Wortgeschichte
Revolution und revolutionieren. Entlehnung und Verbreitung
Abb. 1: DWDS-Wortverlaufskurve zu "Revolution" und "revolutionieren".
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Das Verb revolutionieren ist im Deutschen seit Ende der 1790er Jahre (1799) belegt. Es ist damit deutlich später als das Substantiv RevolutionWGd überliefert, das bereits seit dem 15. Jahrhundert im Deutschen vorhanden ist (vgl. allerdings Seidler 1955, der einen vereinzelten Beleg für revoluciren entsprechend der astrologischen Bedeutung von Revolution für 1517 nachweist: Seidler 1955, 337). Es wird wohl nicht zufällig Ende des 18. Jahrhunderts aus dem Französischen révolutionner ins Deutsche entlehnt – und damit zeitgleich nicht nur zu den Ereignissen der Französischen Revolution, sondern auch zur semantischen Transformation der politischen Bedeutung des Substantivs, das seither plötzlicher, tiefgreifender und oftmals gewalttätiger Vorgang der politischen Staatsumwälzung, der in der Regel vom Volk ausgeht
bedeutet (vgl.
1DFWB
3, 421–422). Mit Blick auf die Verwendungsfrequenz zeigt sich, dass das Verb um 1800 eine kurz Bezeugungsspitze hat, im 19. Jahrhundert dann aber zunächst wieder rückläufig ist, bevor es sich im 20. Jahrhundert deutlich ansteigt (vgl. die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Zugleich zeigt sich aber im Vergleich mit dem Substantiv insgesamt aber auch, dass das Verb deutlich niedrigerfrequent ist (vgl.
Abb. 1 sowie die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).
Bedeutungsspektrum
Obwohl die Entlehnung des Verbs nach Ausweis der ersten Belege (1799) wohl vor dem Hintergrund der Ereignisse der Französischen Revolution einzuordnen ist, sind für das Deutsche des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts überwiegend noch Verwendungen des Wortes zu finden, die keinen direkten Bezug zur französischen Revolution aufweisen (1798, 1804, 1805, 1809, 1834, 1855a). Diese frühen Belege zeichnet aus, dass ihr Bedeutungsspektrum noch jenem vor der Wende zum 19. Jahrhundert deutlich breiteren Bedeutungsspektrum des Substantivs RevolutionWGd entspricht, das erst an der Wende zum 19. Jahrhundert die neue Bedeutung plötzlicher und tiefgreifender politischer Wandel
erhält. Diese Bedeutungen sind für das Verb heute nicht mehr gängig; sie verlieren sich auch für das Substantiv im Verlauf des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Dominanz der um 1800 neu entstehenden Bedeutungen verlieren.
In der politischen Bedeutungslinie trägt revolutionieren dann zentral die Bedeutung durch eine Revolution eine neue Ordnung einführen bzw. herbeiführen wollen
(1832b, 1848). Daneben tritt die Bedeutung jemanden oder etwas auf eine Revolution vorbereiten
(1832a), die etwa in kommunistischen und sozialistischen Kontexten begegnet (1873, 1907). Schließlich sind bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts auch Verwendungen im übertragenen Sinn, in denen das Verb entsprechend der übertragenen Verwendung des Substantivs Revolution nunmehr die Bedeutung tiefgreifende, unhintergehbare Veränderung
annimmt, bezeugt (1807, 1812, 1835). Diese Verwendung scheint gegenwärtig zu dominieren (1949, 2000, 2017).
Die Substantivableitung Revolutionierung
In etwa zeitgleich zum Verb revolutionieren ist mit Revolutionierung zudem eine Substantivableitung belegt (1802, 1832c; vgl. 1DFWB 3, 421–422). Die Wortgruppe Revolution – revolutionieren – Revolutionierung gehört morphologisch betrachtet im Übrigen zu einer Sondergruppe der -ion-Bildungen, insofern Revolution zeitlich vor revolutionieren belegt ist und damit nicht, wie sonst üblich, auf ein zugrundeliegendes Verb beziehbar ist; das Verb wird dann wiederum zur Basis für eine weitere Ableitung auf -ierung (vgl. Fleischer/Barz 2012, 243). Revolutionierung hat seinerseits eine politische Bedeutungslinie (1840, 1855b) wie es auch übertragen verwendet wird (1895, 1911).
Literatur
1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)
Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.
Seidler 1955 Seidler, Franz Wilhelm: Die Geschichte des Wortes Revolution. Ein Beitrag zur Revolutionsforschung. Inaugural-Dissertation, LMU München. München 1955.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu revolutionieren, Revolutionierung.