Wortgeschichte
Erstbezeugungen und Herkunft
Das Substantiv Modernität begegnet im Deutschen erstmals im ausgehenden 18. Jahrhundert (1781, 1787). Möglicherweise wird das deutsche Wort nach dem Vorbild des französischen modernité gebildet, so jedenfalls die Annahme etwa im 1DFWB (2, 135). Allerdings wird modernité in einschlägigen Wörterbüchern des Französischen erst für das 19. Jahrhundert angesetzt (vgl. TLFi unter modernité sowie 1DHLF [2, 1354]). Im Französischen des 17. Jahrhunderts jedenfalls scheint das Wort noch nicht gängig zu sein (vgl. die Formulierung wenn es mir erlaubt ist, das Wort zu bilden in 1668). Spätestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ist modernité zwar gelegentlich belegt (vgl. exemplarisch 1743), es könnte sich hier aber auch um nur vereinzelte Bezeugungen handeln, die dann eher den Status von Spontanbildungen hätten.
Für das Deutsche scheint daher auch eine Bildung nach (neu)lateinischem Muster möglich, hier vergleichbar der Wortbildung des Englischen modernity, das semantisch allerdings sowohl dem deutschen ModerneWGd als auch Modernität entspricht. Das 3OED setzt das Wort als Bildung innerhalb des Englischen im 17. Jahrhundert, vermutlich nach dem spätlateinischen modernitat, modernitas an. Es wird im 3OED in der Bedeutung the quality or condition of being modern; modernness of character or style
mit Erstbeleg aus dem Jahr 1635 gebucht (vgl. 3OED unter
modernity, n.).
Bedeutungsspektrum seit 1800
Seit seinen frühesten Bezeugungen hat Modernität ein recht weites Bedeutungsspektrum. So kann es in einem vornehmlich zeitbezogenen Sinn Aktualität, Gegenwärtigkeit
bedeuten (1788, 1809). Daneben wird das Wort als Stilbezeichnung für einen im Unterschied zu älteren Kunstrichtungen neuzeitlichen bzw. zeitgenössischen Stil verwendet, dies insbesondere aber nicht nur bezugnehmend auf Literatur und Künste (1787, 1817, 1827, 1855; vgl. auch die entsprechende Bedeutungsangabe zur Kennzeichnung der (Bestrebungen, Vertreter, Werke der) hinter der Antike zurückbleibenden jüngeren Kunstepoche
im GWB 6, 274). Daneben tritt die – nicht immer trennscharf von der Stilbezeichnung abzugrenzende (1796) – Bedeutung Übereinstimmung mit der neuesten Mode, dem neuesten Geschmack
, die ebenfalls seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert belegt ist (1820, 1830, 1899, 2017).
Ebenfalls seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert sind Belege in der ebenfalls nicht immer trennscharf abzugrenzenden und zunächst recht allgemein zu verstehenden Bedeutung zeitgemäßer Stand in Bezug auf gesellschaftliche, wissenschaftliche, technische Entwicklungen
bezeugt (1790, 1836, 1873, 1964a). Nicht zuletzt kann Modernität auch im Sinne von Eigenschaft oder Zustand, zeitlos zu sein
verwendet werden. Diese Verwendung ist schon bei Goethe mit Bezug auf Homers Ilias belegt (vgl. GWB 6, 274); sie begegnet gegenwärtig etwa in der gelegentlich belegten Verbindung zeitlose Modernität (1946, 1967, 1999).
Bezeugungsanstieg und Bedeutungsverengungen im 20. Jahrhundert
An der Wende zum 20. Jahrhundert entsteht das Substantiv ModerneWGd, das zunächst auf den Naturalismus bezogen schnell auch auf Literatur und Künste der Jahrhundertwende im Allgemeinen übertragen wird. Mutmaßlich vor diesem Hintergrund wird Modernität in der auf den literarischen und künstlerischen Stil rekurrierenden Bedeutungslinie in der Nachfolge nunmehr auch spezifischer in Bezug auf die Ausdrucksformen der Literatur und Künste der Jahrhundertwende und des beginnenden 20. Jahrhunderts verwendet (1893, 1947, 2000).
Abb. 1: DWDS-Wortverlaufskurve zu Modernität
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bleibt Modernität zunächst insgesamt wenig verbreitet. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steigt die Bezeugungsfrequenz dann deutlich (vgl. Abb. 1 sowie die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Diese Entwicklung steht sicherlich auch in Zusammenhang mit der weiteren Verbreitung auch der Wörter Moderne und ModernisierungWGd ebenfalls zu dieser Zeit (vgl. Abb. 2 sowie die Wortverlaufskurven des Google NGram Viewers). Hintergrund mögen auch entsprechende Debatten der Zeit um die westliche Moderne gewesen sein.
Abb. 2: DWDS-Wortverlaufskurve zu Modernität, Modernisierung und Moderne
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Nicht nur mit Blick auf die ansteigende Verwendungsfrequenz, auch mit Blick auf die semantische Kontur ist ein genauerer Blick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts lohnenswert. So sind wohl vor dem Hintergrund der Entstehung der Bedeutung (westliches) Zeitalter seit der Aufklärung und der französischen Revolution im Besonderen
für Moderne spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert in der Bedeutungslinie Eigenschaft oder Zustand, modern i. S. v. zeitgemäß, auf dem neuesten (gesellschaftlich, technisch, wissenschaftlich, intellektuell) Stand
auch Verwendungen einzuordnen, in denen gesellschaftlich, technisch, wissenschaftlich, intellektuell auf dem neuesten Stand
nun im engeren Sinn an die westliche Moderne nach der Aufklärung gekoppelt sind (1963, 1980). Diesen Bezeugungen liegt in der Regel die Vorstellung eines Prozesses der Modernisierung zugrunde, über den in die (westliche) Moderne eingetreten und ein Zustand von Modernität erreicht werden könne. Es findet hier mithin eine Bedeutungsverengung gegenüber älteren Verwendungen in dieser Bedeutungslinie statt: Modernität bedeutet hier nunmehr Eigenschaft oder Zustand, modern i. S. der Entwicklungen der westlichen Moderne nach der Aufklärung zu sein
.
Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts entstehen zudem eine ganze Reihe neuer Komposita mit Modernität als Erstglied, so insbesondere Modernitätsrückstand (1964b, 1996), Modernitätsprozess (1986, 1997), Modernitätsschub (1990, 2013), aber auch Modernitätskrise (1988, 2012) und Modernitätsverweigerung (1994, 2007).
Literatur
1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)
1DHLF Dictionnaire historique de la langue française, par Alain Rey et al., 3. Aufl. Bd. 1–2. Paris 2000.
GWB Goethe-Wörterbuch. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften [bis Bd. 3, Lfg. 4. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften der DDR], der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. 1 ff. Stuttgart 1978 ff. (woerterbuchnetz.de)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
TLFi Trésor de la language française informatisé (Trésor de la language française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Modernität.