Wortgeschichte
Trennung
. Herkunft und frühe Bezeugungen
Segregation geht auf das spätlateinische segregatio, Absonderung, Trennung
, zurück (vgl. 8Georges 2, 2557). In der deutschen Sprache tritt das Wort vereinzelt bereits mindestens seit dem 16. Jahrhundert in der Bedeutung Trennung, Absonderung
auf (1565, 1571), zunächst parallel auch noch als Fremdwort markiert (1696). Gladov bucht Segregation Anfang des 18. Jahrhunderts mit Absonderung
(A la Mode-Sprach, 634); noch 1906 definiert Brockhaus’ Kleines Konversationslexikon Segregation schlicht als Absonderung
(1906). Im 18. und 19. Jahrhunderts wird das Wort allerdings eher selten verwendet und wenn dann mit der Bedeutung Trennung, Absonderung
und in Bezug auf ganz unterschiedliche Gegenstände (1725, 1743), im 19. Jahrhundert häufiger in Bezug auf Land- oder Forstwirtschaft (1858, 1862).
Rassistisch motivierte Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen
Im 20. Jahrhundert findet die Verwendung in Bezug auf die menschliche Gesellschaft weitere Verbreitung und erhält nun die neue Bedeutung Trennung von Personen(gruppen) mit gleichen sozialen (religiösen, ethnischen, schichtspezifischen u. a.) Merkmalen von Personen(gruppen) mit anderen Merkmalen
. Spätestens ab der Mitte des 20. Jahrhunderts und vermutlich als Entlehnung aus dem englischen segregation, das mit der Bedeutung enforced separation of different racial groups in a country, community, or institution
seit der Jahrhundertwende bezeugt ist (vgl. 3OED unter segregation, n.), kann Segregation auch im Deutschen auf die Trennung von Weißen und Afroamerikanern in den USA bezogen werden (1952, 1963). Die Verwendung in Bezug auf diese Form der sozialen Trennung nach Hautfarbe impliziert zugleich, dass der Kontakt zwischen den einzelnen Personen bzw. Personengruppen unterbunden werden soll. Mit dieser auf rassistisch motivierter Form der strikten sozialen Trennung von Personengruppen nach Hautfarbe in den USA bezogenen Bedeutung kann Segregation bis heute verwendet werden, erhält dabei aber zugleich einen historischen Index (2014).
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Wenn Segregation mit der Bedeutung rassistisch motivierte Trennung von Personen(gruppen), um Kontakte untereinander zu unterbinden
verwendet wird, dann basiert diese Bedeutung auf der Konstruktion einer Differenz von (vermeintlich) Eigenem versus (vermeintlich) Fremdem, aus der Formen der Ausgrenzung abgeleitet werden (2001b). Die sogenannte Rassentrennung
der Apartheid (1982) ist ein weiteres Beispiel, bei der die Unterscheidung von vermeintlich Eigenem und vermeintlich Fremdem (Busse 1997) nicht nur einen Diskurs organisiert, sondern sich auch in die historische Semantik des Wortes einschreibt (1975a). Sprachgeschichtlich interessant ist, dass Segregation einerseits im engeren Sinn auf die amerikanischen Verhältnisse bezogen werden kann und hier semantisch von Apartheid abgegrenzt wird (1975b), andererseits aber auch als Oberbegriff für Formen der Rassentrennung im Allgemeinen verwendet wird – die dann die Apartheid als eine ihrer Formen semantisch einschließt (1980a, 2010b).
Prozesse sozialer und sozialräumlicher Trennung
Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts treten im Deutschen Verwendungsweisen von Segregation auf, in denen der Bedeutungsanteil um Kontakte untereinander zu unterbinden
fehlt: Segregation kann nun auch allgemeiner auf ganz unterschiedliche Formen und Prozesse sozialer Trennung bezogen werden (1979, 1981, 1980b, 1984). Zugleich wird soziale Segregation an die Kategorie des Raumes rückgebunden, es entsteht die Vorstellung einer sozialräumlichen Segregation, sprich einer auch räumlichen Trennung von sozialen Gruppen insbesondere in Städten (1988, 1992, 2001a, 2003).
Dieser allgemeinsprachlichen Bedeutungsentwicklung geht eine fachsprachliche voraus: Segregation ist mit den Bedeutungen soziale
sowie insbesondere sozialräumliche Trennung von Personen(gruppen)
Teil der Terminologie der Soziologie im Allgemeinen und der Stadtsoziologie im Speziellen (vgl. exemplarisch 3Wörterbuch der Soziologie, 420–422 sowie Häußermann/Siebel 2004, hier insb. Kapitel 11 bis 13). Im englischsprachigen Raum wurde das Konzept der (residentiellen) Segregation bereits in den 1920er Jahren von Vertretern der Chicago School eingeführt (vgl. Blasius 1988, 410). Im deutschsprachigen Raum scheint das Konzept erst mit deutlicher Zeitverzögerung rezipiert zu werden – zumindest ist die Wortverbindung residentielle Segregation (1969) im Deutschen nicht vor Ende der 1960er Jahre bezeugt und etabliert sich erst im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte endgültig (vgl. die Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers, die einen Anstieg der Bezeugungsfrequenz ab den 1980er Jahren zeigt). Ebenso Teil der Fachsprache ist die Wortverbindung sozialräumliche Segregation, deren Bezeugungsfrequenz ebenfalls seit den 1980er Jahren steigt (1997, 2010a; vgl. auch die Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).
Segregation in der Terminologie der Biologie
Ausgehend von der recht allgemeinen Bedeutung Trennung
findet Segregation Eingang in die Terminologie der Biologie. Auch dort ist das Wort bereits früh bezeugt (1743) und bezeichnet hier die Aufspaltung ursprünglich väterlicher bzw. mütterlicher Erbanlagen durch die zufallsgemäße Verteilung der Chromosomen während der Meiose (Farbtafel).
(Lexikon der Biologie Online unter Segregation; 1964).
Literatur
A la Mode-Sprach Gladov, Friedrich: A la Mode-Sprach der Teutschen Oder Compendieuses Hand-Lexicon. Jn welchem die meisten aus fremden Sprachen entlehnte Wörter und gewöhnliche Redens-Arten, So in denen Zeitungen, Briefen und täglichen Conversationen vorkommen, Klar und deutlich erkläret werden. Nürnberg 1727. (deutschestextarchiv.de)
Blasius 1988 Blasius, Jörg: Indizes der Segregation. In: Soziologische Stadtforschung. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 29 (1988), S. 410–431.
Busse 1997 Busse, Dietrich: Das Eigene und das Fremde. Annotationen zu Funktion und Wirkung einer diskurssemantischen Grundfigur. In: Matthias Jung/Martin Wengeler/Karin Böke (Hrsg.): Die Sprache des Migrationsdiskurses. Das Reden über „Ausländer“ in Medien, Politik und Alltag. Opladen 1997, S. 17–35.
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
8Georges Georges, Karl Ernst: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Aus den Quellen zusammengetragen und mit besonderer Bezugnahme auf Synonymik und Antiquitäten unter Berücksichtigung der besten Hilfsmittel. Bd. 1–2. 8., verbesserte und vermehrte Aufl. Hannover 1913–1918 [Nachdruck Darmstadt 2003]. (zeno.org)
Häußermann/Siebel 2004 Häußermann, Hartmut/Walter Siebel: Stadtsoziologie. Eine Einführung. Frankfurt a. M./New York 2004.
Lexikon der Biologie Online Sauermost, Rolf (Projektleitung): Lexikon der Biologie. Online Ausgabe, Heidelberg 1999-. (spektrum.de)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
3Wörterbuch der Soziologie Wörterbuch der Soziologie. Hrsg. von Günter Endruweit/Gisela Trommsdorff/Nicole Burzan. 3., völlig überarb. Aufl. Konstanz u. a. 2014.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Segregation.