Wortgeschichte
Entlehnung aus dem Französischen
Bürokratie ist ein Lehnwort, das Ende des 18. Jahrhunderts aus dem Französischen ins Deutsche übernommen wurde (vgl. Pfeifer unter BürokratieDWDS). Das französische Kompositum bureaucratie geht zurück auf den Ökonomen Vincent de Gournay (1712–1759), der das Wort als Kunstwort geschöpft hat (vgl. Pfeifer unter BürokratieDWDS). Es setzt sich aus französisch bureau und dem Suffix französisch -cratie zusammen.
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Zur Herkunftsgeschichte
Französisch bureau ist wiederum eine Entlehnung aus dem Lateinischen, die sich auf das vulgärlateinische Wort bura bezieht, das unter anderem Wolle
bedeutet (vgl. 1DHLF 1, 327). Im Altfranzösischen bezeichnet bure zunächst einen groben Wollstoff, der unter anderem zum Beziehen von Schreibtischen verwendet wurde (vgl. 1DHLF 1, 327). In einer metonymischen Bedeutungsübertragung wurde mit französisch bureau zuerst der Schreibtisch und später schließlich das ganze Zimmer – die Schreibstube – benannt (vgl. 1DHLF 1, 327 f.). Das Element französisch -cratie – das sich auch in französischen Bildungen wie aristocratie und démocratie findet (vgl. Pfeifer unter BürokratieDWDS) – geht seinerseits auf altgriechisch krátos mit der Bedeutung Herrschaft, Gewalt, Macht
zurück (vgl. LS, 992). Wörtlich übertragen bedeutet französisch bureaucratie Schreibstubenherrschaft
(1907). Während der Französischen Revolution erfährt französisch bureaucratie eine größere Verbreitung und der Wortgebrauch dieser Zeit prangert unter anderem den übermäßigen Einfluss der Verwaltung und die Macht ihrer Beamten an (vgl. 1DHLF 1, 328). Bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein finden sich im Deutschen auch noch die dem Französischen angenäherten Schreibweisen Bureaukratie (1828, 1928) und Bureaucratie (1848i, 1999c) sowie seltener auch Büreaukratie (1902a).
Erste Verwendungen im Deutschen
In der weiter gefassten Bedeutung Herrschaft des Beamtenapparats, Gesamtheit der Beamten
(vgl. Pfeifer unter BürokratieDWDS; 1861, 1918c) wird Bürokratie seit Ende des 18. Jahrhunderts auch im Deutschen verwendet, wobei das Wort im deutschen Sprachgebrauch zunächst zur Beschreibung französischer Verhältnisse dient (1790, 1838). Wie eng Beamtentum und Bürokratie zusammengedacht werden, zeigt auch das Kompositum Beamtenbürokratie (1946), das allerdings erst im 20. Jahrhundert vermehrt Verwendung findet (Abb. 1).
Abb. 1: Wortverlaufskurve zu „Beamtenbürokratie“
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Der pejorative Wortgebrauch im 19. Jahrhundert
Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wird Bürokratie auch auf deutsche Gegebenheiten der staatlichen Macht und der Verwaltung im Polizeistaat bezogen (1830b, 1848a, 1848e, 1870b). Bürokratie wird dabei vornehmlich im pejorativen Sinn gebraucht, um die Willkür des staatlichen Verwaltungsapparats zu kritisieren (1848a, 1848f) und auch um besonders pedantische Handlungsweisen zu benennen (vgl. Pfeifer unter BürokratieDWDS; vgl. 6Meyers 3,614; 1842, 1980a). Im Zusammenhang der kritischen Haltung gegenüber der staatlichen Verwaltung wird die Bürokratie – neben der engeren Bezogenheit auf die Schreibarbeit (1828, 1898b) – auch mit Geheimniskrämerei (1848c, 1848e, 1883) und Vetternwirtschaft (1849b) assoziiert. An diesen Verknüpfungen lässt sich nachvollziehen, dass Bürokratie – wie etwa auch bei Marx und Engels – als kritisches Schlagwort für die als allmächtig empfundenen Organisationsformen der staatlichen Herrschaft fungiert (1830a, 1870a, 1883). Noch 1907 wird das Lemma Bürokratie in Meyers Großem Konversationslexikon in diesen negativen Aspekten akzentuiert, indem Bürokratie wie folgt expliziert wird:
Bezeichnung für eine kurzsichtige und engherzige Beamtenwirtschaft, der das Verständnis für die praktischen Bedürfnisse des Volkes fehlt; Formenkrämerei, Beamtenherrlichkeit, Herrschaft des grünen Tisches,Geheimratsherrschaft(Bismarck). Auch eine solche Beamtenschaft und ihre Angehörigen nennt man B[ürokratie]. [6Meyers 3,614]
Die Ableitungen Bürokrat und bürokratisch
Im 19. Jahrhundert werden ebenfalls aus dem Französischen die überwiegend pejorativ verwendeten Ausdrücke Bürokrat (von französisch bureaucrate) und bürokratisch (von französisch bureaucratique) entlehnt (vgl. Pfeifer unter BürokratieDWDS; 1830b, 1848b, 1858). Die Bildungen weisen eine Analogie zu den Entlehnungen Demokrat (um 1760 aus französisch démocrate) und Aristokrat (Angehöriger der Aristokratie
, 18. Jahrhundert) sowie zu den Ableitungen demokratisch (Ende des 16. Jahrhunderts) und aristokratisch (17. Jahrhundert) auf (vgl. Pfeifer unter AristokratieDWDS; vgl. Pfeifer unter DemokratieDWDS). Wortschöpfungen dieser Art finden sich vielfach in der Literatur des 19. Jahrhunderts – so etwa auch Autokratie, Plutokratie und Theokratie (vgl. Pfeifer unter DemokratieDWDS). Dabei ist eine semantische Nähe von Bürokrat und Aristokrat sowie zwischen Bürokratie und Aristokratie insbesondere in staatstheoretischen Texten feststellbar (vgl. 1DFWB unter Bürokratie; 1848c, 1848d, 1849a).
Die Semantik von Bürokrat nähert sich mit ihren zumeist negativen Konnotationen (1844, 1848h, 1848g, 1849c, 1900) an die Bedeutung von Pedant und SpießerWGd an (1894, 1976, 1988). Bürokrat wird daher allgemein auch im Sinne von pedantisch Handelnder
gebraucht (1864, 1931, 2010). Das Adjektiv bürokratisch (auch in der Schreibweise bureaukratisch) (1908a) erscheint – bis in den heutigen Sprachgebrauch hinein – sowohl in der Bedeutung der Bürokratie gemäß
(1892, 1960, 2017a) als auch abwertend im Sinne von pedantisch
(1898a, 1905, 1956a, 2000a). Seit dem frühen 20. Jahrhundert ist die Bildung unbürokratisch mit der Bedeutung schnelle Vorgehensweisen, die nicht den üblichen behördlichen Regularien entsprechen
belegt (1921b, 1949a, 2016).
Synonymien und Bedeutungsverwandtschaften
Eine weitgehend synonyme Bildung zu Bürokratie stellt das Substantiv Bürokratismus dar, das seit dem 19. Jahrhundert begegnet und das sich ebenfalls zumeist abwertend auf höhere Behörden und staatliche Organisationsformen bezieht (1887, 1918b, 1918d, 1933, 1947a).
Auch werden Verwaltung und Bürokratie teilweise synonym verwandt (1902b) und in dem Kompositum Verwaltungsbürokratie miteinander verbunden (1930, 1948).
Zu den bedeutungsverwandten Wörtern von Bürokratie gehören – neben Verwaltung – auch Administration (1971b), Behörde (1928, 1947b), Institution (1865), Management (2003a), Beamtenapparat (1928) und Verwaltungsapparat (1952).
Entwicklungen im 20. Jahrhundert
Eine Versachlichung und wissenschaftliche Präzisierung erfährt der Begriff Bürokratie in der soziologischen Auseinandersetzung bei Max Weber, der in seinem postum erschienen Werk Wirtschaft und Gesellschaft
(1921/1922) die Bürokratie als eine legale Herrschaftsform analysiert (1921c, 1921f).1) Das Wort Bürokratie erhält durch Weber – neben dem allgemein eher pejorativen Gebrauch – einen neutraleren Akzent,2) da Weber verschiedene Aspekte der Bürokratie mit einer auf dem Prinzip der Regelgebundenheit und Gleichbehandlung basierenden Rationalität verknüpft (vgl. Wikipedia unter Bürokratie; 1918f, 1921d, 1921e). Unter Bürokratie wird – in Anschluss an Weber – auch eine auf Rationalität basierende Organisationsstruktur verstanden (1981a, 1981b).
Im beginnenden 20. Jahrhundert begegnet im Zusammenhang der Ausweitung bürokratischer Organisationsformen vermehrt die Ableitung Bürokratisierung (1908b, 1918a, 1919, 1921a), bei der es sich vermutlich um eine Entlehnung vom französischen Substantiv bureaucratisation handelt, das im Französischen seit 1905 belegt ist (vgl. 1DHLF 1, 328). Mit dem Begriff Bürokratisierung wird in der Folge die zunehmende Verwaltung des gesamten öffentlichen Lebens kritisiert (1918e, 1954, 1999a). Dabei fällt auch die Wortverbindung von Bürokratisierung und Schematisierung ins Auge (1919, 1921a, 1975). Durch die Kritische Theorie und die studentische Linke der 1968er-Bewegung avanciert zudem auch Bürokratie im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einem Stigmawort, mit dem die bestehenden Herrschaftsmechanismen entlarvt und kritisiert werden (1939, 1967). Nach Hannah Arendt ist die Bürokratie die
vielleicht furchtbarste Herrschaftsform […], welche durch ein kompliziertes System von Ämtern ausgeübt wird, bei der man keinen Menschen mehr, weder den Einen noch die Wenigen, weder den Besten noch die Vielen, verantwortlich machen kann, und die man daher am besten als Niemandsherrschaft bezeichnet. (Im Sinne der Tradition, welche die Tyrannis als die Herrschaft definiert, der man keine Rechenschaft abfordern kann, ist die Niemandsherrschaft die tyrannischste Staatsform, da es hier tatsächlich Niemanden mehr gibt, den man zur Verantwortung ziehen könnte. […].)3)
In der heutigen Verwendungsweise von Bürokratie bestehen neutrale und pejorative Bedeutungen nebeneinander. Bürokratie dient in dem neutraleren Gebrauch dazu, den staatlichen Beamten- und Verwaltungsapparat mit seiner hierarchischen Organisationsform
zu bezeichnen (vgl. DWDS unter BürokratieDWDS; 1956b, 2006). Auch wird Bürokratie als Kollektivum und personifizierend gebraucht, um auf die Gesamtheit der in der Verwaltung Beschäftigten
(1999b, 2007a, 2012) zu referieren. Daneben finden sich weiterhin abwertende Verwendungsweisen im Sinne von übertrieben genau geregelte, starre Verwaltungsordnung (der staatlichen Behörden) und das hiermit verbundene starre Denken und Handeln
(vgl. DWDS unter BürokratieDWDS; 2003b, 2005), die zumeist auch die hierarchische Struktur der Verwaltung kritisieren (1971a, 1996a). Die kritische Haltung zur Bürokratie kommt auch in der abwertenden Wortverbindung aufgeblähte Bürokratie zum Ausdruck, die seit dem frühen 20. Jahrhundert in den Belegen begegnet (1928, 1955, 1972, 2007b). Auch das Kompositum Bürokratieabbau, das seit den 1990er Jahren mehr Durschlagkraft erfährt, drückt eine negative Haltung gegenüber der Dominanz der Bürokratie in staatlichen Verwaltungsbereichen aus (1996b, 2002).
Dieser negativ besetzten Bedeutungslinie sind diverse Wortverbindungen zuzuordnen, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts besonders in der Presse immer wieder Verwendung finden – wie etwa bürokratischer Aufwand (1979, 2015), bürokratische Hürden (2000b, 2017b), bürokratische Hemmnisse (1957, 1984) und bürokratische Hindernisse (1949b, 1980b).
Anmerkungen
1) Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 5. Auflage, hrsg. v. Johannes Winckelmann. Bd. 1 (1921). Tübingen 1976, darin insbesondere das Kapitel III.2: Die legale Herrschaft mit bureaukratischem Verwaltungsstab
, S. 124–130. Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 4. Auflage, hrsg. v. Johannes Winckelmann. Bd. 2 (1922). Tübingen 1956, darin insbesondere das Kapitel Wesen, Voraussetzungen und Entfaltung der bürokratischen Herrschaft
, S. 559–587.
2) Vgl. Derlien, Hans-Ulrich/Doris Böhme/Markus Heindl: Bürokratietheorie. Einführung in eine Theorie der Verwaltung. Wiesbaden 2011, S. 19 ff.
3) Arendt, Hannah: Macht und Gewalt (1970). Aus dem Englischen von Gisela Uellenberg. München 2019, S. 39–40.
Literatur
Derlien/Böhme/Heindl 2011 Derlien, Hans-Ulrich/Doris Böhme/Markus Heindl: Bürokratietheorie. Einführung in eine Theorie der Verwaltung. Wiesbaden 2011.
1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)
1DHLF Dictionnaire historique de la langue française, par Alain Rey et al., 3. Aufl. Bd. 1–2. Paris 2000.
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
LS Liddell, Henry George/Robert Scott: A Greek-English Lexicon. Revised and Augmented thoroughly by Sir Henry Stuart Jones. With a Revised Supplement. Oxford 1996.
6Meyers Meyers großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Bd. 1–24, Kriegsnachtrag Teil 1–2. 6., gänzlich neubearbearbeitete u. vermehrte Aufl. Leipzig 1902–1917.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Wikipedia Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. (wikipedia.org)
Weber 1922 Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 4. Aufl., hrsg. von Johannes Winckelmann. Bd. 2 (1922). Tübingen 1956.
Weber 1921 Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 5. Aufl., hrsg. von Johannes Winckelmann. Bd. 1 (1921). Tübingen 1976.