Wortgeschichte
Herkunft und Gebrauch im Englischen
Das Substantiv Suffragette ist im Deutschen seit dem frühen 20. Jahrhundert in der Bedeutung Kämpferin für das Frauenwahlrecht
bezeugt. Das Wort ist eine Entlehnung aus der gleichbedeutenden englischen Bildung suffragette (vgl.
3OED unter suffragette, n.)1). Suffragette ist eine Ableitung vom Substantiv suffrageengl.
Wahl, Stimmrecht, Abstimmung
(vgl.
3OED unter suffrage, n.), das auf gleichbedeutend französisch suffrage
bzw. lateinisch suffrāgium zurückgeht. In Suffragette (und einer vergleichbaren Bildung wie Chansonette) hat das Suffix -ette die Wortbildungsfunktion, eine weibliche Person zu bezeichnen, die mit dem in der Basis benannten Sachverhalt in Beziehung steht (vgl.
3OED unter -ette, suffix 2). Eine Diminutivfunktion, wie in Operette oder Zigarette, hat das Suffix hier wohl nicht. Eine maskuline Form zu Suffragette existiert weder im Deutschen noch im Englischen. Entlehnungen von suffragetteengl. finden sich auch in anderen europäischen Sprachen, zum Beispiel im Französischen, Niederländischen und in den skandinavischen Sprachen.

Abb. 1: „Das interessierte Blatt 26, 28. 3. 1907, Nr. 13, S. 10“
(onb.ac.at) | Lizenzfrei (ANNO/Österreichische Nationalbibliothek)
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Mehr erfahren: Der Kampf für das Frauenwahlrecht in England
Das Wahlrecht für Frauen ist ein zentrales Ziel der britischen Frauenbewegung, die – wie in anderen Ländern auch – seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung gewinnt. Trotz verschiedener Kampagnen von Frauenwahlrechtsvereinen ist das Stimmrecht zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht in greifbare Nähe gerückt. Neben der im Jahr 1897 gegründeten Organisation „National Union of Women´s Suffrage Societies“ (NUWSS), in der sich die Mehrzahl der Wahlrechtskämpferinnen zusammenschließt, kämpft die im Jahr 1903 von Emmeline Pankhurst neu ins Leben gerufene „Women’s Social and Political Union“ (WSPU) vehement für das Frauenwahlrecht. Zunächst wird mit friedlichen Formen des zivilen UngehorsamsWGd auf die fehlenden politischen Rechte der Frauen aufmerksam gemacht. Als Verfechterinnen des aktiven Widerstands organisieren die AktivistinnenWGd rund um Emmeline Pankhurst öffentliche Proteste und Kundgebungen, entsenden Deputationen, stören politische Versammlungen mit Zwischenrufen etc. (vgl.
Karl 2009, 207–246, Günther 2018). Nachdem diese Aktionen jedoch keine Fortschritte für das Frauenwahlrecht auf parlamentarischer Ebene bringen, werden die Protestmittel zur Durchsetzung des Anliegens unter dem WSPU-Motto Deeds not words
radikaler (vgl. Abb. 2 u. 1910a: Suffragettes sprechen aber nicht nur, sie handeln auch).

Abb. 2: „Deeds not Words“ – „WSPU-Treffen in Caxton Hall/Manchester 1908“
Wikimedia Commons (wikimedia.org) | Public Domain Mark 1.0
Mit gezielten, zum Teil gewalttätigen Aktionen, der Zerstörung von öffentlichem und privatem Eigentum durch Brandstiftungen, Bombenanschlägen, Verwüstungen u. a. machen radikalisierte Aktivistinnen auf ihre Forderungen aufmerksam (vgl. z. B. 1909c, 1909f, 1913, 1914). Es kommt immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, zum Beispiel am 18. November 1910, dem sogenannten „Black Friday“. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs stellt der militante Flügel der WSPU die Proteste für das Frauenwahlrecht ein (Günther 2018). Erst nach dem Kriegsende wird Frauen in Großbritannien ein eingeschränktes Wahlrecht für Frauen über 30 Jahre gewährt. Das allgemeine Wahlrecht für alle über 21, unabhängig vom Geschlecht, wird im Jahr 1928 gesetzlich verankert.
Die englische Bildung suffragette wird erstmals in einem Zeitungsartikel der Daily Mail verwendet, in dem über ein Treffen von Wahlrechtsaktivistinnen mit dem ehemaligen Premierminister Arthur Balfour im Januar 1906 in Manchester berichtet wird (1906a; vgl. 3OED unter suffragette, n. 1). Die abwertend und spöttisch konnotierte Wortbildung bezieht sich auf die kämpferischen Aktivistinnen der britischen Frauenwahlrechtsbewegung, insbesondere die „Women’s Social and Political Union“ (WSPU), während mit dem älteren Ausdruck suffragistengl., der bereits seit 1870 im Zusammenhang mit dem Frauenwahlrecht bezeugt ist (vgl. 3OED unter suffragist, n. 2), häufig die gemäßigteren Befürworterinnen, insbesondere die Mitglieder des älteren Verbands von Frauenwahlrechtsvereinen „National Union of Women`s Suffrage Societies“ (NUWSS) bezeichnet werden.

Abb. 3: „The Suffragette. Women’s Social and Political Union, 13. 6. 1913“
Die Bildung suffragetteengl. wird bald in weiteren Presseartikeln aufgegriffen. Zunächst noch in distanzierende Anführungszeichen gesetzt (1906b, 1906c), wird das Wort in der Berichterstattung über die Aktionen der WSPU sehr schnell geläufig. Aber nicht nur die Gegner der Aktionen bzw. des Frauenwahlrechts (zu denen auch viele Frauen gehören, vgl. Iken 2016) verwenden das neue Wort, auch die Aktivistinnen selbst übernehmen den eigentlich abwertend gemeinten Ausdruck suffragetteengl. alsbald in affirmativer Aneignung als Selbstbezeichnung (vgl. Schirmacher 1912, 1). So erhält auch die im Jahr 1912 gegründete und bis 1915 publizierte Zeitschrift der WSPU den Titel The Suffragette (s. Abb. 3).
Suffragette im Deutschen
Mit ihrem Vorgehen und ihren zum Teil spektakulären Aktionen erregen die Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht nicht nur in Großbritannien großes Aufsehen, auch die deutschsprachige Presse berichtet ausführlich über die Ereignisse im Ausland. Das fremdsprachliche Wort Suffragette wird als Exotismus in der Bedeutung Kämpferin für das Frauenwahlrecht
alsbald übernommen. Im Mai 1906d berichtet das Leipziger Tageblatt über eine Abordnung der sogenannten Suffragettes zum englischen Premierminister und über die kleine Studentin Pankhurst wird im Oktober desselben Jahres geschrieben, sie steige ihrer Mutter (also Emmeline Pankhurst) auch einer Suffragette im Gericht auf die Schultern, um eine Rede zu halten (1906e). In der Frühphase der Entlehnung wird das Wort noch gelegentlich in Kleinschreibung und häufig mit englischer Pluralendung verwendet (1906f, 1908a, 1909a), die jedoch schon bald durch die deutsche Pluralform Suffragetten ersetzt wird (1907b, 1909b). Der im Englischen ältere und neben suffragetteengl. gebräuchliche Ausdruck suffragistengl. tritt in deutschsprachigen Texten in der Form Suffragistin nur sporadisch zu Beginn des 20. Jahrhunderts und nur im Zusammenhang mit den Geschehnissen in England auf, wobei meist auf den Unterschied zwischen den zahmen, nur auf gesetzlichem Weg vorgehenden Suffragistinnen und den kämpfenden und wütenden Suffragetten hingewiesen wird (1907b, 1909c, 1909j, 1912a).
Suffragette ist vor allem mit Bezug auf die Protestaktionen für das Frauenwahlrecht in Großbritannien gebräuchlich, hier häufig in der Verbindung englische Suffragette oder Londoner Suffragette (1907a, 1909d). Das Wort wird aber auch als Bezeichnung für die sich im deutschsprachigen Raum für das Wahlrecht einsetzenden Frauen verwendet, zum Beispiel im Zusammenhang mit geplanten (und schließlich wieder abgesagten) Demonstrationen für das Frauenwahlrecht in Berlin und München (1909e, 1909i). Suffragette wird meist abschätzig oder spöttisch verwendet (1909k). Das Wort steht auch im Kontext mit den ebenfalls negativ konnotierten Ausdrücken Mannweib und BlaustrumpfWGd, mit denen den bezeichneten Frauen ihre Weiblichkeit abgesprochen wird (1909b, 1911). Als Ableitung von Suffragette ist Suffragettentum als Abstraktum bezeugt und bezeichnet mit negativer Konnotation das, was mit dieser Personengruppe, ihrem Verhalten und ihren Aktionen zusammenhängt: Im Jahr 1909l wird in einem Presseartikel befürchtet: Jetzt will man das Suffragettentum nach Deutschland importierten.
Der Höhepunkt des Gebrauchs von Suffragette liegt im Deutschen Anfang der 1910er Jahre. Während des Ersten Weltkriegs, als die englischen Aktivistinnen ihre Proteste aufgaben, und spätestens mit dem Inkrafttreten eines neuen Wahlgesetzes, das im Jahr 1918 das allgemeine aktive und passive Wahlrecht einführt, geht der Gebrauch zurück. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist Suffragette nur noch gering bezeugt und vorherrschend in historischer Anwendung mit Bezug auf die Geschehnisse rund um das Frauenwahlrecht Anfang des 20. Jahrhunderts gebräuchlich. Die zunehmende zeitliche Distanz zu den Kämpfen um das Frauenwahlrecht und die dementsprechend damit einhergehende abnehmende Kenntnis der historischen Gegebenheiten sind möglicherweise der Grund dafür, dass das Wort eine Bedeutungserweiterung erfährt: Es wird ab etwa 1950/60 nicht mehr allein in der Lesart militante Kämpferin für das Frauenwahlrecht
, sondern daneben allgemein auch in der Lesart Frauenrechtlerin
verwendet, auch hier mit abwertender Konnotation (1954, 1961, 1967, 1995, 2000).
Frauenrechtlerin
Zeitgleich mit dem frühen Gebrauch von Suffragette im Deutschen werden Wortbildungen wie Stimmrechtskämpferin, Frauenstimmrechtlerin und Frauenrechtlerin synonym verwendet (1908b, 1910b, 1909g). Die oft ablehnende Haltung gegenüber den Anliegen und Forderungen der für das Wahlrecht kämpfenden Frauen sowie die aufgeheizte Stimmung in den Debatten zeigen sich auch in der Verwendung abwertender Bildungen wie Stimmweib und Wahlrechtsweib (1909h, 1912b) und der Verbindung stimmrechtssüchtige Weiber (1907c). Frauenrechtlerin ist die älteste und die bis heute gebräuchlichste Bildung des Wortfelds (z. B. 2015), die seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts – im Zusammenhang mit dem Erstarken der Frauenbewegung – in der Bedeutung Kämpferin für Frauenrechte
belegt ist (1870, 1902).
Abb. 4: „Wortverlaufskurve Frauenrechtler – Frauenrechtlerin“
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Die Wortverlaufskurve (s. Abb. 4) zeigt, dass die movierte Form von Anfang an häufiger verwendet wird als die männliche Form Frauenrechtler. Die Bildung ist eine Ableitung aus der komplexen Substantivbasis Frauenrecht mit dem Suffix -ler; vergleichbare Wortbildungen sind z. B. Bürgerrechtler und Menschenrechtler.
Anmerkungen
1) Suffragette ist nicht, wie bisweilen angegeben (z. B. 25Kluge, 898), und wie man eventuell aufgrund des Wortbildungselements -ette vermuten könnte, aus dem Französischen entlehnt.
Literatur
1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
Günther 2018 Günther, Jana: Die Suffragetten. Mit Militanz zum Frauenstimmrecht. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 12. 10. 2018. (bpb.de)
Iken 2016 Iken, Katja: „Echte Männlichkeit für den Mann, echte Weiblichkeit für die Frau“. Anti-Suffragetten-Kampagne. In: Der Spiegel (online), 16. 4. 2016. (spiegel.de)
Kaiser 2019 Kaiser, Tobias: Die Suffragetten als „Eroberinnen“ des politischen Raumes. Zur Bedeutung von Straße und Parlament als Orte der Politik in der Frauenwahlrechtsbewegung um 1900. In: Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa. Hrsg. von Hedwig Richter/Kerstin Wolff. Hamburg 2018, S. 125–144.
Karl 2009 Karl, Michaela: „Wir fordern die Hälfte der Welt!“. Der Kampf der englischen Suffragetten um das Frauenstimmrecht. Frankfurt a. M. 2009.
25Kluge Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin/Boston 2011.
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Schirmacher 1912 Schirmacher, Kaethe: Die Suffragettes. Neuauflage. Frankfurt 1988 [1. Auflage Weimar 1912]. (projekt-gutenberg.org)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Suffragette, Frauenrechtlerin.