Wortgeschichte
Herkunft
Das gegenwärtig veraltete Wort Koterie wird zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus französisch coterie (geschlossene) Gesellschaft
entlehnt. Ursprünglich bezeichnet es eine Gemeinschaft von abgabepflichtigen Bauern, die die Ländereien eines Grundherrn bewirtschaften
. Zurückzuführen ist das Wort auf mittellateinisch cotarius Mieter einer Kate, Hütte
(vgl. 1DHLF, 542; Gamillscheg 1969, 167). Das französische Wort findet sich als Entlehnung etwa zeitgleich auch in anderen europäischen Sprachen (vgl. 3OED unter coterieengl. und SAOB unter Kotterischwed.). In deutschsprachigen Texten liegt der Ausdruck in verschiedenen Schreibungen vor, neben der französischen C-Schreibung Coterie bzw. Cotterie tritt es von Anfang an auch in der K-Schreibung Koterie und Kotterie auf.
Die Coterie der Maler: frühe Bezeugung in der Schweiz
Die vermutlich frühesten Belege für das Wort Koterie in deutschsprachigen Texten finden sich in der moralischen Wochenschrift Die Discourse der Mahlern, die in den Jahren 1721 bis 1723 von den Züricher Schriftstellern Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger herausgegeben wurde, um die Tugend und den guten Geschmack in unsern Bergen einzuführen (1721a; vgl. Brunt 1983, 215, ferner 1DWB 10, 1, 1252). In den Discoursen (vgl. Abb. 1) kommt das Wort in der Schreibung Coterie und Cotterie mehrfach als Selbstbezeichnung der Gruppe in der Lesart kleine Gesellschaft von Personen mit engen Beziehungen und gemeinsamen Interessen
vor; die Herausgeber bezeichnen sich selbst auch als Cot(t)eurs (1722a). Die Bezeichnung Koterie für die Züricher Gruppe wird auch außerhalb des vertrauten Freundeskreises übernommen, alternativ wird auch von der Gesellschaft der Maler gesprochen. Das Wort Koterie dient in den Discoursen nicht nur als Selbstbezeichnung, es wird auch auf andere kleine Gesellschaften
bezogen (1722b, 1722c).

Abb. 1: Titelblatt „Die Discourse der Mahlern“ 1721
Die Discourse der Mahlern. Erster Theil. Zürch 1721. (e-rara.ch) | Public Domain Mark 1.0
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Die Texte der Discourse enthalten zahlreiche Fremdwörter, besonders der Einfluss der Sprache des Nachbarlands Frankreich auf die Schweizer Gruppe ist unverkennbar. Die übermäßige Verwendung von Fremdwörtern wird von Zeitgenossen dann auch alsbald beanstandet und in diesem Zusammenhang wird auch das französische Wort Koterie explizit erwähnt – es ließe sich doch durch Gesellschaft ersetzen (1721b). Dass der Ausdruck Koterie in den frühen 1720er Jahren ohnehin noch nicht allgemein bekannt war, zeigt ein Briefwechsel rund um die neu gegründete Züricher Gruppe, in dem einer der Beteiligten fälschlicherweise von dem Wort Lotterie ausgeht (1721c).
Gesellige Gruppen
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird das Wort geläufiger. Koterie wird nun nicht nur für Gruppen verwendet, die sich zum intellektuellen Austausch treffen wie im Fall der Züricher Koterie; vielmehr geht es bei den entsprechenden Zusammenkünften vornehmlich um Vergnügen und geselligen Zeitvertreib (1730, 1768, 1773). Der Bedeutungsaspekt Geselligkeit
ist auch bei anderen Wörtern derselben Zeitperiode zu beobachten, was etwa durch die syntaktische Nähe zu Wörtern wie KränzchenWGd, TeegesellschaftWGd oder KlubWGd deutlich wird (1777, 1779). Die von Koterien miteinander angestellten gemeinschaftlichen Lustbarkeiten beschreibt die zeitgenössische Enzyklopädie von Johann Georg Krünitz: Man trifft sich zum Ausreiten, zum Spazierenfahren, zum Concert, zum Schmausen, Pickenick, Kränzchen (1776). Im Jahr 1813 wird Koterie definiert als gesellschaftlicher Verein zum Vergnügen und leichte Vereinigung.
Exklusive Gruppen
Die mit Koterie bezeichneten Gruppierungen zeichnen sich durch eine gewisse Exklusivität aus. Das Wort wird vorwiegend auf kleine elitäreWGd gesellschaftliche Kreise der Oberschicht bezogen, auf Zusammenkünfte von Adligen oder des gehobenen Bürgertums, die sich auf der Grundlage ihres gemeinsamen höheren sozialen Status und gemeinsamer Interessen an kulturellen, literarischen oder politischen Themen zum (Gesprächs-)Austausch zusammenfinden (1834, 1857; vgl. dazu auch Standeselite).
Die Mitgliederzahl der Koterien ist in der Regel überschaubar (kleine Koterie, z. B. 1826, 1900). Die einem ausgewählten Personenkreis vorbehaltenen geschlossenen Gesellschaften
grenzen sich (mehr oder weniger strikt) von anderen ab (1838a).
Kritisierte Gruppen: pejorative Verwendung
Auch wenn sich das Wort Koterie von Beginn an auf exklusive Kreise bezieht, ist die Verwendung im 18. Jahrhundert gleichwohl als neutral anzusehen. Im 19. Jahrhundert tritt allerdings eine Bedeutungsverschlechterung ein, das Wort wird zwar nicht ausschließlich (1847a), aber überwiegend mit einer negativen Wertung verbunden und wird nur noch als Fremdbezeichnung gebraucht (z. B. 1838b, 1847b). Koterie wird nun synonym zu Wörtern wie KlüngelWGd und Sippschaft und dem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entlehnten Wort CliqueWGd in der Bedeutung Personenkreis, der auf selbstsüchtige Weise vorrangig eigene Interessen und Ziele verfolgt
bzw. Gruppe von Personen, die sich gegenseitig Vorteile verschaffen
verwendet (1846, 1856, 1866). Auch in zeitgenössischen Nachschlagewerken wird die pejorative Verwendung von Koterie beschrieben, Herder merkt den verächtlichen Nebenbegriff des Worts an (1854a; vgl. später 1905, 1910a).
Besonders die kritische und abwertende Verwendung des Worts Koterie für bestimmte literarische Gruppierungen – von denen sich einige der nicht dazugehörigen Schriftsteller benachteiligt und zurückgesetzt fühlen – sticht hervor (1851a; literarische Koterie: 1854b, 1908a). Dass ein Leben außerhalb von Koterien und Cliquen einem Schriftsteller zwar durchaus schaden könne, für ihn persönlich jedoch alternativlos sei, beschreibt Theodor Fontane in einem Brief an seine Frau: Ich bin absolut einsam durchs Leben gegangen, ohne Klüngel, Partei, Clique, Klub, Weinkneipe, Skat und Freimaurerschaft ... wenn ich’s noch einmal machen sollte, so macht ich's wieder so. (1883; vgl. auch den Beleg 1908b)
Die Bezeichnung Koterie wird überdies häufig auf politische Gruppierungen bezogen, die unter anderem als reaktionär oder korrupt beschrieben werden (1849, 1850, 1874, 1910b). Beispielsweise verwendet auch Karl Marx das Wort mehrfach in seinen Schriften im Hinblick auf Gruppen der herrschenden Klasse (1869a; 1869b mit Bezug auf Frankreich im Kontext mit dem Wort BourgeoisieWGd). Auf Politiker, von denen angenommen wird, sie machten sich nicht von den als Koterien bezeichneten mächtigen und meinungsbildenden Gruppen abhängig, wird mitunter explizit hingewiesen. Über den Reichskanzler Otto von Bismarck wird zum Beispiel im Jahr 1901 von seinem Nachfolger behauptet: er gehört keiner Koterie, er gehört der ganzen Nation, er ist ein nationales Eigentum.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Pejorisierung des Worts Koterie im 19. Jahrhundert mit einer deutlichen Kritik an exklusiven und einflussreichen Gruppierungen einhergeht. Die Ausgrenzung anderer und die Selbstbezogenheit dieser Gruppen wird teilweise scharf kritisiert oder auch verspottet (1830a, 1854c, 1857). Die Kritik ist häufig mit der Annahme verbunden, dass die Begrenzung auf den eigenen elitären Kreis auch zu einer gewissen gedanklichen Begrenztheit und Ablehnung anderer Positionen führe (1838a, 1851b, 1855, 1878). Gegenwärtig könnte man Gruppen, die fast ausschließlich Kontakt mit Gleichgesinnten und deren Auffassungen haben, mit Wörtern wie Filterblase bzw. Blase oder Echokammer bezeichnen (vgl. Duden online unter Blase und Echokammer).
Koteriesprache und weitere Wortbildungen
Das Kompositum Koteriesprache ist zuerst auf Johann Wolfgang von Goethe zurückzuführen:
Es entſpann ſich bald unter uns eine Cotterie-Sprache, wodurch wir vor allen Menſchen reden konnten, ohne daß ſie uns verſtanden, und ſie bediente ſich dieſes Rothwelſches oͤfters mit vieler Keckheit in Gegenwart der Aeltern [1812].
Goethe bezieht das Wort auf eine mit seiner Schwester verwendete Geheimsprache – ein privates Idiom, das nur die vertrauten Geschwister verstehen und für Außenstehende unverständlich erscheint. Einen individuellen Jargon beschreibt Goethe auch mit Bezug auf ein befreundetes Paar, mit denen er in einer neckische[n] Coteriesprache kommuniziert (1814). In Bezug auf die Schriften Johann Caspar Lavaters verwendet Goethe das Kompositum Koteriesprache im Hinblick auf die von diesem verwendete Wissenschaftssprache, die für andere offenbar schwer zugänglich war (1830b; vgl. GWB 5, 667).
Der Gebrauch des Worts Koteriesprache ohne abwertende Konnotation bleibt auf Goethe begrenzt. Da der Exklusivitätsanspruch von Koterien seit dem 19. Jahrhundert zunehmend in der Kritik steht, wundert es nicht, dass auch der als ausgrenzend wahrgenommene Sprachgebrauch dieser Personenkreise beanstandet wird. Bereits 1787 wird über den kriechenden Jargon der Kotterien geschrieben und auch das Kompositum Koteriesprache wird pejorativ verwendet. Mit Koteriesprache (vgl. auch Koteriewort 1854d) wird ein exklusiver, nur innerhalb des jeweiligen Personenkreises verständlicher und somit ausgrenzender Sprachgebrauch bezeichnet (vgl. 1854e, 1909).
Der Ausdruck Koterie ist auch als Bestandteil weiterer Wortbildungen bezeugt, so zum Beispiel in den Ableitungen Gegenkoterie (1722b), Koterientum (1848) und Koteriewesen (1860). Außerdem ist Koterie als Grundwort in Komposita wie Frauenkoterie (1722d), Weiberkoterie (1722c) und Familienkoterie (1840; 1898, vgl. hier NepotismusWGd) sowie als Bestimmungswort in den Bildungen Koteriesaal (1722e), Koteriegeist (1854f) und in dem okkasionellen Kompositum Koteriegewäsch (1831) zu finden.
Bezeugung
Abb. 2: Wortverlaufskurve „Koterie“ aus den DWDS Referenz- und Zeitungskorpora
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Die DWDS-Wortverlaufskurve (vgl. Abb. 2) zeigt die relativ kurze Karriere des Lehnworts Koterie in deutschsprachigen Texten. Nach einem eher zurückhaltenden Gebrauch im 18. Jahrhundert nimmt die Anzahl der Belege im 19. Jahrhundert stetig zu, das Wort erreicht (einhergehend mit der zunehmenden pejorativen Verwendung) in der Jahrhundertmitte seinen Bezeugungshöhepunkt. Insgesamt bleibt Koterie jedoch während seiner gesamten Bezeugungszeit ein eher randständiges Wort.
Im Hinblick auf seine Gebräuchlichkeit wird Koterie im 20. Jahrhundert von dem bereits vorher häufiger bezeugten bedeutungsverwandten Wort CliqueWGd abgelöst. Während Clique kontinuierlich an Bedeutung gewinnt und sein Gebrauch besonders seit etwa 1900 stark zunimmt, geht dieser in Bezug auf Koterie zeitgleich stark zurück. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts findet der Ausdruck Koterie kaum noch Verwendung, er ist nur noch vereinzelt (z. B. historisierend oder literarisch in bewusster Verwendung des veralteten Ausdrucks) bezeugt (1968, 2017). Koterie ist heute nicht mehr gebräuchlich und vermutlich für viele auch kaum noch verständlich.
Literatur
Brunt 1983 Brunt, Richard J.: The Influence of the French Language on the German vocabulary (1649 –1735). Berlin u. a. 1983.
1DHLF Dictionnaire historique de la langue française, par Alain Rey et al., 3. Aufl. Bd. 1–2. Paris 2000.
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
2DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Deutsche Akademie der Wissenschaften) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–9. Stuttgart 1983–2018. (woerterbuchnetz.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
Gamillscheg 1969 Gamillscheg, Ernst: Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache. 2., vollständig neu bearbeitete Aufl. Heidelberg 1969.
GWB Goethe-Wörterbuch. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften [bis Bd. 3, Lfg. 4. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften der DDR], der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. 1 ff. Stuttgart 1978 ff. (woerterbuchnetz.de)
Herder Herders Conversations-Lexikon. Kurze aber deutliche Erklärung von allem Wissenswerthen aus dem Gebiete der Religion, Philosophie, Geschichte, Geographie, Sprache, Literatur, Kunst, Natur- und Gewerbekunde, Handel, der Fremdwörter und ihrer Aussprache etc. etc. Hrsg. von Johann Gottfried von Herder. Bd. 1–5. Freiburg im Breisgau 1854.
Krünitz Krünitz, Johann Georg/Heinrich Gustav Flörke: Ökonomische Encyklopädie oder Allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirtschaft. In alphabetischer Ordnung. Berlin 1773–1858. (kruenitz1.uni-trier.de)
MLW Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert. In Gemeinschaft mit den Akademien der Wissenschaften zu Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz, Wien und der Schweizerischen Geisteswissenschaftlichen Gesellschaft hrsg. von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Begr. von Paul Lehmann und Johannes Stroux. Bd. 1ff. Berlin 1967ff. (woerterbuchnetz.de)
NDB Neue Deutsche Biographie. Bd. 1ff. Berlin 1953ff. (deutsche-biographie.de)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
SAOB Ordbok över svenska språket. Utg. av Svenska Akademien. Bd. 1–38. Lund u. a. 1898–2021. (svenska.se)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Koterie, Koteriesprache.