Wortgeschichte
Entlehnung aus dem Französischen
Pöbel wurde bereits im Mittelalter (um 1200) aus dem Französischen ins Deutsche übernommen. Ausgangspunkt ist altfranzösisch pueple, pople Volk, Bevölkerung, Leute, Menge
, das auf lateinisch populus Volk
zurückgeht (s. Pfeifer unter PöbelDWDS). Die Form variiert zunächst noch zwischen Pöbel, Pöfel, Bofel u. ä.; erst im 18. Jahrhundert setzt sich die Variante Pöbel endgültig durch. Auch das Genus schwankt bis ca. 1600 noch zwischen Neutrum und Maskulinum, bis Letzteres schließlich die Oberhand gewinnt.
Bedeutungsverschlechterung: Vom Volk zum Pöbel
Das Wort ist zunächst – wie in der Gebersprache Französisch bis heute – eine neutrale Bezeichnung für das einfache Volk
, etwa im Gegensatz zu den Fürsten (1530, 1618) oder zum Hof (1586). Es handelt sich dabei somit um einen Ausdruck zur Kennzeichnung eines grundlegenden gesellschaftlichen Hierarchiegefüges, eines Unterschieds zwischen einer kleinen, meist privilegierten Gruppe auf der einen Seite (die man heute als EliteWGd bezeichnen würde) und der großen Menge der weniger privilegierten Menschen auf der anderen Seite.
Das Wort kann jedoch auch für eine Menschenansammlung, Menschenmenge
stehen, die sich an einem konkreten Ort zusammenfindet (1478/84). Beide Lesarten haben sich bis in die Gegenwart gehalten, und beide haben eine signifikante Bedeutungsverschlechterung erfahren, die schon ab dem 15. Jahrhundert greifbar wird und sich bis zum Ende des 17. Jahrhunderts weitestgehend durchgesetzt hat (vgl. 1625, 1700, z. T. noch neutral im Beleg 1652; zu dieser Entwicklung auch 1DWB 13, 1950).
Diese Bedeutungsverschlechterung von neutralem Volk
zu einer Bedeutung Unterschicht
ist als das auffälligste Kennzeichnen der Wortgeschichte von Pöbel anzusehen. Ergebnis dieses Wandelprozesses ist, dass Pöbel nicht mehr nur in einzelnen Verbindungen (wie gemeiner Pöbel in den Belegen 1584, 1650 oder niederer Pöbel im Beleg 1789), sondern grundsätzlich und in allen Kombinationen abwertend ist. Damit zählt Pöbel neben GesindelWGd zu den ältesten eindeutig pejorativen Bezeichnungen für die Unterschicht der Gesellschaft, zu der nach und nach weitere ebenfalls eindeutig pejorative Wörter wie KanailleWGd, MobWGd oder PackWGd hinzutreten.
Ähnlich wie diese Bezeichnungen leistet Pöbel aber nur bedingt eine ständische Zuordnung (vgl. auch GG 4, 30). Entscheidend für die Zugehörigkeit einer Person oder Gruppe zum Pöbel sind weniger ökonomische oder soziale Kriterien als vielmehr das Verhalten der so Bezeichneten. So neigt der Pöbel zu Aufruhr und Unruhe (1653, 1894), er ist gewalttätig und grausam (1689, 1873, 1940), wankelmütig (1700), einfältig (1708), irrational (1605) und hat keinen Geschmack (1730, 1774a). Dass diese negativen Zuschreibungen den Status der Sprechenden im Hinblick auf Rationalität, Bildung und Geschmack spiegelbildlich erhöhen, gehört fest zum impliziten Bedeutungsgehalt solcher abwertenden Bezeichnungen: Wer verächtlich auf den Pöbel zeigt, macht damit gleichzeitig deutlich, dass er selbst keinesfalls dazugehört. Die negativen Zuschreibungen entsprechen dabei im Großen und Ganzen den seit der Antike gängigen Stereotypen vom Verhalten der unteren Klassen, die auch bei vergleichbaren Wörtern zu Tage treten (vgl. dazu MobWGd).
Mit dem auf der Basis von Pöbel gebildeten Adjektiv pöbelhaft steht seit ca. 1720 ein weiteres Ausdrucksmittel zur Verfügung, mit dem Personen bzw. deren Verhaltensweisen und Äußerungen als unstandesgemäß, unfein oder moralisch verwerflich qualifiziert werden können (vgl. 1724, 1748). Zum Adjektiv findet sich dann auch schon im 18. Jahrhundert die substantivische Eigenschaftsbezeichnung Pöbelhaftigkeit (vgl. 1778)
Aggressive Kommunikation: pöbeln
Das Verb (gegen jemanden/etwas) pöbeln sich schimpfend, grob beleidigend (gegenüber jemandem) äußern
(s. auch pöbelnDWDS) kommt zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf (1912, 1915). Das Verb ist Ergebnis eines Wortartenwechsels ohne eigenes Bildungselement (d. h. Ergebnis einer Konversion) und geht damit auf eine eher seltene Form der Wortbildung zurück. In semantischer Hinsicht ist bemerkenswert, dass im Zuge dieses morphologischen Prozesses nur ein Teilaspekt der Bedeutung von Pöbel in das Verb übernommen wird: Nicht das Verhalten des Pöbels insgesamt, sondern lediglich die als typisch für den Pöbel angesehene Form der aggressiven Kommunikation bildet den inhaltlichen Kern des Verbs. In diesem Zusammenhang ist allerdings auf dialektale Entsprechungen hinzuweisen, die eine breitere Bedeutung zeigen; so etwa ist das Verb im Rheinischen als Gemeinheiten treiben
(s. Rheinisches Wörterbuch 6, 1004) sowie im Schweizerischen als lärmen, Unfug treiben
bezeugt (s. Idiotikon 4, 924). In welchem Verhältnis diese dialektalen Bezeugungen zu dem semantisch etwas engeren Verb der Standardsprache stehen und ob sie ggf. eine Vorstufe darstellen, lässt sich nicht beurteilen.
Pöbelei als denominale Bildung
Das Substantiv Pöbelei ist aus gegenwartssprachlicher Perspektive klar als Ableitung zum Verb pöbeln zu analysieren (wie etwa Drängelei zu drängeln, Meckerei zu meckern usw.).1) Historisch gesehen ist dies freilich unzutreffend, da das Substantiv Pöbelei mit einer Bezeugung mindestens seit dem frühen 18. Jahrhundert deutlich älter ist als das wohl erst nach 1900 aufkommende Verb pöbeln (vgl. 1710, 1774b). Bei Pöbelei handelt es sich somit um eine Ableitung vom Substantiv Pöbel. Mit dieser Form der denominalen Ableitung, die sich auch bei Eselei oder Flegelei findet, wird generell auf ein bestimmtes, überwiegend negativ bewertetes Verhalten abgehoben, das dem Basissubstantiv entspricht: Eine Eselei ist ein Verhalten wie das eines Esels usw. (Fleischer/Barz 2012, 198). Dementsprechend ist auch die Bedeutung von Pöbelei zu beschreiben als für den Pöbel typisches Verhalten, etwas Pöbelhaftes
, so etwa in dem Beleg 1710, wo das Wort in einen Gegensatz zu Tugend gebracht wird, oder im Beleg 1859, wo offenbar von einer Bierhausschlägerei die Rede ist (vgl. ferner 1921 sowie auch 1DWB 7, 1953DWDS etwas pöbelhaftes
). Gemeinsam ist allen Verwendungen die deutlich negative Wertung; diese ist gleich doppelt motiviert, da sie sowohl vom negativen Basiswort Pöbel als auch vom Suffix -ei herrührt, dem vielfach ein tadelnder oder verächtlicher Nebensinn
anhaftet (Paul, Dt. Gr. 5, 82).
Die Ausgangsbedeutung pöbelhaftes Verhalten, Pöbelhaftigkeit
hat sich seit dem 20. Jahrhundert verengt auf verbale Aggression
(1948, 1963, 1966, 1995, 2016); die Grenzen zur physischen Aggression können dabei gelegentlich fließend sein. Diese Bedeutungsverengung hängt wohl damit zusammen, dass das Substantiv nunmehr auf das Verb pöbeln bezogen wird, das seit Beginn des 20. Jahrhunderts belegt ist.
Anmerkungen
1) Zur Wortbildung mit -ei s. Fleischer/Barz 2012, 198.
Literatur
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.
GG Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Bd. 1–8. Stuttgart 1972–1997.
Idiotikon Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. Bd. 1 ff. Basel/Frauenfeld 1881 ff. (idiotikon.ch)
Paul, Dt. Gr. Paul, Hermann: Deutsche Grammatik. Bd. 1–5. Halle a. d. S. 1916–1920.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Rheinisches Wörterbuch Rheinisches Wörterbuch. Auf Grund der von J. Franck begonnenen, von allen Kreisen des rheinischen Volkes unterstützten Sammlung. Bd. 1–9. Bonn/Berlin 1928–1971. (woerterbuchnetz.de)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Pöbel, pöbeln, Pöbelei, pöbelhaft.