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asozial Assi · assi

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Asozial, seit Ende des 19. Jahrhunderts bezeugt, wird ab den 1910er Jahren mit gesellschaftlich randständigen Personengruppen verknüpft. Bereits zu Zeiten der Weimarer Republik hat die Fremdzuschreibung die Funktion der diskursiven Ausgrenzung ganzer Personengruppen. Diese Entwicklung setzt sich während des Nationalsozialismus fort; zugleich wird das Wort nun weltanschaulich aufgeladen. Nach 1945/1949 lässt sich hinsichtlich der Verwendung des Wortes zunächst eine Kontinuität beobachten. Im DDR-Sprachgebrauch erhält asozial auch die Bedeutung im Verhalten dem Sozialismus wesensfremd und wird zu einem Rechtsbegriff. Die Wortverwendung in bundesrepublikanischen Kontexten ist hingegen zunehmend nicht mehr politisch oder weltanschaulich grundiert. Gleichwohl bleiben Konnotationen wie obdachlos, ohne Arbeit und kriminell auch weiterhin mit dem Wort verbunden; bis heute werden Sozialschwache als asozial bezeichnet. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehen die neuen umgangssprachlichen und diskriminierenden Wörter Assi und assi.

Wortgeschichte

Von unsozial und antisozial zu asozial: Antonyme zu sozial

Asozial entsteht als Adjektiv Ende des 19. Jahrhunderts – und damit über 100 Jahre nach sozialWGd. Gleichwohl ist asozial nicht das erste im weiteren Sinn als Antonym zu sozial zu verstehende Wort: Seit dem 19. Jahrhundert sind unsozialWGd und antisozialWGd bezeugt (1831; 1818). Asozial wird zunächst in recht unterschiedlichen Kontexten und mit recht unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Das Spektrum reicht in den ersten Jahren von vollständig außerhalb jeglicher menschlichen Gesellschaft stehend (1899) über außerhalb der Gesellschaft, im privaten (1905) bis hin zu am Rande der Gesellschaft stehend (1909). Insgesamt scheint die Bedeutung zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgelegt zu sein. Noch in den 1910er Jahren scheint das Wort, das nun sukzessive eine genauer zu bestimmende Bedeutung erhält, soweit offen zu sein, dass Max Weber es vergleichbar apolitisch verwenden kann (1920).

Verknüpfung mit sozial randständigen Personengruppen: Der Asozialitätsdiskurs der Weimarer Republik

Ab den 1910er Jahren wird das Wort mit gesellschaftlich randständigen Personengruppen verknüpft, so insbesondere mit Prostituierten (1912b), Alkoholikern (1912c), geistig erkrankten Menschen (1909) und Kriminellen (1912d). Über diese Verknüpfung wird asozial nun zu einer negativ konnotierten Fremdzuschreibung, die sich zugleich unmittelbar mit den Topoi Unproduktivität und Arbeitsscheu verbindet (1912b). Das Wort tritt zudem besonders im Kontext der Fürsorge auf (1912d). Diese semantische Entwicklung stellt zugleich die Weichen für die weitere semantische Transformation des Wortes asozial im Verlauf des 20. Jahrhunderts.

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Die mentalitätsgeschichtlichen Wurzeln dieses Diskurses der Weimarer Republik sind dabei wohl in der Frühzeit der protestantischen Arbeitsethik (Weber) und ihrem Arbeitsethos zu suchen (vgl. Korzilius 2005, 697). Dieses Erbe zeigt sich bis in Formulierungen hinein wie [d]as Verlangen der meisten asozial veranlagten Naturen nach einem angenehmen Leben kann sich nur durch das Verbrechen Befriedigung verschaffen (1912a) oder dem Verbrechen verfielen, wenn sie nicht auf diesem Wege einen bequemen und mühelosen Erwerb fänden (1912b).

Bereits in den 1920er Jahren verbindet sich das Wort darüber hinaus mit dem Rassenhygienediskurs:

Das zweite Gesetz soll die Möglichkeit geben, das sogenannte Berufsverbrechertum, das sich aus erblich schwer belasteten, asozialen (gesellschaftsfeindlichen) Elementen zusammensetzt, nach Möglichkeit durch Kastration gänzlich aussterben zu lassen. [1927]

Spätestens jetzt kann asozial über am Rande, außerhalb der Gesellschaft stehend hinaus auch gegen die Gesellschaft gerichtet, gesellschaftsfeindlich bedeuten.

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Die Grundidee der Rassenhygiene lässt sich bis ins Kaiserreich zurückverfolgen. Während der Weimarer Zeit entwickelte sie sich jedoch zu einer sozial-politischen Bewegung mit wissenschaftlichem Anspruch; minderwertige Ballastexistenzen sollen in der Auffassung der Zeit keinesfalls durch aufwändige, aber sinnlose Sozialleistungen künstlich hochgepäppelt werden, während gleichzeitig vollwertige Arbeitskräfte hungerten (vgl. Ayaß 1995, 13). Eine weitere rassenhygienische Argumentationslinie beschwor die unkontrollierte Vermehrung minderwertiger und asozialer Bevölkerungsgruppen herauf (vgl. Ayaß 1995, 13). Vor dem Hintergrund dieses Diskurses war die Ausgrenzung und Verfolgung von Asozialen bis 1938 eng mit der Forderung nach Erlass eines Bewahrungsgesetzes verbunden; Verwahrung bzw. später verharmlosend Bewahrung fungierten dabei als termini technici für geschlossene Fürsorge (vgl. Ayaß 1995, 14).

Von asozial zu gemeinschaftsunfähig. NS-Sprachgebrauch

Bereits zu Zeiten der Weimarer Republik hatte die Fremdzuschreibung asozial damit die Funktion der diskursiven Ausgrenzung ganzer Personengruppen. Diese Entwicklung setzt sich während des Nationalsozialismus zunächst fort; zugleich wird sie spätestens ab 1933 weltanschaulich eingehegt:

Im sozial-politischen Denken des Nationalsozialismus galt der arbeitsscheue Asoziale als Antityp des für die Volksgemeinschaft wertvollen, produktiven Volksgenossen. Asoziale galten jedoch nicht als fremdrassig wie Juden und Zigeuner. Die Asozialen und Minderwertigen bildeten in der rassenhygienischen Theorie den gefährlichen Feind im Innern des Volkskörpers. Asozial wurde als negative Ausgrenzung aus der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft definiert. [Ayaß 1995, 105]

Semantisch schlägt sich dies in der Bedeutungsverschiebung hin zu gemeinschaftsunfähig im Verlauf der 30er Jahre nieder (1942a, 1942b). Das Wort wird in diesen Jahren an den weltanschaulich aufgeladenen Gemeinschafts-, genauer Volksgemeinschaftsbegriff rückgebunden. Asozial ist, wer gemeinschaftsunfähig ist, sprich wer zwar nicht rassisch ausgegrenzt, aber gleichwohl nicht Teil der Volksgemeinschaft ist (1940). Diese semantische Entwicklung kulminiert in den 1930er Jahren in der Prägung der Wörter gemeinschaftsfremd und gemeinschaftsunfähig als Synonyme für asozial (1942a; vgl. hierzu auch Ayaß 1995, 105 und Schmitz-Berning 2000, 263).

Auch wenn asozial zu Zeiten des Nationalsozialismus weltanschaulich aufgeladen wird und hierüber eine neue Bedeutung erhält, so bleibt das Wort doch zugleich semantisch offen: Letztlich bleibt bis zuletzt ungeklärt, wer als asozial oder gemeinschaftsunfähig zu gelten hatte (vgl. [Wissenschaftliche Dienste] 2016, 5). Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die häufigste Art, Asozialität zu erläutern, diejenige war, Beispiele anzuführen (vgl. Scherer 1990, 54). Das hat auch sachhistorische Gründe: Mit der diskursiven Ausgrenzung von asozialen Elementen verbindet sich die systematische Verfolgung ungewollter Personengruppen; die Wortverbindung asoziales Verhalten kann so zu einer Tatbestandsbeschreibung werden, die Verfolgung legitimiert (1943). Die semantische Offenheit der Wörter asozial und Asozialität ermöglicht den Machthabern damit, flexibel auf Störfaktoren des politischen und wirtschaftlichen Systems zu reagieren (Scherer 1990, 56).

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Die staatliche Verfolgung beginnt bereits mit der ‚Bettelrazzia‘ von 1933 (vgl. Ayaß 1995, 20–41). Die Jahre danach sind vor allem durch die auf kommunaler Ebene zu verortenden Internierungen von Asozialen in Arbeitslagern geprägt – eine Praxis, die ihren Ursprung ebenfalls bereits zu Zeiten der Weimarer Republik hat (vgl. Ayaß 1995, 41–67 und 138). Mit dem Erlass über die Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei vom 14. Dezember 1937 wird erstmals eine reichseinheitliche Regelung der gegen Berufsverbrecher bereits seit 1933 angewandten polizeilichen Vorbeugungshaft geschaffen; zugleich wird die Vorbeugungshaft auf Asoziale ausgedehnt (vgl. Ayaß 1995, 139). Dieser Erlass bildet die wichtigste Grundlage für die Verschleppung von Asozialen in die Konzentrationslager. 1938 folgt die Aktion Arbeitsscheu Reich, die für das Vorgehen gegen Asoziale einen Höhe- und Wendepunkt darstellt: Nie zuvor initiierte man im Nationalsozialismus einen derart konzentrierten Angriff gegen subproletarische Schichten. Über 10 000 Menschen verschwanden innerhalb weniger Wochen in den Konzentrationslagern. Die große Bettelrazzia vom September 1933 hatte zwar weit mehr Menschen erfaßt; diese kamen jedoch in der Mehrzahl spätestens nach sechs Wochen wieder frei. Die zwischen dieser Bettelrazzia und der Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ immer wieder durchgeführten regionalen Razzien erreichten bei weitem nicht deren Größenordnung und Effizienz. (Ayaß 1995, 158) Asoziale waren in Konzentrationslagern eine eigene Häftlingskategorie und wurden mit einem schwarzen Winkel auf ihrer Arbeitskleidung gekennzeichnet. Grundlegend neu ist im Nationalsozialismus damit zwar nicht die Definition der Asozialen oder ihre Diskriminierung, wohl aber das radikal-terroristische Vorgehen gegen diese Personengruppen (vgl. Ayaß 1995, 223).

Kontinuität und Wandel. Asozial in DDR und BRD

Nach 1945/1949 lässt sich in der Verwendung des Wortes asozial zunächst eine vielleicht überraschende Kontinuität beobachten – und zwar sowohl in der Bundesrepublik (1954) als auch in der DDR (1960): Die mit dem Begriff ‚asozial‘ verbundenen negativen sozialbiologischen Merkmale (die weit reichende Sanktionsmaßnahmen rechtfertigten) waren fester Bestandteil des sozialpolitischen Diskurses nicht nur in der Weimarer Republik, sondern auch noch lange nach 1945. ([Wissenschaftliche Dienste] 2016, 4).

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Die Kontinuität des Diskurses und der Semantik des Asozialen hat im Übrigen dazu geführt, dass das überharte Vorgehen gegenüber Asozialen im Dritten Reich nach 1945 nicht als typisch nationalsozialistisches Unrecht angesehen wurde, obwohl es hauptsächlich auf der biologischen Lehre von erbkranken Sippen beruhte: KZ-Insassen aus der Gruppe der Asozialen wurden nicht als Opfer des Faschismus anerkannt, ebensowenig Zwangssterilisierte nach dem GzVeN (außer wenn diese Maßnahmen offensichtlich zur politischen Verfolgung gedient hatte). (Korzilius 2005, 699) Infolge dessen ist Mitgliedern der Asozialen-Opfergruppen der Status als NS-Opfer über Jahrzehnte weder in der DDR noch in der Bundesrepublik zuerkannt worden. Das hat zur Folge, dass es eine zielgerichtete Entschädigung dieser Gruppe bislang nicht gegeben hat (vgl. [Wissenschaftliche Dienste] 2016, 20).

Vor diesem Hintergrund haben 2018 einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Petition zur Anerkennung von Asozialen und Berufsverbrechern als Opfer des Nationalsozialismus gestartet. Am 13. Februar 2020 hat der Deutsche Bundestag einen Antrag von CDU/CSU und SPD mit dem Titel Anerkennung der von den Nationalsozialisten als ‚Asoziale‘ und ‚Berufsverbrecher‘ Verfolgten angenommen (vgl. auch die Homepage des Bundestages).

Zu den Kontinuitäten in der Semantik des Wortes asozial und im Asozialitätsdiskurs zählt auch, dass sich in der DDR mit der Fremdzuschreibung asozial erneut nicht nur eine diskursive Ausgrenzung von Personengruppen verbindet, sondern auch, dass die Zuschreibung von Asozialität neuerlich zu einem politischen Herrschaftsinstrument, nun des SED-Regimes, wird. Das manifestiert sich insbesondere im sogenannten Asozialitätsparagraphen im Strafrecht der DDR. Seit 1968 enthält das Strafgesetzbuch der DDR den § 249 Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten, dessen Inhalt (Topos des Arbeitsscheuen, Prostitution [1968]) erkennbar in der Tradition des Asozialitätsdiskurses der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht. Auf der Grundlage des § 249 StGB steigt nicht nur die Anzahl der Verurteilten in den 1970er Jahren explosionsartig an (vgl. Korzilius 2005, 706), vor allem zeigt sich im Laufe der Jahre eine Ausweitung auf neue Personengruppen, so insbesondere auf unangepasste Jugendliche sowie Ausreisewillige (vgl. Korzilius 2005, 706). Das hat Rückwirkungen auf die semantische Kontur des Wortes asozial in der DDR und markiert zugleich den semantischen Wandel gegenüber der nationalsozialistischen Bedeutung gemeinschaftsunfähig: Als asozial bezeichnet wird, wer sich dem Sozialismus wesensfremd verhalte (2001a, vgl. Lindenberger 2005, 238). § 249 StGB (DDR) wurde erst im Zuge der Wiedervereinigung aufgehoben.

Auch im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland wirkt der Asozialitätsdiskurs im Rahmen der durch die Nationalsozialisten eingeführten, nach 1945 beibehaltenen und erst Mitte der 1950er Jahre aufgehobenen Möglichkeit der unbefristeten Unterbringung in einem Arbeitshaus zunächst fort (vgl. Korzilius 2005, 710). Die semantische Entwicklung von asozial hingegen verläuft in den Jahrzehnten danach anders als in der DDR (1996a): Während asozial in der DDR bis zuletzt innerhalb eines strikten Freund-Feind-Denkens des sozialistischen Weltbildes die Funktion der diskursiven Ausgrenzung hat, ist die Wortverwendung in bundesrepublikanischen Kontexten zunehmend nicht mehr politisch oder weltanschaulich aufgeladen. Gleichwohl bleiben Bedeutungsaspekte wie obdachlos, arbeitsscheu und kriminell auch weiterhin mit dem Wort verbunden (1985b, 1996c), und bis heute werden Sozialschwache als asozial bezeichnet (1996a, 1997). Nicht zuletzt werden unangepasst lebende Subkulturen wie Punks als asozial bezeichnet (1998, 2005). Asozial bleibt damit eine mehr oder weniger stark, aber doch immer negativ konnotierte Fremdzuschreibung.

Assi und assi. Neue Wörter im ausgehenden 20. Jahrhundert

Vermutlich ab den 1980er Jahren (1987) treten schließlich Assi bzw. Asi (2001b, 2002) und assi bzw. asi (2002, 2011, 2014) für Asozialer und asozial auf (vgl. 1987, wo Asi der Redaktion der Zeit offenbar noch als erklärungsbedürftig erscheint; 1999). Als Adjektiv ist daneben selten auch asig belegt (1996b, 2000). Es handelt sich um umgangssprachliche Wörter, die häufig diskriminierend sind (2001b, 2017, 2002; vgl. auch Duden online unter Assi und assi). Die Bildung des Substantivs mit dem Suffix -i entspricht einem derzeit hochproduktiven Derivationsmodell; Adjektive sind hier neben einsilbigen bzw. auf eine Silbe reduzierten Substantiven und Verben typische Basen (Fleischer/Barz 2012, 214–215). Insofern ist wohl davon auszugehen, dass sich die Personenbezeichnung Assi auf der Basis des Adjektivs assi bildet. Das Substantiv Assi ist dabei im Übrigen nicht mit dem homonymen Assi für Assistent zu verwechseln wie es beispielsweise im universitären Umfeld lange verwendet wurde (vgl. Duden online unter Assi). Neben die Entstehung der Wörter treten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts umgangssprachliche Verwendungen von asozial mit der Bedeutung unsozial (1971, 1985a).

Literatur

Ayaß 1995 Ayaß, Wolfgang: „Asoziale“ im Nationalsozialismus. Stuttgart 1995.

Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)

Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.

Korzilius 2005 Korzilius, Sven: „Asoziale“ und „Parasiten“ im Recht der SBZ/DDR. Randgruppen im Sozialismus zwischen Repression und Ausgrenzung. Köln 2005.

Lindenberger 2005 Lindenberger, Thomas: „Asoziale Lebensweise“. Herrschaftslegitimation, Sozialdisziplinierung und die Konstruktion eines „negativen Milieus“ in der SED-Diktatur. In: Geschichte und Gesellschaft 31 (2005), S. 227–254. (jstor.org)

Scherer 1990 Scherer, Klaus: „Asoziale“ im Dritten Reich. Die vergessenen Verfolgten. Münster 1990.

Schmitz-Berning 2000 Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin/New York 2000 [Nachdruck der Ausg. Berlin/New York 1998].

[Wissenschaftliche Dienste] 2016 [Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages]: „Asoziale“ im Nationalsozialismus. Aktenzeichen WD 1–3000–026/16, 27. 6. 2016. (bundestag.de)

Belegauswahl

Unsere Verfassungssucht ist nichts weiter, als die Begierde, uns der Despotie des Geldes zu entledigen, welche antisozial, voll hoffärtigen Egoismusses ist, und jene unmoralische Begeisterung, und jene unächte Vernunft erzeugt, welche die letzte schreckliche Revolution hervorgebracht haben.

Cölln, Friedrich von: Rückblicke auf die Literatur der Jahre 1816 und 1817 in politischer, staatswirthschaftlicher, statistischer, geographischer und historischer Hinsicht. Zusammengetragen aus den Freimüthigen Blättern dieser Jahrgänge. Bd. 1. Berlin 1818, S. CCXCVII. (books.google.de)

Es entſteht daraus ebenſowohl ein allgemeines Decouſu, als eine ſtrenge Abſcheidung der einzelnen Elemente, welches, verbunden mit dem an ſich ſchon höchſt unſocialen Weſen der Engländer, den Aufenthalt für den Fremden auf die Dauer unangenehm machen muß, wenn er ſich nicht die intimſten Familienkreiſe öffnen, oder ſelbſt ein lebhaftes politiſches Intereſſe annehmen kann.

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Ein fragmentarisches Tagebuch aus Deutschland, Holland und England, geschrieben in den Jahren 1826, 1827 und 1828. Vierter Theil. Stuttgart 1831, S. 8. (deutschestextarchiv.de)

Die Geschichte kennt keine vollkommen isoliert lebenden Menschen. Anachoreten, die vollkommen asozial leben, oder Kaspar Hauser-Figuren, wie sie schon im arabischen Philosophenroman Hai ben Yokthan umherspuken, sind, bei Lichte betrachtet, nicht viel mehr als modern zurechtgestutzte Romulus- und Remussagen, also soziologische Robinsonaden.

Stein, Ludwig: An der Wende des Jahrhunderts. Versuch einer Kulturphilosophie. Freiburg i. B./Leipzig/Tübingen 1899, S. 213.

Der Traum ist ein vollkommen asoziales seelisches Produkt; er hat einem anderen nichts mitzuteilen; innerhalb einer Person als Kompromiß der in ihr ringenden seelischen Kräfte entstanden, bleibt er dieser Person selbst unverständlich und ist darum für eine andere völlig uninteressant.

Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. In: Ders.: Gesammelte Werke chronologisch geordnet. Bd. 6. London 1940 [1905], S. 204

Antisozial ist ein wenig zu viel gesagt, aber asozial sind die Debilen, insfoern als sie sich nicht um die Gesellschaft, um das Wohlergehen anderer bekümmern und kein Teil daran nehmen trotz recht überschwenglicher Versicherung ihrer Teilnahme.

Zeitschrift für Experimentelle Pädagogik, Psychologische und pathologische Kinderforschung mit Berücksichtigung der Sozialpädagogik und Schulhygiene. IX (1909), S. 54.

Das Verlangen der meisten asozial veranlagten Naturen nach einem angenehmen Leben kann sich nur durch das Verbrechen Befriedigung verschaffen.

Mönkemöller, O.: Kriminalität. In: Grotjahn, Alfred/Kaup, J. (Hrsg.): Handwörterbuch der sozialen Hygiene. Leipzig 1912, S. 688. [DWDS]

Ein gewisser Ausgleich findet dadurch statt, daß die Prostitution einen Teil der weiblichen Elemente für sich in Anspruch nimmt, die zu einer asozialen und unproduktiven Lebensführung neigen und sonst dem Verbrechen verfielen, wenn sie nicht auf diesem Wege einen bequemen und mühelosen Erwerb fänden.

Mönkemöller, O.: Kriminalität. In: Grotjahn, Alfred/Kaup, J. (Hrsg.): Handwörterbuch der sozialen Hygiene. Leipzig 1912, S. 690. [DWDS]

Er schädigt die Nachkommenschaft des Trinkers in körperlicher und geistiger Beziehung, macht sie zu Trinkern, vernichtet in dem wüsten Milieu der Trinkerfamilie die ethische und moralische Entwicklung, macht die Kinder zu Gesetzverächtern oder erzieht sie direkt zu einem asozialen Lebenswandel und fügt zu allen diesen Ursachen noch Not und Entbehrungen.

Mönkemöller, O.: Kriminalität. In: Grotjahn, Alfred u. Kaup, J. (Hgg.) Handwörterbuch der sozialen Hygiene, Leipzig: Vogel 1912, S. 692. [DWDS]

Man strebte an, die Kriminalität der Jugendlichen herabzusetzen, indem geeignete öffentliche Erziehung asoziale und antisoziale Veranlagung unterdrücken und verkümmern sollte. Man wollte den Rückfall verhüten bei solchen, die bereits kriminell geworden waren, und man beabsichtigte schließlich, das Einzelindividuum mit einem solchen Plus an moralischen Begriffen zu entlassen, daß voraussichtlich auch seine künftigen, hinter der Fürsorge gelegenen Jahre sich in geordneter Weise abwickeln werden.

Stelzner, Helene Friederike: Fürsorge- und Zwangserziehung. In: Grotjahn, Alfred/Kaup, J. (Hrsg.) Handwörterbuch der sozialen Hygiene. Leipzig 1912, S. 370. [DWDS]

Dann aber und damit zusammenhängend den asozialen und apolitischen Charakter.

Weber, Max: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. In: Weber, Marianne (Hrsg.): Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. II. Tübingen 1921 [1920–1921 [zuerst 1920]], S. 366. [DWDS]

Das zweite Gesetz soll die Möglichkeit geben, das sogenannte Berufsverbrechertum, das sich aus erblich schwer belasteten, asozialen (gesellschaftsfeindlichen) Elementen zusammensetzt, nach Möglichkeit durch Kastration gänzlich aussterben zu lassen.

Rafaeli, Max/Le Mang, Erwin: Die geheimen Liebesmächte. In: Rafaeli, Max/Le Mang, Erwin: Ueber die Liebe. In: Das große Aufklärungswerk für Braut- und Eheleute. Dresden 1933 [zuerst 1927], S. 102. [DWDS]

Parallel mit der Sicherung der seelischen Haltung des deutschen Volkes gehe der Schutz gegenüber asozialen Elementen. Die von der gesamten Kriegskriminalität gestützte Erfahrung beweise, daß fast alle Kriegsverbrecher langjährige „Kunden“ der Justiz sind.

Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe), 14. 3. 1940, S. 5. [DWDS]

Die Gemeinschaftsunfähigen (Asozialen) wurden eingeteilt in Gemeinschaftsuntüchtige, d. h. diejenigen, die ein wiederholtes asoziales Verhalten gezeigt hatten, ohne kriminell wiederholt auffällig geworden zu sein, und Verbrecher, unter denen lediglich die rückfälligen Kriminellen verstanden wurden.

Kranz, Heinrich W.: Sozial-Biologische Forschungsergebnisse auf den Gebiet des Asozialen-Problems. In: Forschungen und Fortschritte. Nachrichtenblatt der deutschen Wissenschaft und Technik 18 (1942), Nr. 19/20, S. 199. [DWDS]

Ebenso war auch die Prognose der Kinder einer gemeinschaftsunfähigen Person ungünstiger bei Herkunft aus einer asozialen Familie als bei Herkunft aus einer sozialen Familie (Abb. 3).

Kranz, Heinrich W.: Sozial-Biologische Forschungsergebnisse auf den Gebiet des Asozialen-Problems. In: Forschungen und Fortschritte. Nachrichtenblatt der deutschen Wissenschaft und Technik 18 (1942), Nr. 19/20, S. 200. [DWDS]

Wenn mich der Mann verrät, hat die Gestapo eine Handhabe gegen mich (»asoziales Verhalten«).

Klemperer, Victor: [Tagebuch] 1943. In: Ders.: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Berlin 1999 [zuerst 1943], S. 14. [DWDS]

Es ist bekannt, daß die soziale Lage eines Volkes eng mit dem Wohnungsproblem verknüpft ist. Je größer die Wohnungsnot, desto gefährlicher neigt sich die soziale Lage nach dem Negativen, desto größer ist die Gefahr, daß asoziale Elemente überhandnehmen.

Oheim, Gertrud: Das praktische Haushaltsbuch. Gütersloh 1967 [zuerst 1954], S. 60. [DWDS]

In ihrer Mittwochausgabe setzt die Frontstadt-„BZ“ ihren Lesern das Schauermärchen von einem nach Westberlin geflüchteten Gerhard Heidei vor. H., ein asoziales Element, dem seit 10 Jahren Diebstahl, Betrug, homosexuelle Vergehen und Unterschlagung zur Gewohnheit wurden, saß seit 1951 fünfmal im Gefängnis, davon dreimal in West- deutschland.

Neues Deutschland, 1. 12. 1960, S. 1. [DWDS]

§ 249 Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten

(1) Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährdet, daß er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, oder wer der Prostitution nachgeht oder wer sich auf andere unlautere Weise Mittel zum Unterhalt verschafft, wird mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Haftstrafe, Arbeitserziehung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Zusätzlich kann auf Aufenthaltsbeschränkung und auf staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht erkannt werden.

(2) In leichten Fällen kann von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen und auf staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht erkannt werden.

(3) Ist der Täter nach Absatz 1 oder wegen eines Verbrechens gegen die Persönlichkeit, Jugend oder Familie, das sozialistische, persönliche oder private Eigentum, die allgemeine Sicherheit oder die staatliche Ordnung bereits bestraft, kann auf Arbeitserziehung oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren erkannt werden.

§ 249 StGB (DDR) i. d. Fassung vom 12. Januar 1968. In: Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik: StGB; Textausgabe mit Sachregister. Herausgegeben vom Ministerium der Justiz. Berlin 1968, S. 89–90.

Endlich wird dieser Autor „sozialisiert“: vor kurzem legte der Suhrkamp Verlag einen Artmann-Reader vor („The Best of H. C. Artmann“), bald darauf „Von denen Husaren und anderen Seil-Tänzern“ in der Bibliothek Suhrkamp, und nun erscheint endlich, nach der asozial teuren Luxus-Erstausgabe von 1964 bei den Walter-Drucken, eine erschwingliche Ausgabe von Artmanns Tagebuchfragment mit Aufzeichnungen über einen Herbst und Winter in Malmö.

Die Zeit, [Wochenzeitung], 2. 4. 1971, S. 22. [IDS]

es erklingt der Vorwurf, daß Überstunden asozial sind.

Die Zeit, 24. 5. 1985, Nr. 22, Jg. 40, S. 19. [IDS]

die Nichtseßhaften, von den Bürgern und vielen Behörden abschätzig als Penner, Stadtstreicher oder Trebegänger bezeichnet, von den meisten Bürgern als „asozial und arbeitsscheu“ denunziert, fristen ein mehr als kümmerliches Dasein.

Mannheimer Morgen, 14. 11. 1985, Nr. 264, Jg. 40, S. 19. [IDS]

„Heißt doch: Bist’n Asi, bleibst’n Asi (Asozialer, D. Z.). Da kannste nich mehr vor die Tür.

Die Zeit, 23. 1. 1987, Nr. 05. [DWDS] (zeit.de)

Richter: Im Westen heißt das wissenschaftliche Mitarbeiter. Mit der Sprache gibt es oft Probleme. Wenn ich im Kurs das Wort asozial benutze, zucken die West-Studenten immer zusammen. In der DDR hatte das eine andere Bedeutung. Asozial war jemand, der sich nicht in die soziale Gemeinschaft eingefügt hat. Zum Beispiel Künstler, das waren in der DDR asoziale Wesen.

Süddeutsche Zeitung, 8. 5. 1996, Nr. 106, Jg. 52, S. 8. [IDS]

Wollten Sie immer schon einmal gern wissen, warum das Telephonieren so asig teuer geworden ist?

Die Zeit, 17. 5. 1996, Nr. 21. [DWDS] (zeit.de)

Wer Sozialhilfe erhält, werde von seinen Mitmenschen oft abgestempelt. Diese Erfahrung machte nicht nur Sigrid Kloster: „Sozialhilfeempfänger ist gleich dumm, faul, asozial, arbeitsscheu, Analphabet“, heiße es. Das treffe jedoch mitnichten auf jeden Betroffenen zu.

Rhein-Zeitung, 11. 10. 1996. [IDS]

Hat Frau Hansen denn wirklich alle Spiegel aus ihrer Umgebung verbannt, daß sie sich selbst nicht mehr erkennt und andere als dumm, asozial und proletenhaft bezeichne

Rhein-Zeitung, 23. 10. 1997. [IDS]

Manchmal kann man einer Mutter vermitteln, wie sehr sie ihre 14jährige Tochter verletzt, wenn sie sagt: „Du bist faul, häßlich und asozial.“ Und ein kleiner Punk kann akzeptieren lernen, daß er mit seinen Eltern zusammenlebt, auch wenn er die für „rechts“ hält und sich für „links“.

Der Spiegel, [Wochenzeitschrift], 6. 4. 1998, S. 138. [IDS]

Ein Freund begrüßt Jens. „So ein Asi“, flüstert er, „dass der so was macht.“

Der Tagesspiegel, 10. 11. 1999. [DWDS]

„Die fragen dann, ob es nicht asig ist, hier zu wohnen.“

Die Zeit, 28. 9. 2000, Nr. 40. [DWDS] (zeit.de)

Die alte Bundesrepublik entschädigte die Opfer nicht; die DDR hatte ihre sogenannten „Assi“-Lager zur Disziplinierung „asozialer“ und „der sozialistischen Gesellschaftsordnung wesensfremder Verhaltensweisen“.

Der Tagesspiegel, 27. 1. 2001. [DWDS]

Die Anklage wirft den 17 bis 21 Jahre alten Männern vor, einen 60-jährigen Sozialhilfeempfänger ermordet zu haben. „Wir gehen einen Assi klatschen“, soll einer der Täter in der Nacht zum 24. Mai 2000 gesagt und so den Anstoß zu der Bluttat gegeben haben. Das Opfer war in seiner Wohnung in einem Hochhaus in Pankow durch Schläge und Tritte mit Springerstiefeln misshandelt und anschließend von einem der jungen Männer erstochen worden.

Berliner Zeitung, 7. 2. 2001. [DWDS]

Die Asis waren asi, wie alte Menschen alt waren – sie waren immer so gewesen und würden nie anders sein.

Die Zeit, 24. 10. 2002, Nr. 44. [DWDS] (zeit.de)

Einerseits stand Punk auf Seiten der Weltverbesserung, so padeluun, andererseits waren „wir Leute, die total asozial waren“.

die tageszeitung, 23. 11. 2005, Nr. 7827, Jg. 26, S. 25. [IDS]

Die Absage: „Hey, ist echt assi von uns, aber wir müssen dir leider absagen! Franzi ist immer noch down wegen ihrem Ex und zieht jetzt erstmal doch nicht aus. Wenn wir wieder was freihaben, melden wir uns bei dir – versprochen!!“

Süddeutsche Zeitung, 17. 8. 2011, S. 23. [IDS]

„Wat?! Ooch noch Treppen steigen? Dit is ja wohl voll assi!“, empört sich die nun gar nicht mehr Vornehme und blockiert mit ihrem Gepäck lieber den Gang.

Berliner Morgenpost, 3. 8. 2014, S. 2. [IDS]

Wer keine Arbeit hat, der nutzt das Sozialsystem nur aus, lebt auf dessen Kosten. Kurz: Wer keine Arbeit hat, ist ein Assi. Hartz IV garantiert das Allermindeste: eine Wohnung von 89 Quadratmetern für eine Familie mit fünf Kindern.

Die Zeit, 22. 9. 2017 (online). [DWDS] (zeit.de)