Wortgeschichte
Nachhaltende Holznutzung. Herkunft
Nachhaltig1) – ein Wort, das heute omnipräsent scheint – hat seine Wurzeln im Bereich der Forstwirtschaft am Beginn des 18. Jahrhunderts. Gemeinhin wird es auf Hans Carl von Carlowitz‘ Abhandlung Sylvicultura Oeconomica, Oder Haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung Zur Wilden Baum-Zucht zurückgeführt, in der dieser den Gedanken formuliert, dass nicht mehr Holz geschlagen werden sollte, als durch planmäßige Aufforstung nachwachsen kann, um den Nachkommen die Ressource langfristig zu erhalten (1713b, 1713a). Carlowitz verwendet freilich nicht nachhaltig, sondern nachhaltend (1713a), durch das er das traditionelle pfleglich, das dem Autor […] nicht ausreichend die langfristige zeitliche Kontinuität von Naturnutzung und den Gedanken des Einteilens und Sparens von Ressourcen zum Ausdruck zu bringen [scheint]
, ersetzt (Grober 2002, 120):
Wird derhalben die gröste Kunst/ Wissenschaft/ Fleiß/ und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen/ wie eine sothane Conversation und Anbau des Holtzes anzustellen/ daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe/ weiln es eine unentberliche Sache ist/ ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag. [1713a]
Nachhaltend wird von nachhalten, andauern, vorhalten, wirken
, abgeleitet (vgl. 15Kluge, 645 und 10Paul, 686); in forstwirtschaftlichen Kontexten nimmt es seither die Bedeutung Ressourcen erhaltend
an. Was im forstwissenschaftlichen Denken konkret unter Nachhaltigkeit verstanden wird, unterliegt über die Jahrhunderte im Übrigen durchaus Veränderungen und Erweiterungen (vgl. hierzu im Detail Grober 2002).
Aus nachhaltend wird nachhaltig
Wann genau aus nachhaltend dann nachhaltig wird, ist in der Forschung nicht vollständig geklärt (vgl. Rödel 2013, 119). Wahrscheinlich ist aber, dass das neue Wort nachhaltig im Verlauf der nächsten zwei Jahrzehnte geprägt wird – Ulrich Grober führt einen Erstbeleg aus einem Forstlagerbuch
aus dem Jahr 1729 an, in dem sowohl pfleglich als auch nachhaltig im Kontext der Holzwirtschaft verwendet werden (vgl. Grober 2002, 123; der frühe wort- und sachgeschichtliche Beitrag zur Fachsprache des Forstwesens von Kurt Kehr aus dem Jahr 1964 nennt Mosers Grundsaeze der Forst-Oeconomie aus dem Jahr 1757 als Erstbeleg, vgl. Kehr 1964, 213). Mit der Bedeutung Ressourcen erhaltend
wird nachhaltig auch in den nachfolgenden Jahrhunderten in forstwirtschaftlichen Kontexten verwendet (1835, 1863, 1956, 1975). Neben nachhaltig besteht auch nachhaltend bis in die Gegenwart weiter (1785, 1827, 1896, 1953).
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In den meisten Wörterbüchern ist nachhaltend nicht als eigenes Lemma aufgenommen: Offenbar bucht nur das Deutsche Wörterbuch nachhaltend 1889 mit der Bedeutung nachhaltig
(1DWB 13, 68) – nachhaltig
hier wohlgemerkt in der im ausgehenden 18. Jahrhundert entstehenden Bedeutung anhaltend, andauernd, dauerhaft
(vgl. zu dieser Bedeutungsentwicklung nachfolgenden Abschnitt), die es auch in den angeführten Belegen hat. Trübner erwähnt im Eintrag nachhaltig – das hier als Wort der Goethezeit
gewertet wird – zwar Nachhalt und nachhalten als zugehörig, aber nicht mehr geläufig (vgl. Trübner 4, 731); bei 2Adelung, Campe Wörterbuch, und im WDG hat nachhaltend keinen eigenen Eintrag und auch die Bezeugungsfrequenz ist insgesamt gering.
Bedeutungserweiterung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts scheint nachhaltig nicht mehr auf den Bereich der Forstwirtschaft beschränkt, sondern wird nun auch in der Ökonomie im Allgemeinen verwendet:
Damit nun der Kayser bekomme, was des Kaysers ist, der Unterthan aber nicht mehr gebe, als was ihm gebühret, wobey der Grund alle bereitesten Vermögens eines Fürstens, nehmlich der immer bessere Nahrungs-Zustand des Landes bestehen kan, so folget von selbsten, daß dieses alles nach einem gewissen grössern oder kleinern Maasse, so sich nach diesem Grunde richtet, bestimmet werden müsse. Denn wir können als eine der ersten Wirtschaffts-Regeln annehmen: Man muß nicht mehr einnehmen oder ausgeben wollen, als die Quellen der Einnahme nachhaltig ertragen. [1750]
Es ist schwer zu entscheiden, ob nachhaltig hier in erster Linie mit Blick auf den Ressourcenerhalt oder aber schon im Sinne von langfristig
verwendet wird. Möglicherweise deutet sich in der Übertragung auf andere Wirtschaftsbereiche und der damit verbundenen Abstraktion bereits jene semantische Entwicklung an, die in der Entstehung der neuen Bedeutung anhaltend, andauernd, langfristig, dauerhaft, stark
mündet, wie sie spätestens um 1800 anzusetzen ist (1779, 1796, 1809).
Mit dieser Bedeutung tritt nachhaltig seither oft in Kollokationen wie nachhaltiger Erfolg (1844, 1913a, 1979), nachhaltige Wirkung (1875, 1973) oder nachhaltiger Einfluss (1840, 1913b, 2000) auf.
Nachhaltig – sustainable – nachhaltig. Übersetzung, Rückübersetzung und semantische Erweiterung im ausgehenden 20. Jahrhundert
Im ausgehenden 20. Jahrhundert erhält nachhaltig mit zukunftsfähig, umweltverträglich, ökologisch
– und damit in etwa zeitgleich zum Bedeutungswandel anderer Wörter wie UmweltWGd, zukunftsfähigWGd, alternativWGd oder konventionellWGd – eine neue Bedeutung (1992a, 1995a, 1997). Vor allem in frühen Belegen, in denen nachhaltig mit der neuen Bedeutung auftritt, begegnet es als – zunächst eine unter verschiedenen, schließlich als die dominante – Übersetzung des englischen sustainable (1994a, 1995b, 1995c, 1996). Hintergrund ist die internationale Verbreitung der Wendung sustainable development insbesondere in der Nachfolge des Brundtland-Berichts von 1987 und der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992. Der Brundtland-Bericht definiert sustainable development
als eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne dass die Möglichkeiten künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, beeinträchtigt werden
(Brundtland-Bericht 1987, o. S., Übersetzung ASB2)) und gilt gemeinhin als der Ursprung des heutigen Nachhaltigkeitsdenkens.
Gleichwohl ist das Substantiv Nachhaltigkeit im Deutschen im Ökologiediskurs allerdings bereits vor dem Brundtland-Bericht bezeugt (1982, 1983), und auch die neue Verwendung von sustainable in der ökologischen Bedeutung lässt sich mindestens bis in die 1970er Jahre zurückverfolgen (vgl. Grober 2002, 116–117). Das Wort ist auch im Englischen freilich älter: Auf das Lateinische sustinēre zurückzuführen und seit Anfang des 17. Jahrhunderts bezeugt (vgl. 3OED unter sustainable), ist sustained yield gebräuchlich – und zwar als Übersetzung des deutschen forstwirtschaftlichen nachhaltig im Englischen mindestens seit dem 19. Jahrhundert (vgl. Grober 2002, 117; Henn-Memmesheimer u. a. 2012, 165). In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hat es dann eine neue und intensive Auseinandersetzung mit Bedeutungsumfang und Anwendbarkeit, Geschichte und Philosophie der forstlichen Nachhaltigkeitsideen gegeben: In Nordamerika zielte die Debatte auf eine Etablierung der Nachhaltigkeitsideen als Leitbild der Forstwirtschaft; zudem diskutierte man in Gremien der UNO über Leitlinien für die Einrichtung und Etablierung eines nachhaltigen Forstwesen in den vom Kolonialismus befreiten Staaten der sogenannten Dritten Welt
(vgl. Grober 2002, 117).
Beide Diskussionslinien waren […] präsent, als Anfang der 70er Jahre schockartig die Endlichkeit der Ressourcen und dieGrenzen des Wachstumsentdeckt wurden. In diesem diskursiven Umfeld haben sich die Übernahme und Bedeutungserweiterung des forstlichen BegriffsNachhaltigkeitereignet. [Grober 2002, 117]
Im Deutschen ist nachhaltig Anfang der 1990er Jahre keinesfalls das einzige Wort, mit dem sustainable übersetzt wird. Vielmehr werden daneben auch beispielsweise dauerhaft (1990a) bzw. dauerhaft tragfähig (1990b), umweltschonend (1992b), umweltverträglich (1993) oder zukunftsfähig (1995c) verwendet. Mitte bis Ende der 1990er Jahre etabliert sich jedoch nachhaltige Entwicklung als deutsche Entsprechung für sustainable development (vgl. zur Konkurrenz der Termini im Detail Henn-Memmesheimer u. a. 2012, 172–175).
Aufschwung der klassischen Bedeutung
Auffallend ist schließlich der kontinuierliche Anstieg der Bezeugungsfrequenz von nachhaltig seit seiner Entstehung und besonders seit der Entstehung der neuen Bedeutung im ausgehenden 20. Jahrhundert. Zugleich – das hat Michael Rödel gezeigt – ist es im allgemeinsprachlichen Gebrauch gerade nicht die neue, sondern die klassische, allgemeinsprachliche Bedeutung nachwirkend, andauernd, stark, fortdauernd
, die vorwiegend begegnet:
Da das Adjektivnachhaltigaber in der Regel in der klassischen Wortbedeutung anzutreffen ist, können diese Daten nur dahingehend interpretiert werden, dass im Zuge der Etablierung des ökologischen Konzepts derNachhaltigkeitnicht nur dieses Konzept (und damit das Substantiv) selbst in Mode gekommen ist, sondern auch das Adjektivnachhaltig. Und das gilt paradoxerweise offenbar auch dann, wenn dieses Adjektiv gar nicht so verwendet wird, wie es im Sinne des in der Mode gekommenen Konzepts zu erwarten wäre. Mit dem Konzept derNachhaltigkeitscheint also auch – völlig unabhängig von seiner Bedeutung – das Adjektivnachhaltigin seiner klassischen, allgemeinsprachlichen Bedeutung in die Hitlisten des Sprachgebrauchs gespült worden zu sein. [Rödel 2013, 131]
Deontische Bedeutungsaspekte
In der neuen, ökologischen Bedeutung haben Nachhaltigkeit und nachhaltig im Übrigen – hier vergleichbar anderen Wörtern wie UmweltWGd3) oder zukunftsfähigWGd, die ihrerseits zu dieser Zeit einen Bedeutungswandel durchlaufen – deontische Bedeutungsaspekte, sprich sie enthalten eine implizite Handlungsaufforderung:
Noch ist es, sagt der CSU-Politiker Josef Göppel, Vorsitzender des Deutschen Verbandes für Landschaftspflege, der sich für die nachhaltige Entwicklung von ländlichen Regionen stark macht, nicht mehr als eine „geistige Knetmasse– eine Herausforderung, die auch den Bonner Umweltminister Klaus Töpfer fasziniert. Für ihn stellt Nachhaltigkeit denneuen kategorischen Imperativdar:Handele so, daß die Konsequenzen deines Tuns die Möglichkeiten eines lebenswerten Lebens auf der Erde nicht in Frage stellen![1994b]
Das zeigt sich auch in Kollokationen wie nachhaltiger LebensstilWGd (2012).
Anmerkungen
1) Nachhaltig und Nachhaltigkeit können sowohl aus kulturwissenschaftlicher als auch aus sprachgeschichtlicher Perspektive als gut erforscht gelten. Vgl. nur 1DWB 13, 71, GWB 6, 447, Grober 2002, Grober 2013, Henn-Memmesheimer u. a. 2012, Rödel 2013.
2) Wortlaut im Original: development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs
.
3) Zu Umwelt als deontischem Wort vgl. Hermanns 1991.
Literatur
2Adelung Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, 2. vermehrte und verbesserte Ausg. Bd. 1–4. 2. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1793–1801. Hildesheim u. a. 1990. (woerterbuchnetz.de)
Brundtland-Bericht 1987 United Nations: Our Common Future. Report on the World Commission on Environment and Development. O. O. 1987. (are.admin.ch)
Campe Wörterbuch Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch der deutschen Sprache. Theil [Bd.] 1–5. Braunschweig 1807–1811.
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
Grober 2002 Grober, Ulrich: Tiefe Wurzeln: Eine kleine Begriffsgeschichte von ‚sustainable development‘ – Nachhaltigkeit. In: Natur und Kultur 3/1 (2002), S. 116–128.
Grober 2013 Grober, Ulrich: Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs. München 2013.
GWB Goethe-Wörterbuch. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften [bis Bd. 3, Lfg. 4. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften der DDR], der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. 1 ff. Stuttgart 1978 ff. (woerterbuchnetz.de)
Henn-Memmesheimer u. a. 2012 Henn-Memmesheimer, Beate u. a.: Zur Dynamik eines Sprachbildes: ‚Nachhaltig‘. In: Hansen-Kokoruš, Renate u. a. (Hrsg.): Sprachbilder und kulturelle Kontexte. Eine deutsch-russische Fachtagung. St. Ingbert 2012, S. 159–187.
Hermanns 1991 Hermanns, Fritz: „Umwelt“: Zur historischen Semantik eines deontischen Wortes. In: Dietrich Busse (Hrsg.): Diachrone Semantik und Pragmatik. Untersuchungen zur Erklärung und Beschreibung des Sprachwandels. Tübingen 1991, S. 235–257.
Kehr 1964 Kehr, Kurt: Fachsprache des Forstwesens im 18. Jahrhundert. Eine wort- und sachgeschichtliche Untersuchung zur Terminologie der deutschen Forstwirtschaft. Gießen 1964.
15Kluge Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 15. Aufl., völlig neubearbeitete von Alfred Götze. Berlin 1951.
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
10Paul Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. 10., überarbeitete u. erweiterte Aufl. von Helmut Henne, Heidrun Kämper und Georg Objartel. Tübingen 2002.
Rödel 2013 Rödel, Michael: Die Invasion der „Nachhaltigkeit“. Eine linguistische Analyse eines politischen und ökonomischen Modeworts. In: Deutsche Sprache. Zeitschrift für Theorie, Praxis, Dokumentation 6 (2013), S. 115–141.
Trübner Trübners Deutsches Wörterbuch. Im Auftr. der Arbeitsgemeinschaft für Deutsche Wortforschung hrsg. von Alfred Götze, fortgeführt von Walther Mitzka. Bd. 1–8. Berlin 1939–1957.
WDG Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für deutsche Sprache und Literatur. Hrsg. von Ruth Klappenbach und Wolfgang Steinitz. Bd. 1–6. Berlin 1964–1977.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu nachhaltig, nachhaltend.