Wortgeschichte
Wortprägung eines Autors
Das Wort Schickeria ist ein Neologismus der 1950er Jahre, der sich auf den Schriftsteller Gregor von Rezzori zurückführen lässt (1959). Ihm zufolge beschreibt Schickeria jenes Grüppchen innerhalb des bundesdeutschen Sozialgefälles, das sich selbst den Namen Schickeria gegeben hat
(Rezzori 1963, 9). Letztendlich gibt es keine früheren schriftlichen Bezeugungen als solche, die von von Rezzori selbst stammen.
Was die Herkunft des Wortes betrifft, so verweist von Rezzori selbst auf eine einfallsreiche Verschmelzung zweier […] Fremdwörter […] nämlich der dem Modischen entlehnten französischen Vokabel chic […] und dem ursprünglich jiddischen Jargonausdruck schickern, was soviel heißt wie: sich besaufen
(Rezzori 1963, 9–10).1) Wahrscheinlicher ist allerdings die Zurückführung auf das italienische Wort sciccheria raffinierte und kostbare Eleganz; außergewöhnliche Raffinesse; raffiniertes und luxuriöses Objekt
(vgl. GDLI unter sciccherìa und Pfeifer unter SchickDWDS), worauf von Rezzori zusätzlich in einer Fußnote hinweist (vgl. Rezzori 1963, 10).
Wer reinkommt, ist drin
Von Rezzori beschreibt in seinen Ausführungen die Schickeria als eine eher mangelhafte Fortführung der BeaumondeWGd: Lediglich deren ramponierte Kulissen hat die Schickeria übernommen und belebt sie mit den Allüren der demi-monde, übertragen ins biedere Gewissen des deutschen Schunkelgeists
(Rezzori 1963, 11). Die Bezeichnung zielt seit ihrer Einführung in der Tat meist spöttisch bis abwertend auf die medienpräsente, sich extravagant gebende Gesellschaftsschicht (1968, 1974, 1979); bisweilen liegt mit Schickeria ein Bezug auf linke politische Kreise vor (1973b, 1976a). Insbesondere ab Ende der 1970er nimmt die Bezeugungshäufigkeit zu. Auffällig ist, dass mit Schickeria auch oft auf die gut betuchte und durch ausgiebigen Alkohol- und Drogenkonsum in Erscheinung tretendende Schwabinger SzeneWGd abgehoben wird (1977, 1983a, 1985a). Das Bild einer vor allem im süddeutschen Raum beheimateten Schickeria wurde in den 1980ern sicherlich durch Songs wie Schickeria (Spider Murphy Gang 1982) oder die Fernsehserie Kir Royal (Helmut Dietl 1986) mitgeprägt (2014a, 2017c). Das dadurch gehäufte Auftreten von München und Schickeria wird zu einer festen Wortverbindung, die auf eine bestimmte gesellschaftliche Szene Bezug nimmt (1976b, 2005, 2017b). Seit 2002 nennt sich auch die Ultras-Gruppe des FC Bayern München Schickeria. Der Fanklub beschreibt seine Ultra-Bewegung als Ausdruck einer lebendigen JugendkulturWGd (2011b).
Selten wird Schickeria als Synonym zu HautevoleeWGd (1983b, 2016b) aufgefasst, dazu steht das Wort mit ironischer Intention neben Schnösel-Gemeinde (2000a) und Bussi-Gesellschaft (2005) und immer wieder als Gegensatz zu der alteingesessenen oberen Gesellschaftsschicht, der feinen oder guten Gesellschaft (1976b, 1992b, 2014b).
Die Bezeugungsfrequenz von Schickeria ist bis in die Gegenwart keinen größeren Schwankungen unterworfen; einschränkend ist für diese allerdings anzumerken, dass über die rein frequenzielle Korpusauswertung nicht zwischen Kollektiv- und Individuenbezeichnung unterschieden werden kann. Weniger geläufig als Schickeria sind die das Feld ergänzenden Wörter Schickimicki und Adabei (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Wortverlaufskurve zu „Schickeria“ aus dem DWDS Zeitungskorpus
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Angehörige der Schickeria
Seit den 1980ern wird neben Schickeria das durch Reduplikation gebildete Wort Schickimicki (Fleischer/Barz 2012, 94) geläufig. Neben der Bedeutung modischer Kleinkram
(s. Duden online unter Schickimicki; 1984, 1989) wird Schickimicki häufig ironisch für übertrieben modisch gekleidete Person, Snob
(1985b, 2011a) oder Blasiertheit, Überheblichkeit
(1995, 2017a) verwendet. Häufig ist die Lesart Snob, Schickeria
(1996) und das Wort steht meist im Plural (1992a, 2011a). Daneben kommt die Kurzform Schicki und die Lesart Yuppie
(1987, 1997, 2016a, s.a. YuppieWGd) sowie die Paarformel Schicki und Micki (2000b) vor. Die Verwendung als Prädikatsnomen führt dazu, dass das Wort Schickimicki adjektivisch im Sinne von abgehoben, versnobt
gebraucht wird (1993, 2008, 2012).
Bereits einige Jahre früher als Schickeria ist Adabei bezeugt (1952). Zunächst in der recht allgemeinen Lesart jemand, der überall dabei sein möchte
, verengt sich diese Bedeutung und bezeichnet bald jemanden, der einer Clique, der Schickeria angehört (1973a, 1988, 2019). Bei Adabei handelt es sich um ein vor allem im Bairischen und Österreichischen verankerten Kurzwort aus auch dabei (WBÖ 1, 495).
Anmerkungen
1) Schickern im Sinne von Alkohol trinken
ist wohl unmittelbar aus dem Jiddischen in die Mundarten gelangt (vgl. 25Kluge, 803).
Literatur
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.
GDLI Battaglia, Salvatore: Grande dizionario della lingua italiana. Vol. 1–21. Turin 1971–2002. (gdli.it)
25Kluge Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin/Boston 2011.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Rezzori 1963 Rezzori, Gregor von: Schickeria: das Paradies auf Erden, hier und heute: Wesenszüge und Merkmale der führenden und treibenden Kräfte des bundesdeutschen high life. Reinbek b. Hamburg 1963.
WBÖ Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich. Hrsg. von der Kommission für Mundartkunde und Namenforschung. Bearb. von Victor Dollmayr u. a. Wien u. a. 1970 ff. (dioe.at)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Schickeria, Schickimicki, Adabei.