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Crème Crème der Gesellschaft

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Crème wurde vom 18. Jahrhundert an mehrfach ins Deutsche entlehnt, und zwar in jeweils unterschiedlichen Bedeutungen (Süßspeise, Sahne, Salbe). Seit Anfang des 19. Jahrhundert wird es auch auf die gesellschaftliche Oberschicht angewandt, wobei vor allem deren Eleganz und Reichtum im Vordergrund stehen. Die auf dem Bild von der Sahne als oberstem und bestem Teil der Milch aufbauende Übertragung findet sich bereits in der französischen Entlehnungsgrundlage. In der Mitte des 19. Jahrhunderts tritt noch die Verbindung Crème der Gesellschaft hinzu, die ebenfalls direkt auf das französische crème de la société zurückgeht.

Wortgeschichte

Die Mehrfachentlehnung von Crème

Das französische Wort crème wurde im Laufe der jüngeren Sprachgeschichte mehrfach und mit jeweils unterschiedlichen Bedeutungen ins Deutsche übernommen: zuerst zu Beginn des 18. Jahrhunderts in den Bedeutungen rahmartige Süßspeise aus Wein, Eidotter u. dgl. sowie Sahne (1715a, 1715b), dann zu Anfang des 19. Jahrhunderts sowohl in der Bedeutung Salbe, Pflegeprodukt mit pastenartiger Konsistenz (1811) als auch für Elite (s. auch 2DWB 5, 1169). Die heutige Bedeutungsvielfalt des Wortes hat sich somit nach und nach aufgebaut (zur französischen Grundlage vgl. TLFi unter crème). Im Hinblick auf die Schreibung hat sich dabei eine partielle Differenzierung etabliert, da sich vor allem für die zuletzt entlehnte Wortbedeutung Salbe, Pflegeprodukt sowie für Sahne, aufgeschlagene Masse auch die eingedeutschte Schreibung Krem herausgebildet hat (vgl. 1932, 1963).

Die Sahneschicht der Gesellschaft

Die Verwendung des Wortes Crème in Bezug auf Personen tritt seit den 1810er Jahren zuerst in deutschen Texten auf (1815, 1835, 1841). Es kommt damit etwas früher auf als die entsprechende Verwendung des Wortes EliteWGd, das ab ca. 1830 zuerst auf soziale Phänomene angewandt wird. Die frühen Belege für diese Verwendung von Crème zeigen dabei durchaus einen ironisch-kritischen Einschlag. So handelt es sich bei der Crème zwar um eine Elite, die Besten innerhalb einer Gruppe; ausschlaggebend für die Zugehörigkeit zur Crème sind jedoch in erster Linie Eleganz und Vornehmheit und damit Faktoren, die nur ein vergleichsweise äußerliches, stark auf Repräsentation beruhendes Sozialprestige begründen.

Die Lesart Crème Elite, die Besten innerhalb einer Gruppe kann als Metapher verstanden werden, die einen kulinarischen Sachverhalt (Sahne) mit einem sozialen Phänomen in Beziehung setzt – und damit sehr weit auseinanderliegende Erfahrungsbereiche miteinander verknüpft. Eine solche Metapher weist bereits das Französische auf, wo das Bild von der Sahne als dem gewissermaßen besten Teil der Gesellschaft mindestens seit dem 16. Jahrhundert präsent ist (vgl. TLFi unter crème sowie 1DHLF, 1027). Die Metapher kann als doppelt motiviert angesehen werden: Einerseits ist die Sahne der hochwertigste Bestandteil der Milch, andererseits setzt sie sich stets oben ab, während die weniger wertvollen Bestandteile nach unten absinken. Die erste Analogie ist so zu verstehen, dass sich die soziale Elite aus den besten und edelsten Repräsentanten der Gesellschaft rekrutiert – die Reichen und Mächtigen sind, vor allem im eigenen Verständnis, stets auch die Guten (was sich z. B. auch in der Polysemie des Adjektivs edel zeigt, das ja sowohl hochwertig als auch adelig bedeutet). Die zweite Analogiebeziehung beruht auf einem allgemeinen Metaphernmuster, das räumliche Verortungen auf Qualitätszuschreibungen projiziert: oben ist gut und unten ist schlecht. In einer vertikalen Konzeption von Gesellschaft handelt es sich dann bei den Reichen und Mächtigen um diejenigen Personen bzw. Gruppen, die oben, an der Spitze, anzusiedeln sind, während am anderen Ende der Skala unten, schlecht bzw. von geringem Sozialstatus miteinander assoziiert sind.1)

Entsprechend dem französischen Gebrauch wird auch im Deutschen Crème Elite, die jeweils Besten innerhalb einer Gruppe mit spezifizierenden Genitivattributen verwendet: das bischen Crème Menschen (1815), die Crème der Saison (1835), der pariser Fashion (1841), unserer Eklektiker (1848), des Theaters (1849), der vermenschlichten Affen (1909), des Stadt- und Landadels (1922). Zuweilen kann das Wort aber auch ohne ein solches Attribut stehen; um welche Bezugsgröße es sich handelt, ist dann dem Kontext zu entnehmen (im Fall des Belegs 1845 handelt es sich um den Adel, im Beleg 1919 um die besten Offiziere). Die Belege lassen, wie oben bereits angemerkt, häufig einen distanzierten und teilweise auch spöttisch-ironischen Unterton erkennen.

Die Crème der Gesellschaft

Von besonderer Bedeutung für das Deutsche ist auch die französische Verbindung la crème de la société (wörtlich die Sahne der Gesellschaft), die als Crème der Gesellschaft übernommen wird (1847, 1890, 1949). Hierbei handelt es sich um eine partielle Lehnübersetzung: Die aus dem Französischen stammende Form Crème bleibt erhalten, de la société wird übersetzt. Diese Fügung hält sich bis in die Gegenwart (vgl. 1960, 2005), während die Verbindung des Wortes mit anderen Attributen offenbar zurückgeht.

Anmerkungen

1) Bei 25Kluge, 176 wird noch auf eine andere mögliche Motivation für das Bild hingewiesen, und zwar auf die Torte, wo die Creme die oberste Schicht darstellt.

Literatur

2DFWB Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler. 2. Aufl., völlig neu erarbeitet im Institut für Deutsche Sprache von Gerhard Strauß u. a. Bd. 1 ff. Berlin/New York 1995 ff. (owid.de)

1DHLF Dictionnaire historique de la langue française, par Alain Rey et al., 3. Aufl. Bd. 1–2. Paris 2000.

2DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Deutsche Akademie der Wissenschaften) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–9. Stuttgart 1983–2018. (woerterbuchnetz.de)

25Kluge Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin/Boston 2011.

TLFi Trésor de la langue française informatisé (Trésor de la langue française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)

Belegauswahl

Creme,

Iſt ein Eſſen, ſo aus Wein, vielen Eyerdottern, Zucker und andern Dingen gekochet, und als ein dicker Milch-Rahm oder Gallerte vorgeſtellet wird.

Corvinus, Gottlieb Siegmund: Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon. Leipzig 1715, Sp. 387–388. (deutschestextarchiv.de)

Rahm oder Saane, auch Rohm,

Cremor lactis (Flos lactis) Creme, iſt das beſte und fette oben auf der Milch, daraus nicht nur die Butter gemacht wird, ſondern er koͤmmt auch an viel Eſſen und Gebackens.

Corvinus, Gottlieb Siegmund: Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon. Leipzig 1715, Sp. 1585–1586. (deutschestextarchiv.de)

zur bequemlichkeit der badegäste .. wird von diesem creme [zur reinigung der haut] immer eine genügliche menge vorräthig seyn.

²DWB 5, 1169 (ztg. f. d. elegante welt (12.1.)70). (woerterbuchnetz.de)

Da erklärte ich Ihnen, daß die arme Landleute […] bloß für ihren Hof beſorgt wären, den vertheidigten, und den Feind, den verzehrenden, fürchteten. Ich erließ ihnen noch die Demonſtration, warum dieſe Klaſſe nicht national ſein könnte: wie ſie nur den Druck, die Laſt, die Arbeit für das bischen Crême Menſchen hat, die in Ambition — nicht Ehrgeiz — und Genuß wühlen und ſchwelgen, und für welche allein nur noch die Landesgeſetze geſchaffen ſind und leben.

Varnhagen, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Zweiter Theil. Hrsg. von Karl August Varnhagen von Ense. Berlin 1834, S. 309. (deutschestextarchiv.de)

Auf die regneriſchen Tage folgten mit dem Sonnenſcheine tauſend Aufforderungen der Natur, ihre Reize zu genießen. Bis in die entfernteſte Umgegend trugen Eſel und kleine Gefährte den weiblichen Theil der Geſellſchaft, welche als die Crème der Saiſon ſich zuſammengefunden hatten.

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim 1835, S. 69. (deutschestextarchiv.de)

Tagelang vorher läßt er sich in den Journalen ankündigen, und in großen Lettern findet man die Annonce: Pater Lacordaire werde an diesem oder jenem Tage in dieser oder jener Kirche, und zwar „in seinem Costüme als Dominikaner“ predigen u. s. w.; da strömt denn freilich die Crème der pariser Fashion durch die Kirchthüren, denn Kirche oder Schauspiel! Sie will ja nur sehen und gesehen werden […], sie sucht ja nur ein Mittel um ihre erstarrte Salonsunterhaltung anzufrischen, ein Stichwort der Gesellschaft, und ihr ist es gleich, ob es eine schauspielerische Jüdin oder ein predigender Mönch ist — wenn nur die Mode sie zum Stichwort nimmt.

Die Grenzboten 1 (1841), S. 142. (deutschestextarchiv.de)

[…] hier [in Wien] werden selbst dem genialsten Staatsmann seine bürgerlichen Eltern nicht vergessen, und hätte der Kaiser noch so hoch ihn erhoben, und hätte der Staat ihm die Verwaltung seines ganzen Vermögens anvertraut; die „Creme“ wird aus Höflichkeit, aus Rücksicht für den Hof und vielleicht aus unwillkührlicher Achtung ihm entgegenlächeln, aber verschwägern wird sie sich nicht mit ihm. –

Die Grenzboten 4/2/2 (1845), S. 430. (suub.uni-bremen.de)

Das aristokratische Element unter Helgolands Badegästen scheint sich aber – obwohl seit geraumer Zeit ein sächsischer Prinz dort ist – nicht auf gleicher Höhe zu erhalten; ein ganzes Heer von Lieutenants soll dort tonangebend sein und was sich um dasselbe meist gruppirt, der Creme der Gesellschaft eben auch nicht angehören.

Die Grenzboten 6/3/2 (1847), S. 304. (suub.uni-bremen.de)

Die Gesinnungsart obiger Glieder [einer Kommission für ein Schulgesetz] ist dem Auslande genügend bekannt. Sie bildet die Creme unserer Eklektiker, die man (selbst Thiers nicht ausgenommen) seit dem 24. Februar die Vertheidiger des Gottesthums im Gegensatze zum Menschenthum nennen könnte.

Neue Rheinische Zeitung. Beilage, 7. Januar 1849, Nr. 189, S. [1]. (deutschestextarchiv.de)

Ich komme auf die Creme des Berliner Theaters, das Ballet.

Die Grenzboten 8/2/1 (1849), S. 149. (suub.uni-bremen.de)

Man kann der Abfertigung nur beistimmen, die Graf Trask jenen Gecken zu teil werden läßt, die in flacher Unbedeutendheit ihr Leben verzetteln und sich für die Creme der Gesellschaft halten.

Die Grenzboten 49/2 (1890), S. 310. (suub.uni-bremen.de)

Die Creme der vermenschlichten Affen aber bilden die, die eine richtige Erziehung genossen haben.

Berliner Tageblatt (Morgen-Ausgabe), 5. 3. 1909, S. 6. [DWDS]

Es wird sich also auch bei uns alles das ansammeln, was beim Militär zu kapitulieren pflegte – das war nicht die Creme – und an diesem zusammengekauften Rudel werden abgetakelte Offiziere ihre alten schlechten Herrschaftsgelüste spielen lassen und das verderbliche Gift im Volk verbreiten helfen.

Tucholsky, Kurt: Neuer Militarismus. In: Kurt Tucholsky: Werke – Briefe – Materialien. Berlin 2000 [1919], S. 1481. [DWDS]

[…] Beverförde, die Draffels, Zurmühlen, die Plattenbergs, die Murveldter, Fürstenberge, Herzöge zu Cray, Arenberg – die Creme des Stadt- und Landadels zwischen Rhein und Weser gab sich hier ihr Stelldichein.

Winckler, Josef: Der tolle Bomberg. Rudolstadt [1956] [1922], S. 44. [DWDS]

Schuhe aus hellem Leder sollen, ehe man sie auf der Straße trägt, tüchtig mit Krem behandelt werden, damit sie keine Wasserflecke bekommen.

N. N.: Das Lexikon der Hausfrau. Berlin 1937 [1932], S. 288. [DWDS]

[…] nur die Crème der Gesellschaft, in wundervoll schreitenden Tänzen, hatte das Recht, ja, die Pflicht, mit Farbenpracht und Arabesquenspiel den ungeheuren Prospect zu füllen.

Niebelschütz, Wolf von: Der blaue Kammerherr. Stuttgart u. a. [1991] [1949], S. 473. [DWDS]

[Der Agent] A. D. hatte nun ein wenig Gelegenheit, sich in der faszinierenden Gesellschaft so hochmögender Leute, der Mächtigen unserer Erde und der Creme der Gesellschaft und des Staates als Gleicher unter Gleichen umzutun.

Die Zeit, 15. 1. 1960, Nr. 03. [DWDS] (zeit.de)

Zuletzt den Eischnee unterziehen und diese Krem um die Birnen spritzen.

N. N.: Wir kochen gut. Leipzig 1968 [1963], S. 6. [DWDS]

Während sich die Creme der Gesellschaft nah am Futtertrog mit Rundumversorgung, Steuervergünstigungen und Nebenjobs die Taschen füllt, geht er [der Arbeitslose], obwohl selbst hoch qualifiziert, freudig für sein soziales Gnadenbrot arbeiten.

Berliner Zeitung, 15. 1. 2005. [DWDS]