Wortgeschichte
Coup d’État und Staatsstreich: Lehnwort und Lehnübertragung
Sowohl Coup d’État als auch Staatsstreich sind in deutschsprachigen Quellen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts belegt (1687, 1689), in den frühen Bezeugungen in Übersetzungen aus dem Französischen und/oder mit Frankreichbezug (1678). Beide Wörter gehen auf das französische coup d’état zurück, das mindestens seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Französischen belegt ist (1623; der TLFi bucht coup d’état nicht als eigenständiges Lemma, siehe hier die wenigen Hinweise unter dem Lemma coup). Beim deutschen Coup d’État handelt es sich dann um ein Lehnwort, bei Staatsstreich, ein Kompositum aus Staat und Streich, um eine Lehnübertragung entsprechend coup Schlag; plötzliches (glückliches oder unglückliches) Ereignis
und état Staat
. Streich im Übrigen, das im Deutschen mit der Bedeutung Hieb
seit der mittelhochdeutschen Sprachstufe belegt ist, nimmt seinerseits im 17. Jahrhundert möglicherweise unter Einfluss des französischen coup die Bedeutung unerwarteter Schlag, Handstreich, Schelmenstück
(vgl. 25Kluge, 890).
Abb. 1: DWDS-Wortverlaufskurve zu Staatsstreich und Coup d’État
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Insgesamt ist die Lehnübertragung Staatsstreich in deutschsprachigen Quellen deutlich weiter verbreitet als das Lehnwort Coup d’État (vgl. Abb. 1 sowie die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Coup d’État gilt heute im Übrigen – so beispielsweise die Buchung des Duden online unter Coup d’État – als veraltend, gerät also zunehmend außer Gebrauch.
Von gelungene Staatsunternehmung
zu plötzlicher und gewaltsamer Regierungswechsel
: Semantischer Wandel
Coup d’État und Staatsstreich sind seit ihrer Entlehnung bzw. Lehnbildung Synonyme. Beide bezeichnen zunächst gelungene Unternehmen zugunsten eines Staates (vgl. 1DWB 17, 321, 1682, 1724). Diese Bedeutung hält sich bis zum 19. Jahrhundert, wobei Coup d’État in der Regel typographisch als Fremdwort gekennzeichnet wird (1760, 1785, 1770, 1788). Auf Ebene der Nachschlagewerke finden sich noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entsprechende Definitionen (1836).
Ab der Wende zum 19. Jahrhundert unterliegen sowohl Coup d’État als auch Staatsstreich einem Bedeutungswandel, infolge dessen sie die ursprüngliche Bedeutung verlieren und die neue Bedeutung plötzlicher und gewaltsamer Regierungswechsel
erhalten. Das 1DWB setzt die neue Bedeutung insbesondere seit 1848 an (vgl. 1DWB 17, 321), Belege in der neuen Bedeutung lassen sich allerdings mindestens seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert nachweisen (1791, 1833).
Beide Bedeutungen teilen, dass regierende oder regierungsnahe Akteure den Staatsstreich initiieren, was sich nicht zuletzt in der Wendung Staatsstreich von unten, in der das Attribut anzeigt, dass hier etwas von der regulären Lesart Abweichendes ausgedrückt wird, zeigt (1850, 1907). Zugleich findet gegenüber älteren Verwendungen aber auch insofern eine Veränderung der Konnotationen statt, als nunmehr nicht mehr legitime, sondern illegitime und auch gewaltsamen Handlungen einer Machterweiterung oder -übernahme dienen können. Die Entstehung und Verbreitung der neuen Bedeutung plötzlicher und gewaltsamer Regierungswechsel
, ist dabei wohl auch vor dem Hintergrund einer entsprechenden semantischen Entwicklung des französischen coup d’état zu verstehen (vgl. Pfeifer unter StaatsstreichDWDS). In der Nachfolge der Entstehung der neuen Bedeutung kommt die ursprüngliche zunehmend außer Gebrauch.
In der neuen Bedeutung ist sowohl Staatsstreich (1873, 1923, 2000) als auch Coup d’État (1872, 1927, 2008) bis heute stabil. Seltener begegnen im Übrigen auch übertragene Verwendungen (1861, 1931, 1999).
Semantisches Feld
Von anderen Wörtern des Wortfeldes wie etwa RebellionWGd oder RevolutionWGd sind Coup d’État und Staatsstreich plötzlicher und gewaltsamer Regierungswechsel
vor allem über die Trägerschaft der jeweiligen Handlung abzugrenzen. Während Revolution zentral den Bedeutungsaspekt trägt, dass diese vom Volk ausgeht (1895), implizieren Staatsstreich bzw. Coup d’État eine regierungsnahe Trägerschaft (2008, 1903, 1937, 2017). Allerdings sind die semantischen Grenzen im allgemeinsprachlichen Gebrauch nicht immer ganz klar (1987, 1992a). Eine gewisse semantische Nähe besteht zu PutschWGd (1992b, 2013).
Literatur
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
25Kluge Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin/Boston 2011.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
TLFi Trésor de la language française informatisé (Trésor de la language française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Coup d’État, Staatsstreich.