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Getto / Ghetto

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Ghetto ist seit dem 17. Jahrhundert mit der Bedeutung Stadtviertel, in dem Juden getrennt von der übrigen Bevölkerung leben im Deutschen bezeugt. Entlehnt wurde es aus dem italienischen ghetto. Im Deutschen zunächst in Bezug auf Italien verwendet, kann das Wort seit dem 19. Jahrhundert auch ein separates, von Juden bewohntes Stadtviertel außerhalb Italiens bezeichnen. Unter nationalsozialistischer Herrschaft steht das Wort für behördlich erzwungenes, zwangsweise eingerichtetes und räumlich beschränktes jüdisches Wohnviertel. Vermutlich als Neuentlehnung aus dem Englischen nimmt Ghetto in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die neue Bedeutung Stadtviertel, in dem bestimmte Bevölkerungsschichten mehr oder weniger stark getrennt von anderen Bevölkerungsschichten zusammenleben an.

Wortgeschichte

Ghetto: Vormoderne, konfessionelle Segregation zwischen Ab- und Aussonderung

Ghetto bzw. Getto ist seit dem 17. Jahrhundert mit der Bedeutung Stadtviertel, in dem Juden abgetrennt von der übrigen Bevölkerung leben im Deutschen bezeugt (1614). Es gehört damit zu denjenigen Wörtern, die bereits vor der Ausbildung neuer gesellschaftlicher Strukturen ab 1800 eine Form sozialräumlicher SegregationWGd bezeichnet haben, genauer eine nach konfessioneller Zugehörigkeit (vgl. EdN unter Segregation; vgl. daneben auch den Wortfeldartikel sozialräumliche SegregationWGd).

Entlehnt wurde das Wort, soviel kann als gesichert gelten, aus dem italienischen ghetto. Die weitere Herkunft ist hingegen nicht eindeutig geklärt (vgl. Pfeifer unter GhettoDWDS). Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird Ghetto auch im übertragenen Sinn für Isolation, Absonderung, Ausschluss verwendet (1873, 1905, 1919).

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Mehrheitlich geht die Forschung inzwischen davon aus, dass sich das im Italienischen bereits im 16. Jahrhundert bezeugte ghetto vom Namen der Insel Geto nuovo bei Venedig ableitet, wo im 16. Jahrhundert Juden und Christen getrennt voneinander gelebt haben.1) Ghetto bzw. getto ist im Italienischen jedenfalls erstmals belegt, nachdem die Juden Venedigs 1516 in das Geto nuovo, einen Gießereibezirk (ital. gettare, gießen), hatten umziehen müssen (EdN unter Ghetto). Die einschlägige Bezeichnung Geto nuovo ist spätestens 1531 erstmals belegt.

Während das Wort ghetto bzw. geto als Bezeichnung für ein von Juden bewohntes Stadtviertel vor 1516 nicht bezeugt ist, hat es jüdische Viertel freilich auch schon früher gegeben. Gleichwohl waren umgrenzte, abgeschlossene Viertel, in denen Juden aufgrund von entsprechenden Verfügungen zu leben hatten, wohl nicht die Norm. Mit dem Geto nuovo hatte Venedig ab 1516 dann ein eigenes, abgeschlossenes Viertel für Juden. Vor diesem Hintergrund wurde der Name in Italien, in dem in den nachfolgenden Jahren Juden zunehmend zwangssepariert wurden, üblich (vgl. 25Kluge, 356): Geto erfährt im Italienischen eine Bedeutungserweiterung und nimmt die Bedeutung abgeschlossenes Judenviertel an. Mit dieser Bedeutung kehrt das Wort schließlich nach Venedig zurück: Zum Geto Nuovo kommt neben der alten Gießerei Geto Vecchio schließlich auch das Geto Nuovissima, wo es gar keine Gießerei mehr gibt, hinzu.2)

Eine weitere These zur Herkunft des Wortes besagt, dass das italienische getto von italienischen Juden lautlich mit dem hebräischen ghēt, Scheidung, Absonderung, Trennung in Beziehung gesetzt wurde. Diese Hypothese würde zugleich eine Entwicklung der italienischen Schreibweise von getto zu ghetto erklären (vgl. 2DFWB unter Ghetto).

Im Deutschen wird Ghetto zunächst und bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein in Bezug auf Italien verwendet (1704). Noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein kann Ghetto auch spezifisch auf Venedig und Italien bezogen werden und damit von Wörtern wie Judenviertel und Judengasse, die auch für Stadtviertel in Deutschland gebraucht werden, unterschieden werden (1905–1909; vgl. auch EdN unter Ghetto). Daneben erfährt Ghetto aber spätestens im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine Bedeutungserweiterung und kann nun auch ein separates, zum Teil auch zwangsweise abgeschlossenes, Judenviertel außerhalb Italiens bezeichnen (1835).

Die Grenzen zwischen freiwilliger und erzwungener Segregation sind zunächst fließend und lassen sich aus den verschiedenen Bezeichnungen für Stadtviertel, in denen Juden leben, und die neben Ghetto von Judenstadt (1609) über Judengasse (1639) bis Judenviertel (1840a) reichen, nicht notwendig herauslesen (vgl. Ravid 2006, 14; EdN unter Ghetto).

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Gründe für die räumliche Trennung nach Konfessionen in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten waren unter anderem, dass bestimmte Speisegebote und Feiertagsregelungen so besser eingehalten werden konnten. Zudem kam es immer wieder zu Übergriffen von Christen auf Juden, so dass die Einfriedungen jüdischer Wohnviertel mit hohen Mauern bereits im Mittelalter in einigen Fällen auch auf den Wunsch jüdischer Anwohner zurückging (vgl. Gareis in EdN unter Segregation). Andererseits weist Gareis darauf hin, dass Juden bereits im 14. Jahrhundert in vielen größeren europäischen Städten gezwungen worden seien, in eigene, von der übrigen Bevölkerung abgesonderte Stadtviertel umzuziehen, wo sie meist in sehr beengten und unkomfortablen Verhältnissen lebten (EdN unter Segregation; vgl. daneben auch EdN unter Ghetto). Erst mit der französischen Invasion unter Napoleon I. fielen in weiten Teilen Europas Ghetto-Tore, so etwa in Frankfurt 1796 (EdN unter Ghetto).

Neue Verwendungen und Bedeutungsaspekte zu Zeiten des Nationalsozialismus

Unter nationalsozialistischer Herrschaft wurden Juden in den von Deutschland annektierten und besetzten Ländern erneut in Ghettos zwangsumgesiedelt. Das hat Rückwirkungen auf die Bedeutung des Wortes Ghetto, das zu dieser Zeit für behördlich erzwungenes, zwangsweise eingerichtetes und räumlich beschränktes jüdisches Wohnviertel steht (vgl. 2DFWB unter Ghetto sowie 1941, 1943, 1945). Ghetto erhält vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs zudem eine neue Implikation. So wird das Wort nicht nur erst nach der deutschen Invasion während des Zweiten Weltkriegs auch in Zusammenhang mit Osteuropa verwendet, vor allem gibt es hinsichtlich der Bedeutung einen grundlegenden Unterschied:

Im Gegensatz zu den Ghettos früherer Tage, die den Juden einen klar definierten, dauerhaften Platz in der christlichen Gesellschaft bieten sollten, stellten diese Ghettos des 20. Jahrhunderts lediglich eine vorübergehende Etappe auf dem geplanten Weg zur totalen Liquidierung dar. [Ravid 1992, 383, Übersetzung ASB]3)

Damit ist Ghetto zwar kein im engeren Sinn nationalsozialistisches Wort, insofern es seit Jahrhunderten im Deutschen bezeugt ist, erhält aber einen neuen Bedeutungsaspekt.

Elendsviertel und Reichenghettos. Ghetto im Wortfeld sozialräumliche Segregation in der Moderne

Neben Stadtviertel, in dem Juden getrennt von der übrigen Bevölkerung lebten kann Ghetto auch allgemeiner Stadtviertel, in dem bestimmte Bevölkerungsschichten mehr oder weniger stark getrennt von anderen Bevölkerungsschichten zusammenleben bedeuten. Das Deutsche Fremdwörterbuch datiert Verwendungen mit dieser Bedeutung bereits auf den Beginn des 19. Jahrhunderts (vgl. 2DFWB unter Ghetto). Verwendungen im Deutschen in diesem allgemeineren Sinn sind für das 19. Jahrhundert im Vergleich mit der Bedeutung Stadtviertel, in dem Juden getrennt von der übrigen Bevölkerung lebten gleichwohl nur äußerst selten bezeugt (1840b). Während der Zeit des Nationalsozialismus wird die Verwendung mit der Bedeutung behördlich erzwungenes, zwangsweise eingerichtetes und räumlich beschränktes jüdisches Wohnviertel dominiert haben.

Vor diesem Hintergrund wird man davon ausgehen können, dass sich Ghetto mit der Bedeutung Stadtviertel, in dem bestimmte Bevölkerungsschichten mehr oder weniger stark getrennt von anderen Bevölkerungsschichten zusammenleben, häufig mit den Bedeutungsaspekt Armut, Elend, im Deutschen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts endgültig etabliert hat (1967, 1972). Anzunehmen ist auch, dass hier eine Neuentlehnung aus dem Englischen zur Bedeutungserweiterung von Ghetto geführt hat: Im Englischen wird ghetto bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts auch im weiteren Sinn verwendet (3OED unter ghetto, n). Verwendungen von Ghetto mit der Bedeutung Stadtviertel, in dem bestimmte Bevölkerungsschichten mehr oder weniger stark getrennt von anderen Bevölkerungsschichten zusammenleben sind im Deutschen ab Mitte des 20. Jahrhunderts zunächst vor allem mit Bezug auf ausländische Großstädte (1953b), insbesondere auf die USA (1953c, 1956) bezeugt, was für eine Neuentlehnung aus dem Englischen spricht. Erst ab Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre wird Ghetto gelegentlich auch in Bezug auf Stadtviertel in deutschen Städten verwendet (1968, 1971, 2005).

Daneben kann Ghetto auch ohne den Bedeutungsaspekt Armut, Elend für Formen sozialräumlicher Segregation verwendet werden, wie Komposita wie Regierungsghetto oder Reichenghetto exemplarisch zeigen (1953a, 2012). Hier dominiert der Bedeutungsaspekt sozialräumliche Isolation.

Anmerkungen

1) Vgl. 25Kluge, 356; Ravid 1992; Ravid 2006; EdN unter Ghetto sowie EdN unter Segregation.

2) Die Ausführungen in diesem Absatz basieren wesentlich auf Ravid 1992 und Ravid 2006.

3) Im Original: If the word ghetto is to be used in its original literal sense in connection with Eastern Europe, then it must be asserted that the age of the ghetto arrived there only after the German invasions during the Second World War. However, there was a basic difference: unlike those ghettos of earlier days which were designed to provide Jews with a clearly defined, permanent place in Christian society, these twentieth-century ghettos constituted merely a temporary stage on the planned road to total liquidation. (Ravid 1992, 383)

Literatur

2DFWB Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler. 2. Aufl., völlig neu erarbeitet im Institut für Deutsche Sprache von Gerhard Strauß u. a. Bd. 1 ff. Berlin/New York 1995 ff. (owid.de)

Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)

EdN Enzyklopädie der Neuzeit online. Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern hrsg. von Friedrich Jaeger. Leiden 2019. [basierend auf der Druckausg. im J. B. Metzler Verlag Stuttgart, 2005–2012]. (brillonline.com)

Gareis 2019 Gareis, Iris: Art. „Segregation“. In: Enzyklopädie der Neuzeit Online. Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Online zuerst: 2019. (doi.org)

Klein 2019 Klein, Birgit E.: Art. „Ghetto“. In: Enzyklopädie der Neuzeit Online. Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Online zuerst: 2019. (doi.org)

25Kluge Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin/Boston 2011.

3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)

10Paul Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. 10., überarbeitete u. erweiterte Aufl. von Helmut Henne, Heidrun Kämper und Georg Objartel. Tübingen 2002.

Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)

Ravid 1992 Ravid, Benjamin C. I.: From Geographical Realia to Historiographical Symbol: The Odyssey of the Word Ghetto. In: David Ruderman: Essential Papers on Jewish culture in Renaissance and Baroque Italy. New York u. a. 1992, S. 372–385.

Ravid 2006 Ravid, Benjamin: Alle Ghettos waren jüdische Viertel, aber nicht alle jüdischen Viertel waren Ghettos. In: Fritz Backhaus: Die Frankfurter Judengasse: jüdisches Leben in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 2006, S. 13–30.

Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Getto, Ghetto.

Belegauswahl

Den 12. diß hat man ein hussitische Kirchen hinder der Judenstadt/ so viel Jahr gespert geblieben/ beym Creutz genandt/ auff der Staͤnd ersuchen geoͤffnet/ darinnen das Te Deum Laudamus/ auch viel geistliche Psalmen gesungen/ hernach den 15. diß in beyseyn viel tausent Personen darinnen gepredigt werden.

N. N.: Aviso. Relation oder Zeitung. Hrsg. v. Walter Schöne. Wolfenbüttel: Julius Adolph von Söhne 1609, unpag. (deutschestextarchiv.de)

Dises ortheist mann Ghetto/ oder Jüdenstatt.

Beatus, Georg: Amphitheatrvm Naturae, Schawplatz Menschlicher Herzlichkeit: In zwey unterchiedliche Theil verfasset. In: Beatus, Georg: Amphitheatrvm Naturae, Schawplatz Menschlicher Herzlichkeit. Frankfurt 1614, S. 257. (deutschestextarchiv.de)

Nebenſt dieſem iſt auſſerhalb Landes dieſes Jahr der […]Anmerkung: 4. Was ſich auſſer Landes begeben. gefaͤhrliche Auffſtandt zu Franckfurt am Maͤyn entſtanden/ daß die Buͤrger den alten Rhat ab/ vnd einen newen einſetzeten/ auch bey vier tauſend Handwercks Geſellen zuſammen lieffen/ die Judengaſſe pluͤnderten/ vnd uͤber mccc. Juͤden aus der Stadt jageten.

Micraelius, Johann: Das Vierdte Buch Vom PommerLande. Erstes Theil Der Letzten Pommerschen Jahr-Geschichten Vom 1606. Jahr biß auff die Käyserliche Einquartierung in Pommern. Stettin 1639, S. 69. (deutschestextarchiv.de)

Ghetto, alſo wird die Juden-Stadt zu Venedig genennet.

Hübner, Johann: Reales Staats- und Zeitungs-Lexicon [...]. Leipzig 1704, Sp. 467–468. (deutschestextarchiv.de)

Iſt es nicht intereſſant, daß Nathanael, des Londoner Rothſchilds juͤngſter Sohn, bei ſeiner Audienz in Konſtantinopel vom Sultan, als Sonne unter den europaͤiſchen Bankiers begruͤßt wird; daß Karl Rothſchild dem Papſt die Hand kuͤßt, und Lionel, der aͤlteſte Sohn des Londoner Rothſchild, in Madrid zum Ritter Iſabellens, der Katholiſchen, ernannt wird?

Beſchaͤftigt Euch einige Minuten mit dieſem wunderlichen Syſteme! Ihr werdet noch immer Zeit genug finden, es zu verdammen. Spindlers Bendavid und der Ghetto von Frankfurt ſind bekannt.

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Erster Theil. Hamburg 1835, S. 280. (deutschestextarchiv.de)

Namentlich sagt der letztere, er habe mit dem Diener auf der Straße von Salachia, eine halbe Stunde Wegs vom Judenviertel entfernt, gesprochen.

N. N.: Allgemeine Zeitung. Nr. 176. 24. Juni 1840. Augsburg 1840, S. 1408. (deutschestextarchiv.de)

Der Zwang und die Verachtung, unter welcher die Engländer wie die andern Fremden in dem chinesischen Naukratis lebten, war den Europäern schon seit langer Zeit unerträglich. Man denke sich die reichsten, stolzesten Kaufherren der Erde, die Diener der Indien beherrschenden Gesellschaft, die Herren eines großen Theils von Asien in das schmutzigste Viertel der Kreishauptstadt Kuang, tong gebannt, wo sie in der Nähe des verächtlichen Gesindels, der Fährleute und der Hetärenwirthschaften ein freundloses Leben führen mußten. Man erinnere sich, daß die ehrenwerthesten Männer, wie die gemeinsten Krämerseelen auf gleiche Weise behandelt oder richtiger mißhandelt wurden; wie sie in officiellen Bekanntmachungen der schändlichsten Laster angeklagt, Barbaren, fremde oder rothe Teufel, und der Vorstand der englischen Gemeinde Barbarenhäuptling (I mu) genannt wurde; man wisse, daß Frauen und Töchter, gleich Malwa- und Patnas-Opium, nur eingeschmuggelt werden konnten, daß man in dem ungastlichen Lande weder spazierenreiten noch spazierengehen oder in Sänften sich tragen lassen durfte, und wenn ein Europäer über das Ghetto sich erging (oft auch innerhalb desselben), er mitten durch zwei Reihen chinesischer Gassenjungen, die ihn mit Schelt- und Sporttreden überhäuften, sich durchwinden und Steinwürfe und Rippenstöße mit breiterer, lächelnder Miene ertragen mußte; man rufe sich all diese Schmach ins Gedächtnis zurück, und man wird es natürlich finden, daß alle Fremden gleichmäßig sich sehnten, dieses elenden Zustandes ledig zu werden.

N. N.: Syrien und Tschusan. In: Allgemeine Zeitung Nr. 343, 8. 12. 1840, S. 2730–2732, hier S. 2731. (books.google.de)

Wenn die Hausfrau aber daraus die Berechtigung herleitet, ein Musterbild für das ganze Geschlecht sein zu wollen, wenn sie ihre Art für die einzig mögliche erklärt, wenn sie ihr Küchengepräge der ganzen Frauenwelt ausdrücken will, dann erwacht mit Recht der Zorn der Andern und es ist an der Zeit, sie energisch und verächtlich in ihre Schranken zu weisen.

Die vier Wände dürfen nicht zum Ghetto werden, in das man ein Pariageschlecht einpfercht.

Dohm, Hedwig: Der Jesuitismus im Hausstande. Ein Beitrag zur Frauenfrage. 1. Auflage. Berlin 1873, S. 120. (deutschestextarchiv.de)

In einem geistigen Ghetto waren nur seltene Zeiten und nur vereinzelte Gebiete der jüdischen Welt.

Baeck, Leo: Das Wesen des Judentums, Frankfurt a. M.: Kauffmann 1932 [zuerst 1905], S. 2. [DWDS]

Getto (ital. ghetto), Judenviertel, Judengasse, heißt in italienischen und orientalischen Städten der den Juden zur Wohnung angewiesene Stadtteil, wo sie, wie in den deutschen Judengassen (z. B. in Prag, Frankfurt a. M., Mainz u. a. O.), den spanischen Juderias, von den nichtjüdischen Bewohnern abgesondert lebten.

Eintr. „Getto“, in: Meyers Großes Konversationslexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig und Wien 1905–1909. Getto bis Gevatter (Bd. 6, Sp. 772 bis 773), zitiert nach: (woerterbuchnetz.de)

Wenn das Wort von der deutschen Universalität wahr ist, so mögen die Deutschen herauskommen aus ihrem politischen Ghetto, um zu zeigen, was sie zu sagen haben.

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern: Freier Verlag 1919, S. 19. (deutschestextarchiv.de)

Das Ghetto ist mit Mauern, Zäunen usw. abgeschlossen. An den vielen Schlagbäumen stehen SS-, polnische und jüdische Schutzleute und führen eine strenge Kontrolle aus.

Brief von Major C. H. B. vom 16. 12. 1941. In: Ortwin Buchbender u. Reinhold Sterz (Hgg.), Das andere Gesicht des Krieges, München 1982 [zuerst 1941], S. 168. [DWDS]

Lewinsky erzählte am Sonntag als ganz verbürgtes und verbreitetes (von Soldaten herrührendes) Gerücht: es habe in Warschau ein Blutbad gegeben, Aufstand der Polen und Juden, deutsche Panzerwagen seien am Eingang der Judenstadt durch Minen zerstört worden, darauf habe man deutscherseits das gesamte Ghetto zusammengeschossen – tagelange Brände und Abertausende von Toten.

Klemperer, Victor: [Tagebuch] 1943. In: ders., Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten, Berlin 1999 [zuerst 1943], S. 88. [DWDS]

Oberst Albert Meisinger, der für den Tod von 100000 Juden im Warschauer Ghetto verantwortlich gemacht wird, hat unter Bewachung amerikanischer Offiziere im Flugzeug die Reise nach Deutschland angetreten, um sich als Kriegsverbrecher vor dem alliierten Gericht zu verantworten.

N. N.: Im Flugzeug auf die Anklagebank. In: Süddeutsche Zeitung, 1995 [zuerst 1945], S. 1. [DWDS]

Heim in das Getto. Heim in das Regierungsgetto, in das Getto der Abgeordneten, in das Getto der Journalisten, das Getto der Beamten, das Getto der Sekretärinnen. Es blitzte und donnerte.

Koeppen, Wolfgang: Das Treibhaus. In: ders., Drei Romane, Frankfurt a. M. 1972 [zuerst 1953], S. 340. [DWDS]

Ihre kläglichen und mehr als behelfsmäßigen Unterkünfte stehen am Rande von Nairobi. Hier ist das Ghetto des schwarzen Proletariats, das in der ganzen Unsicherheit einer jungen Gemeinschaft lebt, deren soziale Fürsorge nicht die Alten, nicht die unheilbar Kranken umfassen kann und auch den jungen Leuten nicht viel Hilfe bietet.

N. N.: Mau-Mau – Terror in Kenia. In: Die Zeit, 23. 4. 1953, Nr. 17. [DWDS] (zeit.de)

Durch diesen kulturgeschichtlichen Zusammenhang wird die Atmosphäre der schwarzen Viertel„ von New Orleans in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts nur noch interessanter — Von dem Ghetto Milieu hat Louis Armstrong bereits in der vorigen Ausgabe der ZEIT erzählt, von seiner Mama, seinen „Stiefvätern“ und davon, wie einer in Streit mit seiner Mutter geriet, während er, Louis, gerade vom Schulweg kam . ayann und Slim prügelten sich, ais ich angerannt karrij immer noch in der Bar Honkey tonk, nun aber in umgekehrter Richtung, auf den Ausgang zu.

N. N.: Jazzkönig Armstrong: Meine Jugend in New Orleans. In: Die Zeit, 30. 7. 1953, Nr. 31. [DWDS] (zeit.de)

Die Neger, auf die man damals in New York stieß – Stiefelputzer, Fahrstuhlführer, Hausdiener, die schwärmenden Massen des Harlem-Distrikts, die verzückten Beter in stickigen Kirchen, die wirbelnden Tänzer in den lokalen Vergnügungsplätzen des schwarzen Ghetto –, sie alle waren eine „bunte“ Note im Völkerkonzert der Stadt, aber nicht gerade sehr eindrucksvoll.

N. N.: Die sanfte Gewalt der dunklen Menschen. In: Die Zeit, 19. 4. 1956, Nr. 16. [DWDS] (zeit.de)

Sie rebellieren als erstes gegen die Unterdrückung der Industriestaaten. „Hier fällt der revolutionäre Begriff der Freiheit mit der Notwendigkeit, die nackte Existenz zu verteidigen, zusammen: in Vietnam genauso wie in den Slums und Gettos der reichen Länder.“

N. N.: Das Idol der Berliner Studenten. In: Die Zeit, 21. 7. 1967, Nr. 29. [DWDS] (zeit.de)

Die Überzeugung der Gesellschaft, daß in irgendeiner Form jeder selbst daran schuld ist, wenn er einquartiert werden muß in die Gettos der „Asozialen“, daß er Schuld trägt, weil er trank, Arbeit verweigerte, in Schulden geriet, kriminell wurde – diese Überzeugung, die wie ein Abwehrmechanismus eingesetzt wird und funktioniert, interessiert Radtke nur am Rande.

N. N.: Wenn geheult und geprügelt wird. Ehrenämter in Deutschland (II). In: Die Zeit, 13. 12. 1968, Nr. 50. [DWDS] (zeit.de)

Ein kulturelles Eigenleben (eigene Kneipen, Nachbarschaftsgruppen) wäre möglich, ohne daß sich die Einwanderer in Gettos abkapseln. Kinder von Einwanderern passen sich meist leichter an die neue Heimat an als ihre Eltern.

N. N.: Aus Gastarbeitern werden Einwanderer. In: Die Zeit, 16. 7. 1971, Nr. 29. [DWDS] (zeit.de)

Die Berrigans hatten genug von sanierenden Kanzelreden und öligen Lippenbekenntnissen; sie machten radikal Ernst mit christlicher Verantwortung, sie solidarisierten sich mit den Armen und Unterdrückten, arbeiteten in den schwarzen Gettos und Elendsvierteln und traten allenthalben für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt ein.

N. N.: Rhetorischer Schwulst. In: Die Zeit, 16. 6. 1972, Nr. 24. [DWDS] (zeit.de)

Wenn Elektropunkerinnen wie die in Berlin lebende Kanadierin Peaches über die Faulheit der verwöhnten bundesrepublikanischen Jugendlichen staunen, wenn die linken Journalisten des New Yorker die Feistigkeit des Rebellentums in Hans Weingartners Film Die fetten Jahre sind vorbei kopfschüttelnd rezensieren, wenn ein Rapper wie Sido offen bekennt, dass in seinem Berliner Ghetto der Missbrauch von Sozialhilfe ein Sport ist, von dem sich gut leben lässt – dann wird deutlich, dass altlinke Positionen von Teilen des Pop keine Unterstützung mehr erhalten.

N. N.: An der Luftgitarre. In: Die Zeit, 8. 9. 2005, Nr. 37. [DWDS] (zeit.de)

Hier residieren die Geigerin Anne-Sophie Mutter, die russische Bauunternehmerin Jelena Baturina und ihr Mann, der ehemalige Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow oder Marina Giori-Swarovski, die mit den mächtigsten Mauern in diesem Reichenghetto aufwarten kann und in deren Stallungen Hochlandrinder stehen.

N. N.: „Cash macht fesch!“. In: Die Zeit, 19. 1. 2012, Nr. 04. [DWDS] (zeit.de)