche deutschstämmigen Personen, die seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert in die Bundesrepublik Deutschland migriert sind (1991, 1997, 1999, 2013a; ex negativo auch 2013b).
Literatur
Belegauswahl
Plenarprotokoll vom 9. 2. 1956. In: Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll Nr. 02/128 vom 9. 2. 1956, S. 6670. [DWDS] (bundestag.de)Im übrigen sind die gleichen Maßnahmen für die jugendlichen Spätaussiedler aus den Vertreibungsgebieten notwendig.
Plenarprotokoll vom 28. 6. 1956. In: Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll Nr. 02/155, S. 8595. [IDS] (bundestag.de)Damit war das neu auftauchende Problem der Hilfe des Bundes für Spätaussiedler in die Beratungen des Hohen Hauses eingeführt worden.
Plenarprotokoll vom 10. 10. 1956. In: Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll Nr. 02/163, S. 9034. [DWDS] (bundestag.de)Die erste Gruppe umfaßt deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen die Vertreibungsgebiete verlassen haben, also die Spätaussiedler.
Plenarprotokoll vom 3. 6. 1959. In: Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll Nr. 03/70, S. 3711. [IDS] (bundestag.de)Bei der Förderung von zugewanderten Studenten handelt es sich um Flüchtlinge aus der SBZ und Ost-Berlin, Spätheimkehrer, Spätaussiedler, ausländische Flüchtlinge und heimatlose Ausländer.
Bundesregierung: Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (13. ÄndG LAG). In: Deutscher Bundestag: Drucksache Nr. 03/2256 vom 30. 11. 1960, S. 7. [DWDS] (bundestag.de)Der Entwurf verlängert deshalb für Spätaussiedler und Sowjetzonenflüchtlinge, die nach dem 31. Dezember 1956 im Bundesgebiet und in Berlin (West) eingetroffen sind, den Zeitraum der Leistungsgewährung bis längstens zum 31. Dezember 1965.
Plenarprotokoll vom 16. 12. 1960. In: Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll Nr. 03/137, S. 7831. [IDS] (bundestag.de)Bei der Gesetzgebung ging man deshalb davon aus, den Vertriebenen, die unmittelbar in die Bundesrepublik kamen oder als Spätaussiedler heute noch kommen, einen eindeutigen Status zu geben, nach dem jeder, der die Vertreibungsgebiete verlassen mußte, als Vertriebener anerkannt werden und grundsätzlich alle Rechte und Vergünstigungen als Vertriebener in Anspruch nehmen konnte.
Plenarprotokoll vom 8. 11. 1967. In: Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll Nr. 05/131, S. 6628. [IDS] (bundestag.de)Spätaussiedler sind als „Aussiedler“ Vertriebene im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes und genießen alle Rechte und Vergünstigungen, die dieser Personenkreis in Anspruch nehmen kann.
Die Zeit, 6. 11. 1970, S. 9. [IDS]Die meisten dieser Spätaussiedler kommen aus Oberschlesien.
Der Spiegel, 6. 12. 1971, S. 72. [IDS]Seit Jahresanfang sind 27 000 Spätaussiedler aus Polen in die Bundesrepublik gekommen, mit 300 000 rechnet das Rote Kreuz insgesamt – die letzten Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten.
Der Spiegel, 6. 12. 1971, S. 72. [IDS]Es sind Spätaussiedler. Spät, ein Vierteljahrhundert nach dem Kriege, haben sie ihre angestammte Heimat verlassen.
N. N.: Spätaussiedler. In: Aktuelles Lexikon 1974–2000. München 2000 [1974], S. 8. [DWDS]Als ausgesprochen technischen Begriff kennt das Sozialrecht den Spätaussiedler nicht. Vielmehr bezeichnet dieser im politischen Alltag und der Verwaltungssprache eingebürgerte Ausdruck jene Aussiedler, die relativ spät in die Bundesrepublik kamen.
Plenarprotokoll vom 1. 10. 1975. In: Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll Nr. 07/189, S. 13225. [IDS] (bundestag.de)Herr Staatssekretär, können Sie mir darin zustimmen, daß das zwar für Spätaussiedler aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße zutrifft, nicht aber für Aussiedler etwa aus Siebenbürgen, weil gerade bei rumänischen Ehegatten von Personen mit deutscher Volkszugehörigkeit die Schwierigkeit einer Wartezeit von zwei bis drei Jahren besteht?
Plenarprotokoll vom 26. 4. 1991. In: Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll Nr. 12/24, S. 1612. [DWDS] (bundestag.de)Personen, die bei uns als Spätaussiedler und damit als Vertriebene anerkannt werden, verlassen ihre Herkunftsgebiete auch heute noch auf Grund der für sie dort bestehenden besonderen und spezifischen Probleme.
Gesetz zur Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen (Kriegsfolgenbereinigungsgesetz – KfbG). Vom 21. Dezember 1992. In: Bundesgesetzblatt Teil I, 24. 12. 1992, Nr. 58, S. 2094. (bgbl.de)Artikel 1. Änderung des Bundesvertriebenengesetzes. […]
4. Die §§ 4 und 5 werden wie folgt gefaßt:
§ 4 Spätaussiedler
(1) Spätaussiedler ist in der Regel ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion, Estland, Lettland oder Litauen nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor
1. seit dem 8. Mai 1945 oder
2. nach seiner Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31. März 1952 oder
3. seit seiner Geburt, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach Nummer 1 oder des 31. März 1952 nach Nummer 2 erfüllt, es sei denn, daß Eltern oder Voreltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die Aussiedlungsgebiete verlegt haben,
seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte.
(2) Spätaussiedler ist auch ein deutscher Volkszugehöriger aus den Aussiedlungsgebieten des § 1 Abs. 2 Nr. 3 außer den in Absatz 1 genannten Staten, der die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt und glaubhaft macht, daß er am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag.
[…](3) Der Spätaussiedler ist Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes. Sein nicht-deutscher Ehegatte, wenn die Ehe zum Zeitpunkt des Verlassens der Aussiedlungsgebiete mindestens drei Jahre bestanden hat, und seine Abkömmlinge erwerben diese Rechtsstellung mit der Aufnahme im Geltungsbereich des Gesetzes. Sie sind auf Antrag nach Maßgabe des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 102–5, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 29. Juni 1977 (BGBl. I S. 1101) geändert worden ist, einzubürgern.
Berliner Zeitung, 28. 1. 1997. [DWDS]Hinzu kommen rund 1000 Spätaussiedler aus der früheren Sowjetunion.
Berliner Zeitung, 14. 9. 1999. [DWDS]Mit einem ganzen Paket von Maßnahmen wollen die Stadt Strausberg und ortsansässige Vereine die Integration von Spätaussiedlern fördern.
Merkel, Angela: Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf dem Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen, 13. 3. 2013. [DWDS]Seit 1950 haben wir auf diese Weise – auch das muss man sich noch einmal vor Augen führen – 4,5 Millionen Aussiedler, Spätaussiedler und ihre Familienangehörigen aufgenommen.
Friedrich, Hans-Peter: Regierungserklärung des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, 13. 6. 2013. [DWDS] (bundesregierung.de)Im Zeitraum 1950 bis 1988 kamen insgesamt über 1,6 Millionen Aussiedler einschließlich ihrer Angehörigen zu uns.