Wortgeschichte
No-go-Area: Ein Neologismus des ausgehenden 20. Jahrhunderts
Ab Ende der 1980er Jahre sickert ein neues Wort in die deutsche Sprache ein: No-go-Area, das zunächst vorwiegend in Bezug auf andere Länder und zunächst auch noch mit Übersetzung oder Bedeutungsangabe begegnet (1988, 1994b, 1994a). Vorläufer sind ab den 1970er Jahren Wortverbindungen wie No-go-Gebiete oder No-Go-Bezirke (1972a, 1972b; beide Belege im Kontext des Nordirlandkonfliktes). No-go-Area wird dabei sowohl im weiteren Sinne mit der Bedeutung gefährliches Gebiet
bzw. Gebiet, das aus Sicherheitsgründen nicht betreten werden darf oder soll
(Neologismenwb. unter No-go-Area) als auch im engeren Sinn mit der Bedeutung Stadtteil, Bezirk, in dem es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt und wo die öffentliche Sicherheit nicht gewährleistet ist
(Duden online unter No-go-Area) angegeben. Damit rückt das Wort semantisch erkennbar in die Nähe von nur unwesentlich früher geprägten Wörtern wie sozialer BrennpunktWGd oder ProblemviertelWGd. Gleichwohl erschöpft sich die Bedeutung von No-go-Area nicht in dieser Bedeutung.
No-go-Area als Sperrzone
: Entlehnung eines Militärbegriffs
Entlehnt wird das Wort aus dem Englischen, wo es zunächst in militärischen Kontexten geprägt wurde. Nicht ganz klar ist, welche militärische Auseinandersetzung den Hintergrund für seine erstmalige Verwendung bildet. Es kursieren hier verschiedene Angaben; gelegentlich wird der Ursprung des Wortes auf den Bürgerkrieg in Rhodesien zurückgeführt (2006d, 2007e). Als gesichert kann wohl gelten, dass es während des Vietnamkriegs genutzt wurde: Das südvietnamesische Terrain war in Go und No Go areas unterteilt.
(Clark 1990, 202, Übersetzung ASB).1) Als gesichert kann weiterhin gelten, dass das Wort zwischen 1969 und 1972 im Kontext des Nordirlandkonfliktes verwendet wurde:Go
areas waren solche, die Panzeroperationen unterstützen konnten, No Go areas solche, die sie nicht unterstützen konnten.
Nach Bürgerunruhen im Sommer 1969 wurden bestimmte nationalistische Viertel in Belfast und Derry zuNo-go-Areasfür Angehörige der Sicherheitskräfte. Eine Zeit lang wurden die Gebiete mit Barrikaden abgesperrt. DieseNo-go-Areasblieben bis zum Start der Operation Motorman am 31. Juli 1972 bestehen. [CAIN Web Service unter No-go Areas, Übersetzung ASB]2)
So verweisen frühe Bezeugungen im Englischen auf den Nordirlandkonflikt (vgl. jedenfalls die Erstbelege des 3OED unter no go, phr., adj., and n., hier Bedeutung 4 Of an area
).
Auch im Deutschen wird No-go-Area bis heute im Zusammenhang mit Kriegsgebieten verwendet (2003b). Es nimmt hier die Bedeutung Sperrzone
und/oder die einer Zone an, die nicht unter der Gewalt der Exekutive steht. Aber auch innerhalb Deutschlands kann No-go-Area mit der Bedeutung Sperrzone
gebraucht werden, entweder tatsächlich im Sinne eines polizeilich abgeriegelten Gebiets (2007d, 2007c) oder aber im weiteren Sinne eines Betretungsverbots (2007a, 2007b, 2015).
No-go-Area als rechtsfreier Raum
No-go area bedeutet im Englischen nun nicht nur (militärische) Sperrzone
, sondern auch allgemeiner an area that is dangerous or where people are not allowed to go
(vgl. Merriam-Webster unter no-go area). Mit dieser Bedeutung kann es auch auf als gefährlich wahrgenommene Gebiete bezogen werden. Auch diese Verwendung ist im Deutschen zunächst auf andere Länder bezogen, insbesondere auf die USA (1994a, 1998a, 1999). Im Deutschen kann das Wort sowohl im Sinne eines rechtsfreien Raums
(2004, 2005a) als auch im weiteren Sinn als gefährlicher Ort
verwendet werden. Diese Verwendung ist im deutschen Sprachgebrauch häufiger und muss näher differenziert werden: Sie bildet sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre aus, zunächst in Bezug auf Gegenden bzw. Gebiete Deutschlands, die als fremdenfeindlich oder rechtsextrem belastet gelten (1998b, 1998c, 2000). Bereits ab den frühen 2000ern wird das Wort aber auch für Stadtbezirke verwendet, in denen der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund besonders hoch ist (2003c, 2012b). In diesem Verwendungszusammenhang kommen zusätzlich Konnotationen wie Armut und hohe Kriminalitätsrate (2005a, 2016c) oder Verwahrlosung (2005c) hinzu, die No-go-Area semantisch deutlich in die Nähe der Wörter sozialer BrennpunktWGd und ProblemviertelWGd rücken.
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Angsträume und Fremdheitskonstruktionen: Zwei Diskursereignisse um No-go-Areas
In den vergangenen Jahren ist No-go-Area im Kontext zweier Diskursereignisse aufgetreten. Das erste schließt sich an ein Interview mit dem ehemaligen Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye im Vorfeld der Fußball-WM 2006 im Deutschlandradio an. Heye warnte im Vorfeld der WM vor dem Besuch bestimmter Gebiete Ostdeutschlands, in denen die Zahl an Rechtsextremen besonders hoch sei. Heye selbst hat No-go-Area nicht verwendet; wörtlich sagte er: Ich glaube, es gibt kleinere und mittlere Städte in Brandenburg und auch anderswo, wo ich keinem raten würde, der eine andere Hautfarbe hat, hinzugehen. Er würde es möglicherweise lebend nicht wieder verlassen.
(2006a) In der nachfolgenden medialen Auseinandersetzung jedoch wird No-Go-Area - Go hier in Großschreibung - schnell zum Schlagwort (2006e, 2006b, 2006c; vgl. auch Begrich/Weber 2007, 164). Diese Verwendung von No-Go-Area ist nicht neu (1998b, 1998c, 2000), schlägt im Vorfeld der WM aber mediale Wellen. Das zweite Diskursereignis schließt sich an die Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015/2016 an (2016b, 2016a, 2016d).
Beide Diskursereignisse sind über die Unterscheidung bzw. Konstruktion eines vermeintlich Eigenen
und des vermeintlich Fremden
organisiert (vgl. auch Busse 1997). In der Debatte um die Ereignisse in der Silvesternacht 2015/2016 konstituieren sich Angst und Gefahr über diese Unterscheidung, etwa wenn pauschal von Flüchtlingen aus Nordafrika
die Rede ist, die die Frauen wie in Köln antanzten
(2016d). Die No-go-Area wird hier zum Angstraum vor dem vermeintlich Fremden
. Anders ist die Lage für das Diskursereignis um die Fußball-WM 2006: Die No-go-Area soll hier Andersfarbige
(2006e) bzw. Ausländer
(2006c) vor rechtsfreien Räumen aufgrund von Rechtsradikalismus warnen – sie wird mithin zum Angstraum für den vermeintlich Fremden
. Wenn in beiden Diskursereignissen nun von No-go-Areas für bestimmte soziale Gruppen die Rede ist, wenn also ein bestimmtes Gebiet zu einer gefährlichen Zone
für bestimmte soziale Gruppen erklärt wird, dann wird damit zugleich eine soziale Abgrenzungslinie gezogen, die auf dieser Konstruktion von Differenz beruht.
Tabu
oder: Von geistigen No-go-Areas
und No-Gos
Neben Bedeutungen, die auf konkrete Räume – seien es nun Sperrzonen, seien es mit Angst besetzte Stadtbezirke oder Regionen – bezogen sind, treten schließlich Verwendungen im übertragenen Sinn. No-go-Area wird hier im Sinne von Tabu
verwendet (2008, 2012a). Diese Bedeutung ist mindestens seit Beginn der 2000er Jahre belegt (2003a).
Ebenfalls seit den 2000er Jahren im Deutschen bezeugt ist No-Go (2001a, 2002), das ein nicht zu empfehlender Ort
(2001b), als peinlich angesehenes Verhalten
(2005d) sowie als nicht in Betracht kommend gesehene Sache bzw. Entscheidung
(2005b) bedeuten kann (vgl. Neologismenwb. unter No-Go). Gelegentlich wird das Wort auch mit den Bedeutungen Verbot; Tabu
sowie Nichterfüllung eines Kriteriums; Stopp
als Teil des Wirtschaftsjargons angegeben (vgl. Duden online unter No-Go).
Im Englischen ist no go nun als Phrase bereits seit dem beginnenden 19. Jahrhundert, als attributive adjektivische Fügung seit den 1830er Jahren und als Substantiv seit den 1870er Jahren bezeugt (vgl. 3OED unter no go, phr., adj., and n., geht mithin der Bildung von no-go area voraus. Demgegenüber spricht einiges dafür, dass es sich im Deutschen genau umgekehrt verhält: Nicht nur ist No-go-Area bereits deutlich früher bezeugt, auch scheint es sich bei No-Go um eine Verkürzung von No-go-Area zu handeln. Dafür spricht zum einen, dass No-Go auch im räumlichen Sinn verwendet werden kann (2001b) sowie zum anderen, dass Verwendungen von No-go-Area im übertragenen Sinn mit der Bedeutung Tabu
und das Wort No-Go im Deutschen in etwa zeitgleich auftreten (2002, 2003a).
Der Duden bucht das Wort mit der Schreibweise No-Go; daneben existieren jedoch auch die Schreibweisen No-go sowie selten no-go und NO-GO (2010a, 2009a, 2010c, 2014; zur Verbreitung der unterschiedlichen Formen vgl. die Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).
No-Go tritt häufig in der Verbindung absolutes No-Go (2001a, 2009a, 2009b, 2010a), gelegentlich auch totales No-Go, auf (2010b).
Anmerkungen
1) Im Original: The terrain of South Vietnam was subdivided into Go/No Go areas.
(Clark 1990, 202)Go
areas were able to support armor operations, No Go areas were not.
2) Im Original: During the summer of 1969, following widespread civil unrest, certain Nationalist districts in Belfast and Derry became
(CAIN Web Service unter No-go Areas)no-go areas
for members of the security forces. For a time the areas were enclosed by barricades. These no-go areas
remained in place until the launch of Operation Motorman on 31 July 1972.
Literatur
Begrich/Weber 2007 Begrich, David/Thomas Weber: Warum Angsträume mehr sind als „No-Go-Areas“. In: Heitmeyer, Wilhelm: Deutsche Zustände. Folge 5. Franfurt/Main 2007, S. 264–271.
Busse 1997 Busse, Dietrich: Das Eigene und das Fremde. Annotationen zu Funktion und Wirkung einer diskurssemantischen Grundfigur. In: Matthias Jung/Martin Wengeler/Karin Böke (Hrsg.): Die Sprache des Migrationsdiskurses. Das Reden über „Ausländer“ in Medien, Politik und Alltag. Opladen 1997, S. 17–35.
CAIN Web Service No-go Areas. In: Ulster University: CAIN Web Service – Conflict and Politics in Northern Ireland, A Glossery of Terms Related to the Conflict. (ulster.ac.uk)
Clark 1990 Clark, Gregory R.: Words of the Vietnam War. The Slang, Jargon, Abbreviations, Acronyms, Nomenclature, Nicknames, Pseudonyms, Slogans, Specs, Euphemisms, Double-talk, Chants, and Names and Places of the Era of United States Involvement in Vietnam. McFarland & Company, Inc., Publishers Jefferson, North Carolina and London 1990.
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
Merriam-Webster Merriam-Webster.com Dictionary, Merriam-Webster. (merriam-webster.com)
Neologismenwb. Leibniz-Institut für deutsche Sprache (IDS): Neologismenwörterbuch. (owid.de)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu No-go-Area, No-Go.