Wortgeschichte
Wortbildung und Bezeugung
Günstlingswirtschaft ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in deutschsprachigen Texten bezeugt (1849). Die Bildung besteht aus der substantivischen Basis GünstlingWGd in Kombination mit dem Wortbildungselement -wirtschaft. Etwas älter ist das nach identischem Muster zu der Basis Mätresse (offizielle) Geliebte eines Herrschers
gebildete Wort Mätressenwirtschaft (1832, 1847a, 1847b).1)
Beide Kollektiva sind frühe Bildungen mit dem pejorative Funktion aufweisenden Element
-wirtschaftWGd, das ab etwa 1850 verstärkt produktiv wird und in Wörtern wie CliquenwirtschaftWGd und VetternwirtschaftWGd enthalten ist.
Die Wortverlaufskurve des DWDS zeigt, dass die Gebrauchsfrequenz von Günstlingswirtschaft seit Bezeugungsbeginn kontinuierlich steigt. Eine signifikante Gebrauchszunahme ist um 1990 zu verzeichnen. Mätressenwirtschaft bleibt insgesamt vergleichsweise selten.
Abb. 1: DWDS Wortverlaufskurve: „Günstlingswirtschaft“, „Mätressenwirtschaft“
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
In der Kritik: Vorzugsbehandlung bei Hofe und in der Politik
Günstlingswirtschaft bezeichnet die Gesamtheit der Vorgänge und Verhaltensweisen in Bezug auf Günstlingsbeziehungen. Das Wort bezieht sich zum einen (wie die Basis GünstlingWGd in älterer Bedeutung) auf spezielle Verhältnisse in einem Hofstaat, die durch die Beziehung zwischen einer herrschenden Person und dem bevorzugten Günstling bzw. den bevorzugten Günstlingen bestimmt ist. Diese als Günstlingswirtschaft bzw. mit dem Pendant Mätressenwirtschaft bezeichneten Verhältnisse, die Machtpositionen der Begünstigten und ihr Einfluss auf die Politik des Herrschers rufen zumeist Kritik und Unmut hervor. Mit den auch als Wortpaar auftretenden Bildungen Günstlings- und Mätressenwirtschaft kommt im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts eine spezifisch bürgerliche Kritik an der Vorherrschaft und den Privilegien des Adels zum Tragen. Die Bildungen werden stets abwertend verwendet (1863, 1869, 1874, 1876a, 1876b, 1883).
Der gegenwärtige Hauptgebrauch von Günstlingswirtschaft, der außerhalb des höfischen Kontextes liegt, ist schon früh bezeugt. Das Wort bezieht sich auf Begünstigungen und Förderungen in politischen Zusammenhängen oder in beruflicher Hinsicht (1849, 1907, 2004a). In den mit Günstlingswirtschaft bezeichneten Verhältnissen gewährt jemand aus einer Machtposition heraus einer unterstellten Person Zuwendungen oder Vorteile, zum Beispiel bei der Vergabe von Posten oder Aufträgen (1906). Der Ausdruck Günstlingswirtschaft ist häufig im Zusammenhang mit Vorwürfen von Korruption, Manipulation und Misswirtschaft zu finden (1998, 1999, 2017).
Günstlingswirtschaft steht auch in Verbindungen mit den bedeutungsähnlichen -wirtschaft-Wortbildungen CliquenwirtschaftWGd oder VetternwirtschaftWGd (1978, 1997 1998). Diese Bildungen drücken in der Regel ein Begünstigungsverhältnis zwischen gleichrangigen Partnern aus, dagegen impliziert der Ausdruck Günstlingswirtschaft (bestimmt durch die Bedeutung der Substantivbasis) eine nicht ebenbürtige Beziehung, zum Beispiel ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Vorgesetzten und unterstellten Mitarbeitern (2016).
Im Unterschied zu Günstlingswirtschaft kommt die Bildung Mätressenwirtschaft fast ausschließlich historisierend mit Bezug auf frühere Epochen vor (2001). Es ist, wie auch das Wort Mätresse, veraltet und wird nur selten auf heutige Verhältnisse bezogen (2004b, 2005).
Anmerkungen
1) Zu Mätresse vgl. Hohkamp 2019, Pfeifer, Rabeler 2005.
Literatur
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
EdN Enzyklopädie der Neuzeit online. Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern hrsg. von Friedrich Jaeger. Leiden 2019. [basierend auf der Druckausg. im J. B. Metzler Verlag Stuttgart, 2005–2012]. (brillonline.com)
Hohkamp 2019 Hohkamp, Michaela: Art. „Mätresse“. In: Enzyklopädie der Neuzeit Online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Online zuerst: 2019.
Rabeler 2005 Rabeler, Sven: Mätressen. In: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Hrsg. von Werner Paravicini. Bearb. von Jan Hirschbiegel und Jörg Wettlaufer. Bd. 15, II: Teilbd. 1: Begriffe. Ostfildern 2005, S. 61–63. (adw-goe.de)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Günstlingswirtschaft, Mätressenwirtschaft.