Wortgeschichte
Herkunft
Das Verb kungeln wird von den etymologischen Wörterbüchern auf das bereits althochdeutsch bezeugte feminine Substantiv Kunkel zurückgeführt (kunkulaahd., s. EWA 5, 887 und konakla/klonaklaahd., s. EWA 5, 690). Das aus dem Lateinischen entlehnte Wort (s. MLW 2, 893 unter colucula/conuculalat.) bezeichnet ein stabförmiges Gerät, das beim Spinnen verwendet wird, um den Vorrat an noch unversponnenen Fasern zu befestigen. Für dieses Handwerksgerät gibt es landschaftlich neben Wortvarianten wie beispielsweise Gunkel und Konkel auch andere Bezeichnungen wie Rocken/Spinnrocken oder Wocken (vgl. Lühr 2014). Als Familienname ist das alte Wort Kunkel erhalten geblieben (vgl. DFD online), als Gerätebezeichnung ist es – wie das Handwerk der Spinnerei selbst – nicht mehr allgemein bekannt.
Ein früher Nachweis auf ein von Kunkel abgeleitetes Verb findet sich im 17. Jahrhundert bei Kaspar Stieler im Teutschen Sprachschatz, der die Wortform kunkelen mit der lateinischen Angabe linum colo aptare
aufführt, sich bei seiner Bedeutungsangabe also auf das Anlegen der Fasern an die Kunkel bezieht (Stieler, 443; vgl. auch FWB 8, 1821).
Heimliches Reden in der Kunkelstube
Von der Ursprungsbedeutung Spinngut an der Kunkel befestigen/festwickeln
ausgehend entwickelt das Verb kunkeln/kungeln vielfältige Bedeutungsvarianten in den deutschsprachigen Dialekten, wobei stets der Aspekt des Heimlichen und Verschwiegenen im Zentrum der gewandelten Bedeutungen steht. Die in den Dialektwörterbüchern verzeichneten übertragenen Verwendungen wie insgeheim besprechen
(Idiotikon 3, 365) oder heimlich reden, hinterrücks reden, munkeln, heimlich thun
(vgl. Frischbier 1882 1, 446) sind auf die besondere Kommunikationssituation in den Spinnstuben zurückzuführen, in denen traditionell Frauen gemeinschaftlich das Handwerk des Spinnens an der Kunkel ausführten (1838a; vgl. 2004).1)
Diese als Kunkelstuben (1838b; vgl. 1DWB 5, 2663) und auch metonymisch mit dem Wort Kunkel bezeichneten Spinnstuben können als private und geschützte Räume begriffen werden, in denen Frauen in Geselligkeit ungestört Gespräche führen und Geheimnisse austauschen konnten (vgl. Goethes spöttischen Ausdruck Kunkelstubengeschnatter, GWB 5, 794).
Geheime Absprachen im Hinterzimmer
Bis ins 20. Jahrhundert ist kungeln abgesehen von Nachweisen in (Dialekt-)Wörterbüchern nur vereinzelt belegt (1783). Ein regelmäßiger Gebrauch ist seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zu verzeichnen, wobei auch die ältere Form kunkeln gelegentlich noch vorkommt.
Kungeln ist seit den 1950er Jahren in den zuvor dialektal gebräuchlichen Bedeutungen2) geheimen (Tausch-)Handel treiben
(1956, 1964, 1979) und etwa 20 Jahre später in der Bedeutung heimliche Absprachen treffen
(1974, 1977) bezeugt. Offenbar verliert kungeln seitdem allmählich seinen dialektalen Charakter: Es sei ein Sprechwort auf dem Vormarsch zum Schreibwort wird in einer Glosse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die sich dem Wort im Jahr 1969 widmet, beobachtet. Der im Jahr 1973 neu aufgelegte Rechtschreibduden nimmt das Verb kungeln erstmals auf. Dazu schreibt das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL: Immer mehr Umgangssprache wird salonfähig und nennt u. a. kungeln als Beispiel für nun (durch Aufnahme in den Duden) etabliertes Schriftdeutsch (1973a, 1973b). In zeitgenössischen Wörterbüchern wird kungeln noch als umgangssprachliches Wort gekennzeichnet, jedoch sind sowohl kungeln als auch die Wortbildungen Gekungel, Kungelei und auskungeln in fragwürdiger Weise heimlich Absprachen aushandeln
in deutschsprachigen Tageszeitungen (auch in Überschriften wie Autohersteller sollen auch bei Benzinmotoren gekungelt haben 2018) uneingeschränkt gebräuchlich. Man kann davon ausgehen, dass kungeln und seine Wortbildungen inzwischen von der Sprachgemeinschaft als standardsprachlich empfunden werden.
Wortverbindungen und Wortfeld
Das Verb kommt zum Beispiel in den Verbindungen miteinander kungeln und ungeniert kungeln (1992) sowie um Macht/Posten kungeln vor. Das in der übertragenen Bedeutung enthaltene semantische Merkmal des Heimlichen drückt sich in einzelnen Wortumgebungen aus, wie etwa in: hinter den Kulissen (1976), hinter verschlossenen Türen (2015a) und im HinterzimmerWGd kungeln (2008; auch Hinterzimmer-Kungeleien 1998). Kungeln steht zudem häufig im Kontext mit dem Wort VetternwirtschaftWGd (2015b) und wird synonym zu klüngelnWGd (1986) und dem mittlerweile als diskriminierend empfundenen Verb mauscheln verwendet (1975, 1987; zu mauscheln vgl. Duden online).
Kungelei und Gekungel
Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist auch die Wortbildung Kungelei, zuerst in der Wortform Kunkelei, bezeugt (1762, 1791). In den Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts ist die Bildung mit den Angaben Klatscherei, geheimer Verkehr
(Heyse Handwörterbuch 1, 955) und Durchstecherei, welche sich in Geflüster kundgiebt, hinter dem Rücken eines andern handelt
(Frischbier 1882 1, 446) aufgeführt. In dieser Zeit kommt das Wort beispielsweise in den Verbindungen Kungeleien und Fickfackerei (1806), Schleich=Handel und Kungeleien treib[en] (1829), heimliche Kunkeleien (1844) und diplomatische Kunkelei (1877, gegenwärtig: 2013) vor.
Heute wird Kungelei in der Bedeutung geheime Absprache
, verwendet (2000). Das Suffix -ei hat hier (wie auch bei der Bildung KlüngeleiWGd) weniger pejorative Wortbildungsfunktion, sondern kann als salopp-scherzhaft
aufgefasst werden (vgl. Fleischer/Barz 2012, 198–199).
Auch die substantivische Präfixbildung Gekungel/Gekunkel findet sich in Texten des 19. Jahrhunderts, unter anderem in der sich reimenden Paarformel Gemunkel und Gekunkel (1806, 1855). Gegenwärtig ist die Bildung in der Lesart (dauerndes) Kungeln
geläufig (2010).
Anmerkungen
1) Vgl. die einschlägigen etymologischen Wörterbücher (5Duden Herkunft, 25Kluge, Pfeifer). Das 1DWB 5, 2662 weist im Artikel kunkeln auch auf mögliche etymologische Verwandtschaft zu anderen Wörtern, beispielsweise zu dem bedeutungsähnlichen Wort klüngelnWGd, hin.
2) Vgl. die Angaben in Dialektwörterbüchern: heimlich tauschen und verkaufen
(Schambach 1858, 116), heimliche Ränke u. Pläne schmieden, betrügen u. lügen
(Koolmann 1882, 407), heimlich u. unredlich verhandeln
(Rheinisches Wörterbuch 4, 1730), kleine, meist heimliche Tausch- oder Kaufgeschäfte machen
(MeWb 2, 778).
Literatur
DFD Digitales Familienwörterbuch Deutschlands (DFD). (namenforschung.net)
5Duden Herkunft Duden – das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. 5., von Jörg Riecke neu bearbeitete Aufl. Berlin u. a. 2014.
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
EWA Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1 ff. Göttingen u. a. 1988 ff. (saw-leipzig.de)
Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.
Frischbier 1882 Hermann Frischbier: Preußisches Wörterbuch. Ost- und westpreußische Provinzialismen in alphabetischer Folge. Bd. 1–2. Berlin 1882–1883. (archive.org)
FWB Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Hrsg. von Robert R. Anderson [für Bd. 1]/Ulrich Goebel, Anja Lobenstein-Reichmann [ab Bd. 5], Oskar Reichmann. Bd. 1 ff. Berlin u. a. 1986 ff. (fwb-online.de)
GWB Goethe-Wörterbuch. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften [bis Bd. 3, Lfg. 4. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften der DDR], der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. 1 ff. Stuttgart 1978 ff. (woerterbuchnetz.de)
Heyse Handwörterbuch Heyse, Johann Christian August: Handwörterbuch der deutschen Sprache: mit Hinsicht auf Rechtschreibung, Abstammung und Bildung, Biegung und Fügung der Wörter, so wie auf deren Sinnverwandtschaft. Bd. 1–3. Magdeburg 1833–1849. (digitale-sammlungen.de)
Idiotikon Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. Bd. 1 ff. Basel/Frauenfeld 1881 ff. (idiotikon.ch)
25Kluge Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin/Boston 2011.
Koolmann 1882 Koolmann, Jan ten Doornkaat: Wörterbuch der ostfriesischen Sprache. Etymologisch bearbeitet. Bd. 1–3. Norden 1879–1884.
Lühr 2014 Lühr, Rosemarie: Spinne am Morgen bringt Kummer und Sorgen. In: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Heft 13. Leipzig 2014, S. 9–25. (saw-leipzig.de)
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Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
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Schambach 1858 Schambach, Georg: Wörterbuch der niederdeutschen Mundart der Fürstenthümer Göttingen und Grubenhagen oder Göttingisch-Grubenhagen’sches Idiotikon. Hannover 1858. (books.google.de)
Stieler Stieler, Kaspar von: Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder Teutscher Sprachschatz/ Worinnen alle und iede teutsche Wurzeln oder Stammwörter/ so viel deren annoch bekant und ietzo im Gebrauch seyn/ nebst ihrer Ankunft/ abgeleiteten/ duppelungen/ und vornemsten Redarten/ mit guter lateinischen Tolmetschung und kunstgegründeten Anmerkungen befindlich. […] Nürnberg 1691. (mdz-nbn-resolving.de)