Wortgeschichte
Herkunft und Wortbildung
Netzwerk schließt sich an eine Reihe von kollektivierenden -werk-Bildungen an, die im Deutschen seit dem 14. Jahrhundert erst vereinzelt, seit dem 17. Jahrhundert in größerer Produktivität auftreten (z. B. Flechtwerk, Gitterwerk). Netzwerk ist eine zum Substantiv Netz gebildete Ableitung mit dem aus dem homonymen Substantiv Werk entwickelten reihenbildenden Suffix -werk. Das Suffix -werk hat die Wortbildungsbedeutung Kollektivum
, kennzeichnet also die Gesamtheit von etwas (vgl. Fleischer/Barz 2012, 230). Im Fall von Netzwerk zeigen schon die ältesten Belege Kollektivbedeutung: Es wird die Gesamtheit des Netzes oder mehrerer Netze
bzw. sämtliche miteinander verbundene Netze
bezeichnet.
Inwieweit die deutsche Form Netzwerk auf älteres, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bezeugtes englisches network (s. 3OED unter network, n. A 1) oder auch im Niederländischen früher gebrauchtes netwerk zurückgeht bzw. nach deren Vorbild gebildet wird, ist nicht mit Sicherheit zu klären. Der erste greifbare Beleg aus dem Jahr 1672 kann möglicherweise als Lehnübersetzung aus dem Niederländischen angesehen werden, steht jedoch isoliert. Da sich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts insgesamt nur vereinzelte Nachweise für den Ausdruck Netzwerk finden, ist eine fundierte Aussage über frühe Entlehnungsprozesse schwer möglich.
Auch wenn jüngere Verwendungsweisen von Netzwerk im 20. Jahrhundert in der Soziologie und EDV sicherlich von englisch network beeinflusst sind, ist wohl nicht von einer Neuentlehnung aus dem Englischen auszugehen, da Netzwerk zu diesem Zeitpunkt bereits eine lange und durchgehende Geschichte in der deutschen Sprache aufweist.
Ein Netzwerk aus Draht oder aus Schnüren
In den ältesten Nachweisen wird das Wort Netzwerk in der Bedeutung netzartiges Gebilde aus geknüpften Fäden, Garnen, Schnüren, Drähten
auf materielle Gegenstände bezogen. Ein früher Beleg stammt aus einer im Jahr 1672 zuerst auf Niederländisch veröffentlichten und sogleich ins Deutsche übersetzten Schrift. Hier wird mit Netzwerk (in der niederländischen Originalausgabe nettenwerk, vgl. auch mittelniederdeutsch netwerk , s. Lasch/Borchling 2, 1096) eine anscheinend aus mehreren Netzen bestehende Schutzvorrichtung auf einem Schiff zum Zwecke der Verteidigung bezeichnet (vgl. 1DWB 14, 2169). Von vereinzelten Textbelegen abgesehen (1711, 1754), kommt es erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer Gebrauchszunahme von Netzwerk. So bezeichnen Forschungsreisende wie der Naturforscher Johann Georg Forster die in ihren Augen ungewöhnlichen netzartigen Kleidungsstücke bzw. Textilgebilde indigener Völker mit dem Wort Netzwerk (1762, 1778, 1787).
Seit dem auslaufenden 18. Jahrhundert bezeichnet das Wort zudem Material und Struktur von Einhegungen
, z. B. eine kleine mit Gitter und Netzwerk versehene Fasanerie (1780, 1881). Vielfach werden die als Netzwerke bezeichneten Flecht- und Knüpfarbeiten im Zusammenhang mit Fischfang und Jagd verwendet. Für diese netzartigen Gerätschaften zum Fangen und Transportieren von Tieren (1854, 1889, 1892) sind heutzutage eher das Simplex Netz und die Komposita Fischer- und Fangnetz gebräuchlich. Zum einen werden die Netze selbst, also die Flecht- und Knüpfarbeiten
, als Netzwerk bezeichnet, zum anderen bezieht sich der Ausdruck auch auf das Material bzw. die gitterartige Struktur des Gebildes (etwas ist aus Netzwerk, z. B. 1823, 1861, 1925).

Abb. 1: „Das Luftschiff der Adler“, Polytechnisches Journal 1836
Polytechnisches Journal (1836), Tab. II (Ausschnitt). (slub-dresden.de) | Public Domain Mark 1.0
Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten und Anwendungsbereiche der mit Netzwerk bezeichneten Objekte im technischen Bereich kann man für das 19. Jahrhundert besonders im Polytechnischen Journal , dem sogenannten DinglerDWDS verfolgen. Es zeigen sich in vielen Textstellen die Bedeutungsaspekte Verstärkung
und Schutz
, wenn z. B. die Rede davon ist, dass ein Luftschiff ringsum mit starkem Nezwerke umgeben (1836) sei oder eine Tauchglocke durch ein Nezwerk aus Draht oder aus Schnüren (1838) verstärkt werden könne (vgl. auch 1880, 1897).
Ein aderichtes Netzwerk
Für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts ist eine Erweiterung des Verwendungsbereichs von Netzwerk feststellbar: Mit Netzwerk wird nun auch die Struktur von Blutgefäßen des menschlichen Körpers bezeichnet. In der Lesart netzartige Verzweigungen von Gefäßen und Fasern von Lebewesen
steht nun der Aspekt des Verknüpft- und Verbundenseins im Zentrum der Bedeutung netzartig miteinander Verbundenes
(1738)1). Dass man um diese Zeit bereits von einer gewissen Gebräuchlichkeit des Ausdrucks in medizinischen Zusammenhängen ausgehen kann, zeigt die Aufnahme des Artikels Netz=Wercke im Zedler, dem seinerzeit größten deutschsprachigen enzyklopädischen Lexikon, im Jahr 1740. Die Bedeutung wird dort mit lateinisch rete vasculare
angegeben und es wird regelrecht begeistert von der zarten und wunderbaren Structur des subtilen Netz=Wercke[s] an Schlag- und Blutadern in der Lunge berichtet.
Etwa 20 Jahre später findet sich das Wort Netzwerk mehrfach in der deutschsprachigen Übersetzung des von dem Schweizer Universalgelehrten Albrecht von Haller ursprünglich auf Latein verfassten medizinischen Werks Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers (1759, 1774a). Die im lateinischen Original verwendete Bezeichnung rēte Netz
für die verzweigten Verbindungen der feinen Blutgefäße (man spricht heute auch von Kapillarnetzen) wird in der deutschen Übertragung mit Netzwerk (in der Schreibung Nezzwerk) – oder auch synonym mit dem Simplex Netz sowie den Komposita Adernetz und Netzvergitterung – wiedergegeben.
Nicht nur lateinisch rēte, auch die englische Entsprechung network, die seit dem 17. Jahrhundert in diesem Verwendungszusammenhang bezeugt ist (s. 3OED unter network, n. A 2 b), wird im 18. Jahrhundert mit der deutschen Bildung Netzwerk übersetzt. In der populären deutschen Übertragung des Romans Tristram Shandy von Laurence Sterne wird die innerhalb der Beschreibung eines Geburtsvorgangs vorkommende englische Originalstelle (1760) von Johann Joachim Christoph Bode übersetzt mit: dasß bey ordentlichen Geburten, nur ein einziger Faden des Netzwerkes zerrissen oder verzerret würde (1774b).
Im 19. Jahrhundert häufen sich Belege in medizinischen und botanischen Schriften in vielfältigen Zusammenhängen, beispielsweise bezogen auf die Epidermis von Menschen und Pflanzen, das Gewebe von Amphibien (1820a, 1820b, 1822, 1875) und immer wieder auf die Blutzirkulation (1842, 1858a). Mit der Entdeckung der Mitochondrien im ausgehenden 19. Jahrhundert nehmen die Belege zu, in denen die verzweigte Struktur von Zellkernen mit dem Ausdruck Netzwerk beschrieben wird (1890; vgl. bereits 1839).
Auch gegenwärtig wird mit Bezug auf anatomische Strukturen von Lebewesen von Netzwerken gesprochen (1973, 2002). Mit der seit den 1990er Jahren vermehrt zu findenden Verbindung neuronales Netzwerk (1990, 2013a) ist die aus den Nervenzellen und den Verbindungen zwischen ihnen bestehende Struktur des Nervensystems gemeint. Mit der Wortverbindung künstliches neuronales Netzwerk werden im Bereich der Informationstechnologie Systeme bezeichnet, die der Funktionsweise des menschlichen Nervensystems nachgebildet sind (2017a).
Infrastrukturelle Netzwerke
Im Zusammenhang mit dem Aufbau und der Ausbreitung der technischen Infrastruktur zur Zeit der Industrialisierung in Deutschland kann man eine neue Entwicklung bezüglich des Gebrauchs des Worts Netzwerk feststellen. Während die als Netzwerke bezeichneten Gefäßnetze
oder Fang- und Schutznetze
beobachtbar und greifbar sind, bezeichnet der Ausdruck nun größere, nicht mehr fassbare
netzartige Verbindungssysteme (vgl. Friedrich/Biemann 2016, 81). Das Wort bezieht sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf alle Arten von infrastrukturellen technischen Verbindungssystemen für die Energie- und Wasserversorgung sowie die Verkehrs- und Telekommunikationsnetze2). Der Gesichtspunkt des Fangens, Umschließens, Schmückens und Schützens ist für die als Netzwerke bezeichneten (Wasser-)Straßen, Kanalisationsnetze, Eisenbahnlinien oder Elektrizitätsnetze nicht relevant, hier steht der Aspekt des miteinander Verknüpft- und Verbundenseins im Zentrum der Bedeutung (1846, 1858b, 1859, 1884a, 1884b, 1887, 1898; gegenwärtig z. B. 2014a).
Im Netzwerk der sozialen Beziehungen
Im 19. Jahrhundert wird das Wort Netzwerk übertragen in der Bedeutung Gesamtheit von miteinander verknüpften gedanklichen und ideellen Verbindungen
verwendet (1802, 1851a). Auch in der Bedeutung Fangnetz
wird Netzwerk nun häufiger auf Personen und Institutionen bezogen, zum Beispiel wenn von Politikern, die [u]mgarnt von diesen Netzwerken (1851b) sind oder von über den Staat gezogenen Netzwerke[n] der Vorschriften und Regeln (1856) geschrieben wird (vgl. hierzu auch vernetzenWGd in der Bedeutung mit einem Netz fangen, umgeben
).
Im 20. Jahrhundert wird das sprachliche Bild des Netzwerks in verschiedenen, häufig wissenschaftlichen Kontexten aufgegriffen, um komplexe Sachverhalte, Verbindungen und Zusammenhänge zu veranschaulichen. Bereits zu Beginn des Jahrhunderts greift der Soziologe Georg Simmel in seinem Hauptwerk über die Formen der Vergesellschaftung dieses Bild auf, wenn er über das äußere Netzwerk der Gesellschaft (1908) schreibt. Jedoch erst etwa 50 Jahre später wird Netzwerk zur Erklärung sozialer Differenzierung von zwischenmenschlichen Beziehungen in einem System
zu einem festen Begriff in den Sozialwissenschaften (vgl. Hillmann 2007, 619) – zuerst eingeführt in den 1950er Jahren in der Verbindung social networkengl. im Bereich der englischsprachigen Soziologie und Sozialanthropologie. Nicht viel später findet sich auch die nach englischem Vorbild übersetzte Wortverbindung soziales Netzwerk als soziologischer Begriff in deutschsprachigen Fachtexten (1959). Der Begriff Netzwerk und damit auch Netzwerkforschung, -analyse, -modell etc. ist für die Beschreibung sozialer Beziehungen und Interaktionen in der soziologischen Forschung (vgl. z. B. 2014b) – und auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen als Terminus zur Beschreibung komplexer Strukturen – seit den 1980er Jahren fest etabliert.
Neben der fachwissenschaftlich geprägten Verwendung des Begriffs Netzwerk als soziologische Beschreibungskategorie für komplexe Beziehungsgeflechte von Personen und Gruppen wird das Wort Netzwerk und auch die Verbindung soziales Netzwerk bald und bis heute in einem allgemeineren Verständnis standardsprachlich verwendet. Es werden sowohl die durch bestimmte Beziehungen (familiärer, freundschaftlicher, beruflicher Art) miteinander verbundenen Menschengruppen als auch zueinander in Beziehung stehende Institutionen, Organisationen, Firmen mit dem Wort Netzwerk bezeichnet. So wie mit dem Ausdruck zum einen das Netz als textiles Objekt, aber auch die netzartige Struktur gemeint sein kann, so bezieht sich Netzwerk hier zugleich auf die Gruppe sowie die Struktur der als netzartig angesehenen Verbindungen des Beziehungsgeflechts, in das die Personen bzw. Institutionen o. ä. eingebunden sind (1967, 1984, 2004a, 2005a).
In den Bereichen Politik und Wirtschaft und mit Bezug auf das Berufsleben steigert sich der Gebrauch des Wortes mit der Bedeutung Gruppe von Menschen, die zum gegenseitigen Nutzen miteinander verbunden sind
um die Jahrtausendwende stark: Ohne Netzwerke geht es nicht mehr (1999a, 1999b, 2000a, 2001a). Das Zauberwort der neuen Wirtschaft (1999a) wird bisweilen sogar als Modewort wahrgenommen (1999c). In diesem Zusammenhang finden sich Verbindungen wie ein gutes/stabiles/tragfähiges Netzwerk haben, sich ein berufliches Netzwerk aufbauen, Netzwerke knüpfen, in ein Netzwerk eingebunden sein (2001a, 2003a, 2003b, 2004b). Das meint: Durch das Knüpfen und Pflegen von Kontakten kann man im Bedarfsfall auf unterstützende Freunde, Bekannte und Kollegen zurückgreifen. Die Auffassung, dass ein Netzwerk die Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen beruflichen Einstieg und für weitere Karrieremöglichkeiten ist, wird fortwährend kommuniziert (z. B. 2000b, 2012). Diverse neue Wortbildungen wie Businessnetzwerk, Gründernetzwerk, Karrierenetzwerk und Unternehmensnetzwerk drücken die zunehmende Relevanz von Zusammenschlüssen in Vereinigungen und Verbänden zwecks Informationsaustauschs und beruflicher Unterstützung aus (2001b, 2013b).
Rechner im Netzwerk
Die digitale Revolution mit ihren Entwicklungen im Bereich der Informations- und Telekommunikation führt insbesondere mit dem Aufkommen des Internets zu einer enormen Gebrauchszunahme des Worts Netzwerk seit dem auslaufenden 20. Jahrhundert. Die Bezeichnung Netzwerk für spezifische Zusammenschaltungen von Bau- und Schaltelementen kennt man zu diesem Zeitpunkt schon länger aus dem Bereich der Elektrotechnik (vgl. Anglizismen-Wb. 2, 946). Im EDV-Bereich wird mit Netzwerk nun ein Zusammenschluss mehrerer voneinander unabhängiger Computer zum Zwecke des Datenaustauschs bezeichnet (vgl. vernetzenWGd). Es finden sich Wortverbindungen wie drahtloses, geschlossenes, lokales, offenes Netzwerk, eingebucht ins Netzwerk (1998a, 1999d, 2017b) sowie Komposita wie Computernetzwerk (1994) und Netzwerkrechner (1996).
Das im Englischen seit den 1960er Jahren mit Bezug auf den IT-Bereich verwendete Wort network (s. 3OED unter network, n. A 4 d) ist in deutschsprachigen Texten zwar häufig als Bestandteil eines Firmen- oder Produktnamens innerhalb der IT-Branche zu finden (z. B. Microsoft Network), jedoch wird das Wort alleinstehend in der Regel nicht wie die deutsche Entsprechung in der Lesart Vernetzung von Computern
gebraucht, sondern Network (häufig im Plural Networks) bezieht sich auf die in den USA in einem Verbundsystem zusammengeschlossenen kommerziellen Rundfunk- oder Fernsehsender (s. 3OED unter network, n. A 4 c; Anglizismen-Wb. 2, 945). Interessanterweise hat sich folglich die deutsche Wortbildung Netzwerk in der EDV-Welt, in der englischer Wortschatz oft vorherrschend ist, von Beginn an etabliert.
Generation Netzwerk3): In den sozialen Netzwerken
Seit den Nullerjahren wird der soziologisch geprägte Begriff soziales Netzwerk erweitert verwendet und bezeichnet nicht mehr nur die auf persönlichen Kontakten basierenden Verbindungen in der realen Welt, sondern bezieht sich nun auf Internetplattformen wie Facebook, Twitter, WhatsApp und ihre Vorläufer in der digitalen Welt. Auch bei den als soziale Netzwerke, soziale Netzwerkdienste oder auch als Onlinenetzwerke bezeichneten Internet-Plattformen geht es um Beziehungen: Der private und berufliche Kontaktaustausch findet hier online statt, man trifft sich in virtuellen Gemeinschaften, um zu kommunizieren, sich über Interessen auszutauschen und diese zu teilen, zu chatten und zu spielen. Um 2005 beginnt die fortwährende Berichterstattung über die seitdem boomenden Internetdienste (vgl. Neologismenwb. unter soziales Netzwerk), die zu diesem Zeitpunkt laut Berliner Zeitung zuerst nur gelegentlich als soziale Netzwerke bezeichnet werden (2005b). Anfangs wird noch ein sogenanntes soziales Netzwerk beschrieben; die Wortverbindung wird noch häufig in Anführungszeichen gesetzt (2007a, 2007b). Auch wenn sich schnell herausstellt, dass die sozialen Netzwerke im Internet nicht mehr ignoriert werden können (2008a), so wird doch noch einige Jahre über die neuen sozialen Netzwerke geschrieben (2011a).
Die rasanten Entwicklungen im Bereich der sozialen MedienWGd der letzten 15 bis 20 Jahre spiegeln sich natürlich in der Gebrauchshäufigkeit der in diesem Kontext verwendeten Wörter wider. So findet sich die Wortverbindung soziales Netzwerk gegenwärtig fast nur noch mit Bezug auf Facebook, Twitter etc., dagegen ist die Verbindung ohne diesen Bezug vergleichsweise selten bezeugt. Und auch die Kollokationen ändern sich mit dem neuen Verwendungszusammenhang. Während man mit Bezug auf miteinander verbundene Personen zum Beispiel ein soziales Netzwerk hat oder in ein soziales Netzwerk eingebunden ist, sind nun im Bereich der Onlinedienste folgende Wortverbindungen gebräuchlich: etwas (z. B. Kommentare) in den sozialen Netzwerken ankündigen/schreiben/sehen; etwas geschieht in den sozialen Netzwerken, jemanden über soziale Netzwerke erreichen (z. B. 2018).
In deutschsprachigen Texten tritt auch die englische Verbindung social network bzw. in der Großschreibung Social Network auf (2006, 2013c), allerdings deutlich seltener als die deutsche Entsprechung (vgl. die Wortverlaufskurve des Google Ngram Viewers). Im Englischen sind – bezogen auf Internetplattformen – neben social network auch die Verbindungen social media WGd oder social networking service bzw. social networking (web)site geläufig (vgl. Wikipedia unter Social networking service).
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Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Kritik an den gesellschaftlichen und individuellen Auswirkungen der als soziale MedienWGd bzw. soziale Netzwerke bezeichneten Plattformen ist schon früh laut geworden, dabei geht es u. a. um Bedrohungen, Falschnachrichten (Fake News
, vgl. alternative Fakten), Hass und Hetze, die über diese Onlinedienste verbreitet werden (s. auch die Verbindungen antisoziales bzw. asoziales Netzwerk, auf die man bisweilen trifft; 2014c, 2016a).
Mit Bezug auf rechtswidrige Inhalte ist seit 2017 ein Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken in Kraft, das mit dem auf den ersten Blick nicht gleich verständlichen Kompositum Netzwerkdurchsetzungsgesetz (abgekürzt NetzDG) bezeichnet wird (vgl. 2020a; Neologismenwb. unter Netzwerkdurchsetzungsgesetz). Dieses Gesetz verpflichtet die großen Internetplattformen, gegen das Strafgesetz verstoßende Inhalte umgehend zu entfernen. Netzwerk ist in diesem Kompositum Bestimmungswort, Durchsetzungsgesetz das Grundwort – es gibt weitere so benannte Gesetze, wie z. B. Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz und das noch längere Soldatinnen- und Soldatengleichstellungs-Durchsetzungsgesetz. Von Beginn an kommt es zu Kommentaren über die sperrige Wortform Netzwerkdurchsetzungsgesetz, die zu Wortspielen und zu kreativem Protest einlädt (2017d). Der damalige Justizminister Heiko Maas sagt 2017c selbst: kein schöner Name, ich weiß. Umgangssprachlich findet man daher auch eingängigere Alternativen, nämlich die Wortbildungen Facebookgesetz (2017e) oder Hate-Speech-Gesetz (2017f).
Dubiose, illegale, terroristische Netzwerke
Während die bisher beispielhaft genannten Wortverbindungen keine wertenden Konnotationen zeigen, werden durch die mit Adjektivattributen wie kriminell, mafiös, terroristisch seit den 1990er Jahren mit Bezug auf organisierte Kriminalität anzutreffenden Verbindungen negative Assoziationen geweckt (vereinzelt früher: 1948, 1954; 1999e, 2001c, 2005c; vgl. auch Komposita wie Drogen-, Schlepper-, Schmugglernetzwerk). Die Verbindung terroristisches Netzwerk und das Kompositum Terrornetzwerk treten mit Bezug auf die Terrororganisation „al-Qaida“ um die Jahrtausendwende auf, hauptsächlich nach den Anschlägen auf das World Trade Center (1998b, 2001c, 2001d; auch radikales Netzwerk 2001e). In der Berichterstattung über rechte Gruppierungen (z. B. die neonazistische Vereinigung „NSU“ wird über rechtsradikale und (rechts-)extremistische Netzwerke seit den 2010er Jahren geschrieben (2011b, 2013d, 2016b). Man liest auch von dubiosen, dunklen, illegalen, geheimen Netzwerken (2001f, 2015, 2016c) – aktuell auch im Zusammenhang mit sogenannten VerschwörungstheorienWGd (2020b; vgl. Gießmann 2016, 426). Das Wort erfährt hier im Ansatz eine Pejorisierung und findet sich dementsprechend auch im Kontext mit abwertend verwendeten Wörtern wie CliqueWGd, KlüngelWGd und SeilschaftWGd (z. B. 2008b; vgl. auch die häufig in der Umgebung von Netzwerk anzutreffenden Wörter EliteWGd, elitärWGd: bereits 1967; 1998c).

Abb. 2: Spinnennetz
Kerstin Meyer-Hinrichs (Privatfoto) | CC BY-SA 4.0
Die sich im 20./21. Jahrhundert über viele Bereiche der Gesellschaft erstreckenden Netzwerke sind oft nicht klar zu erfassen. Das sprachliche Bild des Netzwerks bezogen auf vielfältig verflochtene, teils weltweite Verbindungen in Wirtschaft, Politik, Kommunikation etc. lässt – zum Beispiel in Verbindungen wie internationale, transnationale oder globale Netzwerke – oftmals Interpretationsspielraum. Netzwerk spiegelt die wahrgenommene Komplexität und Undurchschaubarkeit der globalisierten und vernetzten Welt offenbar wider. Das Wort Netzwerk ist sowohl in neutralen als auch in negativ wahrgenommenen Verwendungszusammenhängen zu einem zentralen und omnipräsenten Wort des beginnenden Millenniums geworden.
Anmerkungen
1) Vgl. zum Aspekt der Verbundenheit die kulturgeschichtliche Studie Gießmann 2016.
2) Vgl. Osterhammel 2011, S. 1010–1055.
3) Vgl. 2010 und GenerationWGd.
Literatur
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1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
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Friedrich 2016 Friedrich, Alexander: Vernetzung als Modell gesellschaftlichen Wandels: Zur Begriffsgeschichte einer historischen Problemkonstellation. In: Leendertz, Ariane/Wencke Meteling (Hrsg.): Die neue Wirklichkeit: semantische Neuvermessung und Politik seit den 1970er Jahren. Frankfurt/New York 2016, S. 35–62. (econstor.eu)
Friedrich/Biemann 2016 Friedrich, Alexander/Chris Biemann: Digitale Begriffsgeschichte? Methodologische Überlegungen und exemplarische Versuche am Beispiel moderner Netzwerksemantik. In: Forum interdisziplinäre Begriffsgeschichte 5/2 (2016), S. 78–96. (zfl-berlin.org)
Gießmann 2016 Gießmann, Sebastian: Die Verbundenheit der Dinge: eine Kulturgeschichte der Netze und Netzwerke. 2., durchgesehene Aufl. Berlin 2016. (doi.org)
Hillmann 2007 Hillmann, Karl-Heinz: Wörterbuch der Soziologie. Begründet von Günter Hartfiel. 5. vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl. Stuttgart 2007.
Lasch/Borchling Mittelniederdeutsches Handwörterbuch. Begründet von Agathe Lasch und Conrad Borchling, hrsg. nach Gerhard Cordes und Annemarie Hübner ab 1993 von Dieter Möhn und Ingrid Schröder, I–III, Neumünster 1956–2007.
NDB Neue Deutsche Biographie. Bd. 1ff. Berlin 1953ff. (deutsche-biographie.de)
Neologismenwb. Leibniz-Institut für deutsche Sprache (IDS): Neologismenwörterbuch. (owid.de)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Osterhammel 2011 Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. Sonderausgabe. München 2011.
Polytechnisches Journal Polytechnisches Journal. Hrsg. von Johann Gottfried Dingler. Berlin, Stuttgart 1820–1931.
Wikipedia Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. (wikipedia.org)
Zedler Zedler, Johann Heinrich (Hrsg.): Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, […]. Bd. 1–64 und 4 Supplementbde., Halle u. a. 1732–1754. (zedler-lexikon.de)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Netzwerk, Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Social Network, soziales Netzwerk.